weil sie alles, was sie thut, mit gar wunderlichen Kapriolen begleitet. Sonderbar genug scheint bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu seyn; was sie auch thut, und wie sie sich geberdet, so blickt sie immer nach ihm, ob er es auch bemerke.
Mathilden, welche recht schlank und schön her- aufgewachsen ist, kleidet ihr stolz verschämtes Zu- rücktreten ungemein gut. -- Ueber ihre sehr glück- liche Aenderung freut besonders Platov sich, der mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von ihr gehofft, weil er sie immer zu den gemeinen Naturen gezählt, aus denen eine recht all- tägliche Erziehung und strenge Zucht gerade die brauchbarsten Menschen bilde, und die eine höhere Natur vergebens ängstige und quäle, weil sie das Gemeine doch nimmer zu sich hinauf zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr- heit liegt diese Bemerkung wohl nicht; nur paßte sie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die nur durch Strenge, selbst durch körperliche Züch- tigung orientirt und zu dem angehalten werden müssen, was die menschliche Gesellschaft unbedingt
weil ſie alles, was ſie thut, mit gar wunderlichen Kapriolen begleitet. Sonderbar genug ſcheint bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu ſeyn; was ſie auch thut, und wie ſie ſich geberdet, ſo blickt ſie immer nach ihm, ob er es auch bemerke.
Mathilden, welche recht ſchlank und ſchön her- aufgewachſen iſt, kleidet ihr ſtolz verſchämtes Zu- rücktreten ungemein gut. — Ueber ihre ſehr glück- liche Aenderung freut beſonders Platov ſich, der mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von ihr gehofft, weil er ſie immer zu den gemeinen Naturen gezählt, aus denen eine recht all- tägliche Erziehung und ſtrenge Zucht gerade die brauchbarſten Menſchen bilde, und die eine höhere Natur vergebens ängſtige und quäle, weil ſie das Gemeine doch nimmer zu ſich hinauf zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr- heit liegt dieſe Bemerkung wohl nicht; nur paßte ſie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die nur durch Strenge, ſelbſt durch körperliche Züch- tigung orientirt und zu dem angehalten werden müſſen, was die menſchliche Geſellſchaft unbedingt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0127"n="119"/>
weil ſie alles, was ſie thut, mit gar wunderlichen<lb/>
Kapriolen begleitet. Sonderbar genug ſcheint<lb/>
bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu ſeyn; was ſie<lb/>
auch thut, und wie ſie ſich geberdet, ſo blickt ſie<lb/>
immer nach ihm, ob er es auch bemerke.</p><lb/><p>Mathilden, welche recht ſchlank und ſchön her-<lb/>
aufgewachſen iſt, kleidet ihr ſtolz verſchämtes Zu-<lb/>
rücktreten ungemein gut. — Ueber ihre ſehr glück-<lb/>
liche Aenderung freut beſonders Platov ſich, der<lb/>
mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von<lb/>
ihr gehofft, weil er ſie immer zu den gemeinen<lb/>
Naturen gezählt, aus denen <hirendition="#g">eine recht all-<lb/>
tägliche Erziehung und ſtrenge Zucht</hi><lb/>
gerade die brauchbarſten Menſchen bilde, und die<lb/>
eine höhere Natur vergebens ängſtige und quäle,<lb/>
weil ſie das Gemeine doch nimmer zu ſich hinauf<lb/>
zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr-<lb/>
heit liegt dieſe Bemerkung wohl nicht; nur paßte<lb/>ſie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die<lb/>
nur durch Strenge, ſelbſt durch körperliche Züch-<lb/>
tigung orientirt und zu dem angehalten werden<lb/>
müſſen, was die menſchliche Geſellſchaft unbedingt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[119/0127]
weil ſie alles, was ſie thut, mit gar wunderlichen
Kapriolen begleitet. Sonderbar genug ſcheint
bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu ſeyn; was ſie
auch thut, und wie ſie ſich geberdet, ſo blickt ſie
immer nach ihm, ob er es auch bemerke.
Mathilden, welche recht ſchlank und ſchön her-
aufgewachſen iſt, kleidet ihr ſtolz verſchämtes Zu-
rücktreten ungemein gut. — Ueber ihre ſehr glück-
liche Aenderung freut beſonders Platov ſich, der
mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von
ihr gehofft, weil er ſie immer zu den gemeinen
Naturen gezählt, aus denen eine recht all-
tägliche Erziehung und ſtrenge Zucht
gerade die brauchbarſten Menſchen bilde, und die
eine höhere Natur vergebens ängſtige und quäle,
weil ſie das Gemeine doch nimmer zu ſich hinauf
zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr-
heit liegt dieſe Bemerkung wohl nicht; nur paßte
ſie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die
nur durch Strenge, ſelbſt durch körperliche Züch-
tigung orientirt und zu dem angehalten werden
müſſen, was die menſchliche Geſellſchaft unbedingt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/127>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.