ganz verschwunden scheint, so daß nichts wachsen, nichts aus der starren Erde hervorgehen kann, und die sich im Frühlinge zuerst wieder mit leisem Leben regt, und die Natur tief durchschauert und durchzuckt, und eine Knospe nach der andern aufschwellt, und ein Blümchen noch nach dem andern hervorlockt, bis sie endlich mit der ganzen Fülle des neuen Lebens allmählig herausbricht? Gesehen, erfahren, empfunden hast du das oft -- aber kannst du es begreifen?" -- "O nein! Wohl hat man mir gesagt, wie die Jahrszeiten von den Richtungen herkommen, die unsere Erde viermal in zwölf Monaten nach der Sonne nimmt; ich habe das auch alles verstanden; aber ich begreife darum doch den lebendigen Geist des Frühlings nicht; ich kann nur empfinden, wie er mich, und alles was da ist, durchschauert." "Seit gestern, liebe Jda, ist es aber wieder sehr rauh und freudenlos in der Natur, glaubst du dennoch, daß der Frühling wiederkommt?" -- "O gewiß, gewiß!" --
"Es ist doch noch kein Blümchen da, es regt sich noch nichts vom neuen Leben. Der Wind ist
ganz verſchwunden ſcheint, ſo daß nichts wachſen, nichts aus der ſtarren Erde hervorgehen kann, und die ſich im Frühlinge zuerſt wieder mit leiſem Leben regt, und die Natur tief durchſchauert und durchzuckt, und eine Knospe nach der andern aufſchwellt, und ein Blümchen noch nach dem andern hervorlockt, bis ſie endlich mit der ganzen Fülle des neuen Lebens allmählig herausbricht? Geſehen, erfahren, empfunden haſt du das oft — aber kannſt du es begreifen?‟ — „O nein! Wohl hat man mir geſagt, wie die Jahrszeiten von den Richtungen herkommen, die unſere Erde viermal in zwölf Monaten nach der Sonne nimmt; ich habe das auch alles verſtanden; aber ich begreife darum doch den lebendigen Geiſt des Frühlings nicht; ich kann nur empfinden, wie er mich, und alles was da iſt, durchſchauert.‟ „Seit geſtern, liebe Jda, iſt es aber wieder ſehr rauh und freudenlos in der Natur, glaubſt du dennoch, daß der Frühling wiederkommt?‟ — „O gewiß, gewiß!‟ —
„Es iſt doch noch kein Blümchen da, es regt ſich noch nichts vom neuen Leben. Der Wind iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0118"n="110"/>
ganz verſchwunden ſcheint, ſo daß nichts wachſen,<lb/>
nichts aus der ſtarren Erde hervorgehen kann,<lb/>
und die ſich im Frühlinge zuerſt wieder mit leiſem<lb/>
Leben regt, und die Natur tief durchſchauert und<lb/>
durchzuckt, und eine Knospe nach der andern<lb/>
aufſchwellt, und ein Blümchen noch nach dem<lb/>
andern hervorlockt, bis ſie endlich mit der ganzen<lb/>
Fülle des neuen Lebens allmählig herausbricht?<lb/>
Geſehen, erfahren, empfunden haſt du das oft —<lb/>
aber kannſt du es begreifen?‟—„O nein!<lb/>
Wohl hat man mir geſagt, wie die Jahrszeiten<lb/>
von den Richtungen herkommen, die unſere Erde<lb/>
viermal in zwölf Monaten nach der Sonne<lb/>
nimmt; ich habe das auch alles verſtanden; aber<lb/>
ich begreife darum doch den lebendigen Geiſt des<lb/>
Frühlings nicht; ich kann nur empfinden, wie er<lb/>
mich, und alles was da iſt, durchſchauert.‟„Seit<lb/>
geſtern, liebe Jda, iſt es aber wieder ſehr rauh<lb/>
und freudenlos in der Natur, glaubſt du dennoch,<lb/>
daß der Frühling wiederkommt?‟—„O gewiß,<lb/>
gewiß!‟—</p><lb/><p>„Es iſt doch noch kein Blümchen da, es regt ſich<lb/>
noch nichts vom neuen Leben. Der Wind iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[110/0118]
ganz verſchwunden ſcheint, ſo daß nichts wachſen,
nichts aus der ſtarren Erde hervorgehen kann,
und die ſich im Frühlinge zuerſt wieder mit leiſem
Leben regt, und die Natur tief durchſchauert und
durchzuckt, und eine Knospe nach der andern
aufſchwellt, und ein Blümchen noch nach dem
andern hervorlockt, bis ſie endlich mit der ganzen
Fülle des neuen Lebens allmählig herausbricht?
Geſehen, erfahren, empfunden haſt du das oft —
aber kannſt du es begreifen?‟ — „O nein!
Wohl hat man mir geſagt, wie die Jahrszeiten
von den Richtungen herkommen, die unſere Erde
viermal in zwölf Monaten nach der Sonne
nimmt; ich habe das auch alles verſtanden; aber
ich begreife darum doch den lebendigen Geiſt des
Frühlings nicht; ich kann nur empfinden, wie er
mich, und alles was da iſt, durchſchauert.‟ „Seit
geſtern, liebe Jda, iſt es aber wieder ſehr rauh
und freudenlos in der Natur, glaubſt du dennoch,
daß der Frühling wiederkommt?‟ — „O gewiß,
gewiß!‟ —
„Es iſt doch noch kein Blümchen da, es regt ſich
noch nichts vom neuen Leben. Der Wind iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/118>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.