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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Stück der Erziehung ist; und dennoch würde der
mich sicher mißverstehen, der hieraus schlöße,
daß ich blinden, sklavischen Gehorsam in Schutz
nähme. Gehorsam, der aus Liebe und Vertrauen
entspringt, heiligt den Menschen, und weihet
ihn zur Religion, ja, er ist selbst schon Religion.
Gehorsam gegen die bloße Willkür eines Andern,
den man weder lieben, noch ihm vertrauen kann,
macht feige Sklavenseelen und heuchlerische Au-
gendiener: wie könnte der zur Erziehung gehören!
Aus der unsrigen sey er auf immer verbannt.

Angeben läßt sich die Periode des kindlichen Le-
bens freilich nicht, wo Glaube und Gehorsam sich
mit eigener Einsicht und Ueberzeugung verweben
und wo sie diesen allmählig Platz machen müssen.
Aber es gibt auch in dem früheren kindlichen Al-
ter (oft schon vor dem siebenten Jahre) Fälle,
in welchen das Kind die Gründe unserer Vorschrif-
ten fassen kann; und dann sollen wir sie ihm nicht
vorenthalten, damit sein übriger gläubiger Gehor-
sam dadurch einen edlen Charakter gewinne, und
eines freien Wesens würdig werde.



Stück der Erziehung iſt; und dennoch würde der
mich ſicher mißverſtehen, der hieraus ſchlöße,
daß ich blinden, ſklaviſchen Gehorſam in Schutz
nähme. Gehorſam, der aus Liebe und Vertrauen
entſpringt, heiligt den Menſchen, und weihet
ihn zur Religion, ja, er iſt ſelbſt ſchon Religion.
Gehorſam gegen die bloße Willkür eines Andern,
den man weder lieben, noch ihm vertrauen kann,
macht feige Sklavenſeelen und heuchleriſche Au-
gendiener: wie könnte der zur Erziehung gehören!
Aus der unſrigen ſey er auf immer verbannt.

Angeben läßt ſich die Periode des kindlichen Le-
bens freilich nicht, wo Glaube und Gehorſam ſich
mit eigener Einſicht und Ueberzeugung verweben
und wo ſie dieſen allmählig Platz machen müſſen.
Aber es gibt auch in dem früheren kindlichen Al-
ter (oft ſchon vor dem ſiebenten Jahre) Fälle,
in welchen das Kind die Gründe unſerer Vorſchrif-
ten faſſen kann; und dann ſollen wir ſie ihm nicht
vorenthalten, damit ſein übriger gläubiger Gehor-
ſam dadurch einen edlen Charakter gewinne, und
eines freien Weſens würdig werde.

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[64/0078] Stück der Erziehung iſt; und dennoch würde der mich ſicher mißverſtehen, der hieraus ſchlöße, daß ich blinden, ſklaviſchen Gehorſam in Schutz nähme. Gehorſam, der aus Liebe und Vertrauen entſpringt, heiligt den Menſchen, und weihet ihn zur Religion, ja, er iſt ſelbſt ſchon Religion. Gehorſam gegen die bloße Willkür eines Andern, den man weder lieben, noch ihm vertrauen kann, macht feige Sklavenſeelen und heuchleriſche Au- gendiener: wie könnte der zur Erziehung gehören! Aus der unſrigen ſey er auf immer verbannt. Angeben läßt ſich die Periode des kindlichen Le- bens freilich nicht, wo Glaube und Gehorſam ſich mit eigener Einſicht und Ueberzeugung verweben und wo ſie dieſen allmählig Platz machen müſſen. Aber es gibt auch in dem früheren kindlichen Al- ter (oft ſchon vor dem ſiebenten Jahre) Fälle, in welchen das Kind die Gründe unſerer Vorſchrif- ten faſſen kann; und dann ſollen wir ſie ihm nicht vorenthalten, damit ſein übriger gläubiger Gehor- ſam dadurch einen edlen Charakter gewinne, und eines freien Weſens würdig werde.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/78>, abgerufen am 22.11.2024.