Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.auch Spuren des aufkeimenden Eigensinnes willst Du bemerkt haben? Das wäre freilich früh, und nach unserm Plane kommt der immer zu früh, weil er gar nie kommen darf. Ehe ich Dir etwas besonderes über die Unterdrückung oder vielmehr Ausrottung dieses Fehlers sage, möcht' ich gern gewiß seyn, ob Du Dich in der Sache nicht irrest? ob das weinerliche Wesen, das sie von Zeit zu Zeit überfällt, und das Wegwerfen der Dinge, die ihr sonst lieb sind, auch wirklich Eigensinn, ob es nicht vielmehr Unlust ist, die aus dem Schmerze beim Zahnen herrührt? Bist Du hierüber ungewiß, so würde ich Dir rathen, wenn sie heftig weint, und ihr Spielzeug auf den Boden wirft, ihr das Weggeworfene nicht wieder aufzuheben, auch wenn sie darnach griffe, ihr auch für den Augenblick kein anderes zu reichen, sondern sie freundlich an Dich zu schließen, und zu sehn, ob sich vielleicht durch Liebe der Schmerz besänftigen läßt. Fährt sie fort, zu weinen, so sey ernsthafter, suche sie aber durch Ortsveränderung zu zerstreuen; gehe mit ihr in den Garten, oder, wenn das nicht seyn kann, aus einem Zimmer in das andere. auch Spuren des aufkeimenden Eigenſinnes willſt Du bemerkt haben? Das wäre freilich früh, und nach unſerm Plane kommt der immer zu früh, weil er gar nie kommen darf. Ehe ich Dir etwas beſonderes über die Unterdrückung oder vielmehr Ausrottung dieſes Fehlers ſage, möcht’ ich gern gewiß ſeyn, ob Du Dich in der Sache nicht irreſt? ob das weinerliche Weſen, das ſie von Zeit zu Zeit überfällt, und das Wegwerfen der Dinge, die ihr ſonſt lieb ſind, auch wirklich Eigenſinn, ob es nicht vielmehr Unluſt iſt, die aus dem Schmerze beim Zahnen herrührt? Biſt Du hierüber ungewiß, ſo würde ich Dir rathen, wenn ſie heftig weint, und ihr Spielzeug auf den Boden wirft, ihr das Weggeworfene nicht wieder aufzuheben, auch wenn ſie darnach griffe, ihr auch für den Augenblick kein anderes zu reichen, ſondern ſie freundlich an Dich zu ſchließen, und zu ſehn, ob ſich vielleicht durch Liebe der Schmerz beſänftigen läßt. Fährt ſie fort, zu weinen, ſo ſey ernſthafter, ſuche ſie aber durch Ortsveränderung zu zerſtreuen; gehe mit ihr in den Garten, oder, wenn das nicht ſeyn kann, aus einem Zimmer in das andere. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0038" n="24"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> auch Spuren des aufkeimenden Eigenſinnes willſt<lb/> Du bemerkt haben? Das wäre freilich früh, und<lb/> nach unſerm Plane kommt der immer zu früh,<lb/> weil er gar nie kommen darf. Ehe ich Dir etwas<lb/> beſonderes über die Unterdrückung oder vielmehr<lb/> Ausrottung dieſes Fehlers ſage, möcht’ ich gern<lb/> gewiß ſeyn, ob Du Dich in der Sache nicht irreſt?<lb/> ob das weinerliche Weſen, das ſie von Zeit zu Zeit<lb/> überfällt, und das Wegwerfen der Dinge, die ihr<lb/> ſonſt lieb ſind, auch wirklich Eigenſinn, ob es nicht<lb/> vielmehr Unluſt iſt, die aus dem Schmerze beim<lb/> Zahnen herrührt? Biſt Du hierüber ungewiß,<lb/> ſo würde ich Dir rathen, wenn ſie heftig weint,<lb/> und ihr Spielzeug auf den Boden wirft, ihr das<lb/> Weggeworfene nicht wieder aufzuheben, auch wenn<lb/> ſie darnach griffe, ihr auch für den Augenblick kein<lb/> anderes zu reichen, ſondern ſie freundlich an Dich<lb/> zu ſchließen, und zu ſehn, ob ſich vielleicht durch<lb/> Liebe der Schmerz beſänftigen läßt. Fährt ſie<lb/> fort, zu weinen, ſo ſey ernſthafter, ſuche ſie aber<lb/> durch Ortsveränderung zu zerſtreuen; gehe mit ihr<lb/> in den Garten, oder, wenn das nicht ſeyn kann,<lb/> aus einem Zimmer in das andere.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0038]
auch Spuren des aufkeimenden Eigenſinnes willſt
Du bemerkt haben? Das wäre freilich früh, und
nach unſerm Plane kommt der immer zu früh,
weil er gar nie kommen darf. Ehe ich Dir etwas
beſonderes über die Unterdrückung oder vielmehr
Ausrottung dieſes Fehlers ſage, möcht’ ich gern
gewiß ſeyn, ob Du Dich in der Sache nicht irreſt?
ob das weinerliche Weſen, das ſie von Zeit zu Zeit
überfällt, und das Wegwerfen der Dinge, die ihr
ſonſt lieb ſind, auch wirklich Eigenſinn, ob es nicht
vielmehr Unluſt iſt, die aus dem Schmerze beim
Zahnen herrührt? Biſt Du hierüber ungewiß,
ſo würde ich Dir rathen, wenn ſie heftig weint,
und ihr Spielzeug auf den Boden wirft, ihr das
Weggeworfene nicht wieder aufzuheben, auch wenn
ſie darnach griffe, ihr auch für den Augenblick kein
anderes zu reichen, ſondern ſie freundlich an Dich
zu ſchließen, und zu ſehn, ob ſich vielleicht durch
Liebe der Schmerz beſänftigen läßt. Fährt ſie
fort, zu weinen, ſo ſey ernſthafter, ſuche ſie aber
durch Ortsveränderung zu zerſtreuen; gehe mit ihr
in den Garten, oder, wenn das nicht ſeyn kann,
aus einem Zimmer in das andere.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |