Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

die euch die Sache lebendig vor Augen bringen
wird.

Mathilde. So kennen wir aber keine
Freunde.

Jch. Das ist das Höchste in der Freundschaft,
wo die Liebe zum Freunde mächtiger wird, als die
Liebe zum Leben. Aber von diesem Höchsten,
zu dem sich nur sehr edle Naturen erheben kön-
nen, bis zu der Stufe herab, die man auch noch
wohl Freundschaft zu nennen pflegt, gibt es der
Grade viele, und man darf gewöhnlich nicht das
Höchste annehmen, wenn von Freundschaft die
Rede ist. Selbst bey Männern, die doch stärker
in der Freundschaft seyn sollen, als wir, findet
dieser Grad sich nur selten. Und man behauptet,
daß die Menschen ehemals --

Clärchen. (schnell unterbrechend) Sind
die Männer wirklich stärker in der Freundschaft?
und wie geht das zu? beste Tante, ich kann's
ja nicht glauben.

Jch. Dies ist eine schwere Frage, mein Clär-
chen, und könnt' ich sie auch beantworten, so wür-

die euch die Sache lebendig vor Augen bringen
wird.

Mathilde. So kennen wir aber keine
Freunde.

Jch. Das iſt das Höchſte in der Freundſchaft,
wo die Liebe zum Freunde mächtiger wird, als die
Liebe zum Leben. Aber von dieſem Höchſten,
zu dem ſich nur ſehr edle Naturen erheben kön-
nen, bis zu der Stufe herab, die man auch noch
wohl Freundſchaft zu nennen pflegt, gibt es der
Grade viele, und man darf gewöhnlich nicht das
Höchſte annehmen, wenn von Freundſchaft die
Rede iſt. Selbſt bey Männern, die doch ſtärker
in der Freundſchaft ſeyn ſollen, als wir, findet
dieſer Grad ſich nur ſelten. Und man behauptet,
daß die Menſchen ehemals —

Clärchen. (ſchnell unterbrechend) Sind
die Männer wirklich ſtärker in der Freundſchaft?
und wie geht das zu? beſte Tante, ich kann’s
ja nicht glauben.

Jch. Dies iſt eine ſchwere Frage, mein Clär-
chen, und könnt’ ich ſie auch beantworten, ſo wür-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="319"/>
die euch die Sache lebendig vor Augen bringen<lb/>
wird.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Mathilde</hi>. So kennen wir aber keine<lb/>
Freunde.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Das i&#x017F;t das Höch&#x017F;te in der Freund&#x017F;chaft,<lb/>
wo die Liebe zum Freunde mächtiger wird, als die<lb/>
Liebe zum Leben. Aber von die&#x017F;em <hi rendition="#g">Höch&#x017F;ten,</hi><lb/>
zu dem &#x017F;ich nur &#x017F;ehr edle Naturen erheben kön-<lb/>
nen, bis zu der Stufe herab, die man auch noch<lb/>
wohl Freund&#x017F;chaft zu nennen pflegt, gibt es der<lb/>
Grade viele, und man darf gewöhnlich nicht das<lb/>
Höch&#x017F;te annehmen, wenn von Freund&#x017F;chaft die<lb/>
Rede i&#x017F;t. Selb&#x017F;t bey Männern, die doch &#x017F;tärker<lb/>
in der Freund&#x017F;chaft &#x017F;eyn &#x017F;ollen, als wir, findet<lb/>
die&#x017F;er Grad &#x017F;ich nur &#x017F;elten. Und man behauptet,<lb/>
daß die Men&#x017F;chen ehemals &#x2014;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Clärchen. (&#x017F;chnell unterbrechend)</hi> Sind<lb/>
die Männer wirklich &#x017F;tärker in der Freund&#x017F;chaft?<lb/>
und wie geht das zu? be&#x017F;te Tante, ich kann&#x2019;s<lb/>
ja nicht glauben.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Dies i&#x017F;t eine &#x017F;chwere Frage, mein Clär-<lb/>
chen, und könnt&#x2019; ich &#x017F;ie auch beantworten, &#x017F;o wür-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0333] die euch die Sache lebendig vor Augen bringen wird. Mathilde. So kennen wir aber keine Freunde. Jch. Das iſt das Höchſte in der Freundſchaft, wo die Liebe zum Freunde mächtiger wird, als die Liebe zum Leben. Aber von dieſem Höchſten, zu dem ſich nur ſehr edle Naturen erheben kön- nen, bis zu der Stufe herab, die man auch noch wohl Freundſchaft zu nennen pflegt, gibt es der Grade viele, und man darf gewöhnlich nicht das Höchſte annehmen, wenn von Freundſchaft die Rede iſt. Selbſt bey Männern, die doch ſtärker in der Freundſchaft ſeyn ſollen, als wir, findet dieſer Grad ſich nur ſelten. Und man behauptet, daß die Menſchen ehemals — Clärchen. (ſchnell unterbrechend) Sind die Männer wirklich ſtärker in der Freundſchaft? und wie geht das zu? beſte Tante, ich kann’s ja nicht glauben. Jch. Dies iſt eine ſchwere Frage, mein Clär- chen, und könnt’ ich ſie auch beantworten, ſo wür-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/333
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/333>, abgerufen am 05.10.2024.