man die allgemeine Formel ausspricht. Ein geist- voller Mensch, wie ein herzvoller, hat seine ei- gene Sprache, und folgt dem hergebrachten Ge- brauche nur im Allgemeinen, und nur da wo es nöthig ist. Gebt Acht, meine Kinder, und straft mich, so oft ihr mich Worte aussprechen hört, die euch mit meinem Gefühl nicht zu stimmen schei- nen. (Die Kinder sahen sich verwundert an, als ob das in sich unmöglich sey.) Wir machen also vor unserer Abreise den Abschiedsbesuch bei den Damen unserer Bekanntschaft, weil --
Clärchen. Nicht wahr, Tante, weil es un- freundlich wäre, auf sechs Monate aus der Stadt zu gehen, ohne ihnen ein Zeichen zu geben, daß sie uns nicht gleichgültig sind?
Jda. Und daß wir wünschen, daß sie unter- dessen auch vergnügt und froh seyn mögen, wie wir es sind?
Jch. So ist's, Kinder. Und wenn wir wie- der kommen, zeigen wir uns ihnen, daß wir wie- der da sind, und daß es uns lieb ist, zu hören, wie es ihnen unterdessen ergangen, obgleich sie
man die allgemeine Formel ausſpricht. Ein geiſt- voller Menſch, wie ein herzvoller, hat ſeine ei- gene Sprache, und folgt dem hergebrachten Ge- brauche nur im Allgemeinen, und nur da wo es nöthig iſt. Gebt Acht, meine Kinder, und ſtraft mich, ſo oft ihr mich Worte ausſprechen hört, die euch mit meinem Gefühl nicht zu ſtimmen ſchei- nen. (Die Kinder ſahen ſich verwundert an, als ob das in ſich unmöglich ſey.) Wir machen alſo vor unſerer Abreiſe den Abſchiedsbeſuch bei den Damen unſerer Bekanntſchaft, weil —
Clärchen. Nicht wahr, Tante, weil es un- freundlich wäre, auf ſechs Monate aus der Stadt zu gehen, ohne ihnen ein Zeichen zu geben, daß ſie uns nicht gleichgültig ſind?
Jda. Und daß wir wünſchen, daß ſie unter- deſſen auch vergnügt und froh ſeyn mögen, wie wir es ſind?
Jch. So iſt’s, Kinder. Und wenn wir wie- der kommen, zeigen wir uns ihnen, daß wir wie- der da ſind, und daß es uns lieb iſt, zu hören, wie es ihnen unterdeſſen ergangen, obgleich ſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0329"n="315"/>
man die allgemeine Formel ausſpricht. Ein geiſt-<lb/>
voller Menſch, wie ein herzvoller, hat ſeine ei-<lb/>
gene Sprache, und folgt dem hergebrachten Ge-<lb/>
brauche nur im Allgemeinen, und nur da wo es<lb/>
nöthig iſt. Gebt Acht, meine Kinder, und ſtraft<lb/>
mich, ſo oft ihr mich Worte ausſprechen hört,<lb/>
die euch mit meinem Gefühl nicht zu ſtimmen ſchei-<lb/>
nen. (Die Kinder ſahen ſich verwundert an,<lb/>
als ob das in ſich unmöglich ſey.) Wir machen<lb/>
alſo vor unſerer Abreiſe den Abſchiedsbeſuch bei<lb/>
den Damen unſerer Bekanntſchaft, weil —</p><lb/><p><hirendition="#g">Clärchen</hi>. Nicht wahr, Tante, weil es un-<lb/>
freundlich wäre, auf ſechs Monate aus der Stadt<lb/>
zu gehen, ohne ihnen ein Zeichen zu geben, daß<lb/>ſie uns nicht gleichgültig ſind?</p><lb/><p><hirendition="#g">Jda</hi>. Und daß wir wünſchen, daß ſie unter-<lb/>
deſſen auch vergnügt und froh ſeyn mögen, wie<lb/>
wir es ſind?</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. So iſt’s, Kinder. Und wenn wir wie-<lb/>
der kommen, zeigen wir uns ihnen, daß wir wie-<lb/>
der da ſind, und daß es uns lieb iſt, zu hören,<lb/>
wie es ihnen unterdeſſen ergangen, obgleich ſie<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[315/0329]
man die allgemeine Formel ausſpricht. Ein geiſt-
voller Menſch, wie ein herzvoller, hat ſeine ei-
gene Sprache, und folgt dem hergebrachten Ge-
brauche nur im Allgemeinen, und nur da wo es
nöthig iſt. Gebt Acht, meine Kinder, und ſtraft
mich, ſo oft ihr mich Worte ausſprechen hört,
die euch mit meinem Gefühl nicht zu ſtimmen ſchei-
nen. (Die Kinder ſahen ſich verwundert an,
als ob das in ſich unmöglich ſey.) Wir machen
alſo vor unſerer Abreiſe den Abſchiedsbeſuch bei
den Damen unſerer Bekanntſchaft, weil —
Clärchen. Nicht wahr, Tante, weil es un-
freundlich wäre, auf ſechs Monate aus der Stadt
zu gehen, ohne ihnen ein Zeichen zu geben, daß
ſie uns nicht gleichgültig ſind?
Jda. Und daß wir wünſchen, daß ſie unter-
deſſen auch vergnügt und froh ſeyn mögen, wie
wir es ſind?
Jch. So iſt’s, Kinder. Und wenn wir wie-
der kommen, zeigen wir uns ihnen, daß wir wie-
der da ſind, und daß es uns lieb iſt, zu hören,
wie es ihnen unterdeſſen ergangen, obgleich ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/329>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.