ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann so: Bis zu unserer nähern Bekanntschaft habe er gar schwer an gute Erziehung fremder Kinder glauben können; er habe aus dem Grunde sie fast für unmöglich gehalten, weil das junge Herz (besonders des Mädchens), aus der warmen Fa- milienliebe herausgerissen, nothwendig erkalten und sich gewöhnen müsse, ohne Liebe zu leben. Gut, sagt' ich, so gebe man die Kinder, die nicht von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen erzogen werden können, in eine gute Familie, daß sie bei dieser wiederfinden, was die Eltern einmal nicht geben können.
Dies geschieht ja auch mit Knaben und Mäd- chen, war seine Antwort. Aber lassen Sie uns fürs erste bestimmt bei der Mädchen-Erziehung bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging. Eine Art, wie ich mir die Erziehung solcher jun- gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen Pensionen, wo die Vorsteherin der Anstalt ent- weder verheirathet, und Mutter einer eigenen kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-
(38)
ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann ſo: Bis zu unſerer nähern Bekanntſchaft habe er gar ſchwer an gute Erziehung fremder Kinder glauben können; er habe aus dem Grunde ſie faſt für unmöglich gehalten, weil das junge Herz (beſonders des Mädchens), aus der warmen Fa- milienliebe herausgeriſſen, nothwendig erkalten und ſich gewöhnen müſſe, ohne Liebe zu leben. Gut, ſagt’ ich, ſo gebe man die Kinder, die nicht von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen erzogen werden können, in eine gute Familie, daß ſie bei dieſer wiederfinden, was die Eltern einmal nicht geben können.
Dies geſchieht ja auch mit Knaben und Mäd- chen, war ſeine Antwort. Aber laſſen Sie uns fürs erſte beſtimmt bei der Mädchen-Erziehung bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging. Eine Art, wie ich mir die Erziehung ſolcher jun- gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen Penſionen, wo die Vorſteherin der Anſtalt ent- weder verheirathet, und Mutter einer eigenen kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-
(38)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0311"n="297"/>
ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann<lb/>ſo: Bis zu unſerer nähern Bekanntſchaft habe<lb/>
er gar ſchwer an gute Erziehung fremder Kinder<lb/>
glauben können; er habe aus <hirendition="#g">dem</hi> Grunde ſie<lb/>
faſt für unmöglich gehalten, weil das junge Herz<lb/>
(beſonders des Mädchens), aus der warmen Fa-<lb/>
milienliebe herausgeriſſen, nothwendig erkalten<lb/>
und ſich gewöhnen müſſe, ohne Liebe zu leben.<lb/>
Gut, ſagt’ ich, ſo gebe man die Kinder, die nicht<lb/>
von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen<lb/>
erzogen werden können, in eine gute Familie,<lb/>
daß ſie bei dieſer wiederfinden, was die Eltern<lb/>
einmal nicht geben können.</p><lb/><p>Dies geſchieht ja auch mit Knaben und Mäd-<lb/>
chen, war ſeine Antwort. Aber laſſen Sie uns<lb/>
fürs erſte beſtimmt bei der Mädchen-Erziehung<lb/>
bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging.<lb/><hirendition="#g">Eine</hi> Art, wie ich mir die Erziehung ſolcher jun-<lb/>
gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen<lb/>
Penſionen, wo die Vorſteherin der Anſtalt ent-<lb/>
weder verheirathet, und Mutter einer eigenen<lb/>
kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">(38)</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[297/0311]
ohngefähr des nemlichen Jnhaltes, und begann
ſo: Bis zu unſerer nähern Bekanntſchaft habe
er gar ſchwer an gute Erziehung fremder Kinder
glauben können; er habe aus dem Grunde ſie
faſt für unmöglich gehalten, weil das junge Herz
(beſonders des Mädchens), aus der warmen Fa-
milienliebe herausgeriſſen, nothwendig erkalten
und ſich gewöhnen müſſe, ohne Liebe zu leben.
Gut, ſagt’ ich, ſo gebe man die Kinder, die nicht
von ihren Eltern und nicht unter ihren Augen
erzogen werden können, in eine gute Familie,
daß ſie bei dieſer wiederfinden, was die Eltern
einmal nicht geben können.
Dies geſchieht ja auch mit Knaben und Mäd-
chen, war ſeine Antwort. Aber laſſen Sie uns
fürs erſte beſtimmt bei der Mädchen-Erziehung
bleiben, von der ich in meiner Jdee ausging.
Eine Art, wie ich mir die Erziehung ſolcher jun-
gen Mädchen dachte, war in einer der gewöhnlichen
Penſionen, wo die Vorſteherin der Anſtalt ent-
weder verheirathet, und Mutter einer eigenen
kleinen Familie, oder Wittwe, oder überall un-
(38)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/311>, abgerufen am 05.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.