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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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sie nicht eher wieder zur Stunde kommen würde,
als bis jener Eindruck so weit ausgelöscht sey,
daß sie selbst wünsche zu tanzen. Nun ist denn
freilich noch an keine Quadrille zu denken, die er
bald zur Abwechselung mit ihnen vornehmen woll-
te. -- Aber weg mit den Quadrillen und mit je-
dem Tanz, so lange das Kind einen Abscheu da-
gegen hat.

Nur zu wenigen unumgänglich nöthigen Kunst-
fertigkeiten und Geschicklichkeiten würde ich ein
Kind mit Strenge anhalten. Musik und Tanz
muß jedem Kind erlassen werden, so lange es einen
Widerwillen dagegen hat. Man führt zwar Bei-
spiele an, wo Künstler anfänglich durch Zwang
und Härte zur Musik angehalten, und doch stark
wurden in der Kunst. Jch habe solche Beispiele
nicht erlebt, und wenn mir etwas ähnliches vor-
käme, würde es mir nichts beweisen, als daß es
auch beim Zwang noch möglich bleibt, in einer
Kunst etwas zu thun. Was aber derselbe Künst-
ler geworden wäre, wenn sein Bildner die Zeit
abgewartet hätte, wo der lebendige Trieb in ihm

ſie nicht eher wieder zur Stunde kommen würde,
als bis jener Eindruck ſo weit ausgelöſcht ſey,
daß ſie ſelbſt wünſche zu tanzen. Nun iſt denn
freilich noch an keine Quadrille zu denken, die er
bald zur Abwechſelung mit ihnen vornehmen woll-
te. — Aber weg mit den Quadrillen und mit je-
dem Tanz, ſo lange das Kind einen Abſcheu da-
gegen hat.

Nur zu wenigen unumgänglich nöthigen Kunſt-
fertigkeiten und Geſchicklichkeiten würde ich ein
Kind mit Strenge anhalten. Muſik und Tanz
muß jedem Kind erlaſſen werden, ſo lange es einen
Widerwillen dagegen hat. Man führt zwar Bei-
ſpiele an, wo Künſtler anfänglich durch Zwang
und Härte zur Muſik angehalten, und doch ſtark
wurden in der Kunſt. Jch habe ſolche Beiſpiele
nicht erlebt, und wenn mir etwas ähnliches vor-
käme, würde es mir nichts beweiſen, als daß es
auch beim Zwang noch möglich bleibt, in einer
Kunſt etwas zu thun. Was aber derſelbe Künſt-
ler geworden wäre, wenn ſein Bildner die Zeit
abgewartet hätte, wo der lebendige Trieb in ihm

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[262/0276] ſie nicht eher wieder zur Stunde kommen würde, als bis jener Eindruck ſo weit ausgelöſcht ſey, daß ſie ſelbſt wünſche zu tanzen. Nun iſt denn freilich noch an keine Quadrille zu denken, die er bald zur Abwechſelung mit ihnen vornehmen woll- te. — Aber weg mit den Quadrillen und mit je- dem Tanz, ſo lange das Kind einen Abſcheu da- gegen hat. Nur zu wenigen unumgänglich nöthigen Kunſt- fertigkeiten und Geſchicklichkeiten würde ich ein Kind mit Strenge anhalten. Muſik und Tanz muß jedem Kind erlaſſen werden, ſo lange es einen Widerwillen dagegen hat. Man führt zwar Bei- ſpiele an, wo Künſtler anfänglich durch Zwang und Härte zur Muſik angehalten, und doch ſtark wurden in der Kunſt. Jch habe ſolche Beiſpiele nicht erlebt, und wenn mir etwas ähnliches vor- käme, würde es mir nichts beweiſen, als daß es auch beim Zwang noch möglich bleibt, in einer Kunſt etwas zu thun. Was aber derſelbe Künſt- ler geworden wäre, wenn ſein Bildner die Zeit abgewartet hätte, wo der lebendige Trieb in ihm

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/276>, abgerufen am 27.07.2024.