Sie sieht es für eine solche Unmöglichkeit an, daß man es ihr nicht ansinnen mag. Wenn wir Abends nach der Mahlzeit lustwandelten, nahm sie selten thätigen Theil am Gespräche; aber sie lenkte es oft durch ihre Fragen auf Gegenstände, worüber sie ihren Mann und mich so gern die Meynungen austauschen sah. "Aber, liebe Deborah, warum soll ich denn Jhre Ansicht der Dinge nicht auch kennen? fragt' ich denn wohl. Jst es recht, daß Sie mich immer fortplaudern lassen, wenn Jhr Mann mich einmal in den Schuß gebracht?" -- "Wir beide haben uns immer, sagte sie, und wenn ich in einer Sache nicht durchzufinden weiß, so apellire ich von meinem unreifen Verstande an den reiferen meines Mannes, und mit dem Spruch dieser letzten Jnstanz bin ich völlig zufrieden. Es ist mir aber so neu, und ich finde es so gar hold, zwei Verwandte, sich fast gleiche Geister, mit ein- ander im Wechseltausch der Jdeen zu sehen. Wenn ich selbst mit spräche, brächt' ich mich ja um diese Freude."
"Sprecht ihr beide mit einander, so höre ich jmmer etwas Neues. Würde ich mich hinein-
Sie ſieht es für eine ſolche Unmöglichkeit an, daß man es ihr nicht anſinnen mag. Wenn wir Abends nach der Mahlzeit luſtwandelten, nahm ſie ſelten thätigen Theil am Geſpräche; aber ſie lenkte es oft durch ihre Fragen auf Gegenſtände, worüber ſie ihren Mann und mich ſo gern die Meynungen austauſchen ſah. „Aber, liebe Deborah, warum ſoll ich denn Jhre Anſicht der Dinge nicht auch kennen? fragt’ ich denn wohl. Jſt es recht, daß Sie mich immer fortplaudern laſſen, wenn Jhr Mann mich einmal in den Schuß gebracht?‟ — „Wir beide haben uns immer, ſagte ſie, und wenn ich in einer Sache nicht durchzufinden weiß, ſo apellire ich von meinem unreifen Verſtande an den reiferen meines Mannes, und mit dem Spruch dieſer letzten Jnſtanz bin ich völlig zufrieden. Es iſt mir aber ſo neu, und ich finde es ſo gar hold, zwei Verwandte, ſich faſt gleiche Geiſter, mit ein- ander im Wechſeltauſch der Jdeen zu ſehen. Wenn ich ſelbſt mit ſpräche, brächt’ ich mich ja um dieſe Freude.‟
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Sie ſieht es für eine ſolche Unmöglichkeit an, daß
man es ihr nicht anſinnen mag. Wenn wir Abends
nach der Mahlzeit luſtwandelten, nahm ſie ſelten
thätigen Theil am Geſpräche; aber ſie lenkte es
oft durch ihre Fragen auf Gegenſtände, worüber
ſie ihren Mann und mich ſo gern die Meynungen
austauſchen ſah. „Aber, liebe Deborah, warum
ſoll ich denn Jhre Anſicht der Dinge nicht auch
kennen? fragt’ ich denn wohl. Jſt es recht, daß
Sie mich immer fortplaudern laſſen, wenn Jhr
Mann mich einmal in den Schuß gebracht?‟ —
„Wir beide haben uns immer, ſagte ſie, und
wenn ich in einer Sache nicht durchzufinden weiß,
ſo apellire ich von meinem unreifen Verſtande an
den reiferen meines Mannes, und mit dem Spruch
dieſer letzten Jnſtanz bin ich völlig zufrieden. Es
iſt mir aber ſo neu, und ich finde es ſo gar hold,
zwei Verwandte, ſich faſt gleiche Geiſter, mit ein-
ander im Wechſeltauſch der Jdeen zu ſehen. Wenn
ich ſelbſt mit ſpräche, brächt’ ich mich ja um dieſe
Freude.‟
„Sprecht ihr beide mit einander, ſo höre ich
jmmer etwas Neues. Würde ich mich hinein-
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/194>, abgerufen am 03.10.2024.
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