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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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ren Gemüthsanlagen hervorzuragen. Willst du
es denn nicht werden? fragte Platov. Ein un-
sanftes Mädchen ist gar nicht liebenswürdig. --
Sie schwieg betroffen, und sah vor sich nieder.
Jch traue Mathilden zu, daß sie alles werden
will, was sie seyn kann, sagte ich, sie in Schutz
nehmend. Sie fühlte das; antwortete aber nichts
weiter. Nach Tisch, als sie und ich zufällig al-
lein im Zimmer blieben, trat sie schüchtern an
mich: Tante Selma, Du bist so gut gegen mich:
ich will auch gut werden. Du sollst nicht Unrecht
haben, in dem was Du von mir versprichst, aber
ich kann nicht so seyn, wie die andern. "Nun,
sey nur, wie du kannst; und vor allen Dingen
scheine nie anders, als du bist. Jch kenne dich
noch so wenig, aber das weiß ich, daß du ein
gutes Kind seyn willst." -- Jch sah, wie das stolze
kleine Herz in dem Zutrauen triumphierte, und
sich von der Demüthigung wieder aufrichtete. --
"Aber wenn du wirklich glaubst, daß ich dir gut
bin, warum vertraust du mir nicht an, was dich
so oft betrübt, und was kein Mensch errathen
kann?" -- Ach liebe Tante, in meiner Eltern

ren Gemüthsanlagen hervorzuragen. Willſt du
es denn nicht werden? fragte Platov. Ein un-
ſanftes Mädchen iſt gar nicht liebenswürdig. —
Sie ſchwieg betroffen, und ſah vor ſich nieder.
Jch traue Mathilden zu, daß ſie alles werden
will, was ſie ſeyn kann, ſagte ich, ſie in Schutz
nehmend. Sie fühlte das; antwortete aber nichts
weiter. Nach Tiſch, als ſie und ich zufällig al-
lein im Zimmer blieben, trat ſie ſchüchtern an
mich: Tante Selma, Du biſt ſo gut gegen mich:
ich will auch gut werden. Du ſollſt nicht Unrecht
haben, in dem was Du von mir verſprichſt, aber
ich kann nicht ſo ſeyn, wie die andern. „Nun,
ſey nur, wie du kannſt; und vor allen Dingen
ſcheine nie anders, als du biſt. Jch kenne dich
noch ſo wenig, aber das weiß ich, daß du ein
gutes Kind ſeyn willſt.‟ — Jch ſah, wie das ſtolze
kleine Herz in dem Zutrauen triumphierte, und
ſich von der Demüthigung wieder aufrichtete. —
„Aber wenn du wirklich glaubſt, daß ich dir gut
bin, warum vertrauſt du mir nicht an, was dich
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kann?‟ — Ach liebe Tante, in meiner Eltern

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[167/0181] ren Gemüthsanlagen hervorzuragen. Willſt du es denn nicht werden? fragte Platov. Ein un- ſanftes Mädchen iſt gar nicht liebenswürdig. — Sie ſchwieg betroffen, und ſah vor ſich nieder. Jch traue Mathilden zu, daß ſie alles werden will, was ſie ſeyn kann, ſagte ich, ſie in Schutz nehmend. Sie fühlte das; antwortete aber nichts weiter. Nach Tiſch, als ſie und ich zufällig al- lein im Zimmer blieben, trat ſie ſchüchtern an mich: Tante Selma, Du biſt ſo gut gegen mich: ich will auch gut werden. Du ſollſt nicht Unrecht haben, in dem was Du von mir verſprichſt, aber ich kann nicht ſo ſeyn, wie die andern. „Nun, ſey nur, wie du kannſt; und vor allen Dingen ſcheine nie anders, als du biſt. Jch kenne dich noch ſo wenig, aber das weiß ich, daß du ein gutes Kind ſeyn willſt.‟ — Jch ſah, wie das ſtolze kleine Herz in dem Zutrauen triumphierte, und ſich von der Demüthigung wieder aufrichtete. — „Aber wenn du wirklich glaubſt, daß ich dir gut bin, warum vertrauſt du mir nicht an, was dich ſo oft betrübt, und was kein Menſch errathen kann?‟ — Ach liebe Tante, in meiner Eltern

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/181>, abgerufen am 12.10.2024.