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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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lagen gewiß zu seyn, ehe Du es zu Jda's Lebens-
gefährtin machst. Der Mensch soll bei keinem
Dinge verzagter seyn, als wenn er die Rolle des
Schicksals für andere Wesen wissentlich übernimmt.
Freilich arbeitet ohnedies jeder Mensch an dem
Schicksale der Andern; aber mehr als Werkzeug
höherer Mächte. Wer aber armen Eltern ein Kind
abnimmt, und es in seinem Hause zum Wohlstande
und zu höheren Lebensgenüssen erzieht: der gibt
seinem ganzen Schicksal eine entschiedene Richtung.
Man sollte also das Subjekt, das man wählt, so
genau als möglich kennen!

Das ist ein langer Brief, aber ich war Dir auch
auf so manchen wichtigen Fragepunkt Antwort
schuldig. Für heute nur noch das, daß Du Dei-
nen Woldemar ja nicht lange ohne männliche Ge-
sellschaft lassen mußt, da auch Dein Bruder Dich
jetzt verlassen hat, der ihm freilich den abwesenden
Vater ersetzen konnte, wie sonst keiner.

Soll ich Dir meines Herzens ganze Meynung
über Woldemar sagen, so ist es die: er muß nicht



lagen gewiß zu ſeyn, ehe Du es zu Jda’s Lebens-
gefährtin machſt. Der Menſch ſoll bei keinem
Dinge verzagter ſeyn, als wenn er die Rolle des
Schickſals für andere Weſen wiſſentlich übernimmt.
Freilich arbeitet ohnedies jeder Menſch an dem
Schickſale der Andern; aber mehr als Werkzeug
höherer Mächte. Wer aber armen Eltern ein Kind
abnimmt, und es in ſeinem Hauſe zum Wohlſtande
und zu höheren Lebensgenüſſen erzieht: der gibt
ſeinem ganzen Schickſal eine entſchiedene Richtung.
Man ſollte alſo das Subjekt, das man wählt, ſo
genau als möglich kennen!

Das iſt ein langer Brief, aber ich war Dir auch
auf ſo manchen wichtigen Fragepunkt Antwort
ſchuldig. Für heute nur noch das, daß Du Dei-
nen Woldemar ja nicht lange ohne männliche Ge-
ſellſchaft laſſen mußt, da auch Dein Bruder Dich
jetzt verlaſſen hat, der ihm freilich den abweſenden
Vater erſetzen konnte, wie ſonſt keiner.

Soll ich Dir meines Herzens ganze Meynung
über Woldemar ſagen, ſo iſt es die: er muß nicht

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[106/0120] lagen gewiß zu ſeyn, ehe Du es zu Jda’s Lebens- gefährtin machſt. Der Menſch ſoll bei keinem Dinge verzagter ſeyn, als wenn er die Rolle des Schickſals für andere Weſen wiſſentlich übernimmt. Freilich arbeitet ohnedies jeder Menſch an dem Schickſale der Andern; aber mehr als Werkzeug höherer Mächte. Wer aber armen Eltern ein Kind abnimmt, und es in ſeinem Hauſe zum Wohlſtande und zu höheren Lebensgenüſſen erzieht: der gibt ſeinem ganzen Schickſal eine entſchiedene Richtung. Man ſollte alſo das Subjekt, das man wählt, ſo genau als möglich kennen! Das iſt ein langer Brief, aber ich war Dir auch auf ſo manchen wichtigen Fragepunkt Antwort ſchuldig. Für heute nur noch das, daß Du Dei- nen Woldemar ja nicht lange ohne männliche Ge- ſellſchaft laſſen mußt, da auch Dein Bruder Dich jetzt verlaſſen hat, der ihm freilich den abweſenden Vater erſetzen konnte, wie ſonſt keiner. Soll ich Dir meines Herzens ganze Meynung über Woldemar ſagen, ſo iſt es die: er muß nicht

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/120>, abgerufen am 22.11.2024.