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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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I. Die functionelle Anpassung.
Muttermäler) und cavernösen Angiome (venöse Blutgefässge-
schwülste). Denn wir kennen für diese Theile ebensowenig
einen sicheren Grund, wie für alle anderen, welcher sie zu
besonderem Wachsthum anzuregen vermag, als welcher dies zu
verhindern vermöchte, und zeigen doch gerade die nach dem
Erwähnten bei der Gestaltbildung abhängigen Theile, die Binde-
oder Stützsubstanzen, Knochen, Knorpel und Bindegewebe, am
häufigsten Geschwulstbildungen, während die activ thätigen
Ganglienzellen, Nerven und Muskeln nur selten dazu kommen,
wahrscheinlich weil sie, wie später erörtert werden wird, zu
rasch und zu vollkommen unter die Herrschaft der functionellen
Reize gelangen, so dass sie ohne diese letzteren nicht leben,
also auch nicht wachsen und Geschwülste bilden können.

Also nur diejenigen Bildungen, welche ohne Einwirkung
oder Mitwirkung, oder nur soweit sie ohne solche Einwirkung
gestaltender functioneller Reize im Embryo entstehen, sind als
direkt vererbte zu bezeichnen.

Wenn wir einer erwachsenen Schnecke die Augen ab-
schneiden, so wachsen sie wieder, auch wenn die Schnecke
im Dunkeln gehalten wird. Die Neubildung des Auges ist also
ein embryonales Geschehen, welches sich hier am Erwachsenen
vollzieht, denn der Akt des Abschneidens kann nicht als wirk-
liche Ursache der Bildung eines Auges angesehen werden, son-
dern blos als Gelegenheitsursache. Die Gestaltung des Auges
erfolgt ohne äussere Ursache zufolge innerer Eigenschaften der
Theile. Der Fühler hat also ausser seiner Qualification als
Träger noch die embryonalen Eigenschaften zur Bildung eines
Auges bewahrt. Die Zellen oder blos bestimmte Zellen dieser
Thiere enthalten vielleicht, sei es etwa in ihrem Kerne oder in
der Umgebung desselben, noch wirkliche, nicht modificirte Reste
embryonaler Substanz, welche dann bei Defecten Gelegenheit
erhält, ihre bildnerischen Eigenschaften zu bethätigen.

I. Die functionelle Anpassung.
Muttermäler) und cavernösen Angiome (venöse Blutgefässge-
schwülste). Denn wir kennen für diese Theile ebensowenig
einen sicheren Grund, wie für alle anderen, welcher sie zu
besonderem Wachsthum anzuregen vermag, als welcher dies zu
verhindern vermöchte, und zeigen doch gerade die nach dem
Erwähnten bei der Gestaltbildung abhängigen Theile, die Binde-
oder Stützsubstanzen, Knochen, Knorpel und Bindegewebe, am
häufigsten Geschwulstbildungen, während die activ thätigen
Ganglienzellen, Nerven und Muskeln nur selten dazu kommen,
wahrscheinlich weil sie, wie später erörtert werden wird, zu
rasch und zu vollkommen unter die Herrschaft der functionellen
Reize gelangen, so dass sie ohne diese letzteren nicht leben,
also auch nicht wachsen und Geschwülste bilden können.

Also nur diejenigen Bildungen, welche ohne Einwirkung
oder Mitwirkung, oder nur soweit sie ohne solche Einwirkung
gestaltender functioneller Reize im Embryo entstehen, sind als
direkt vererbte zu bezeichnen.

Wenn wir einer erwachsenen Schnecke die Augen ab-
schneiden, so wachsen sie wieder, auch wenn die Schnecke
im Dunkeln gehalten wird. Die Neubildung des Auges ist also
ein embryonales Geschehen, welches sich hier am Erwachsenen
vollzieht, denn der Akt des Abschneidens kann nicht als wirk-
liche Ursache der Bildung eines Auges angesehen werden, son-
dern blos als Gelegenheitsursache. Die Gestaltung des Auges
erfolgt ohne äussere Ursache zufolge innerer Eigenschaften der
Theile. Der Fühler hat also ausser seiner Qualification als
Träger noch die embryonalen Eigenschaften zur Bildung eines
Auges bewahrt. Die Zellen oder blos bestimmte Zellen dieser
Thiere enthalten vielleicht, sei es etwa in ihrem Kerne oder in
der Umgebung desselben, noch wirkliche, nicht modificirte Reste
embryonaler Substanz, welche dann bei Defecten Gelegenheit
erhält, ihre bildnerischen Eigenschaften zu bethätigen.

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[54/0068] I. Die functionelle Anpassung. Muttermäler) und cavernösen Angiome (venöse Blutgefässge- schwülste). Denn wir kennen für diese Theile ebensowenig einen sicheren Grund, wie für alle anderen, welcher sie zu besonderem Wachsthum anzuregen vermag, als welcher dies zu verhindern vermöchte, und zeigen doch gerade die nach dem Erwähnten bei der Gestaltbildung abhängigen Theile, die Binde- oder Stützsubstanzen, Knochen, Knorpel und Bindegewebe, am häufigsten Geschwulstbildungen, während die activ thätigen Ganglienzellen, Nerven und Muskeln nur selten dazu kommen, wahrscheinlich weil sie, wie später erörtert werden wird, zu rasch und zu vollkommen unter die Herrschaft der functionellen Reize gelangen, so dass sie ohne diese letzteren nicht leben, also auch nicht wachsen und Geschwülste bilden können. Also nur diejenigen Bildungen, welche ohne Einwirkung oder Mitwirkung, oder nur soweit sie ohne solche Einwirkung gestaltender functioneller Reize im Embryo entstehen, sind als direkt vererbte zu bezeichnen. Wenn wir einer erwachsenen Schnecke die Augen ab- schneiden, so wachsen sie wieder, auch wenn die Schnecke im Dunkeln gehalten wird. Die Neubildung des Auges ist also ein embryonales Geschehen, welches sich hier am Erwachsenen vollzieht, denn der Akt des Abschneidens kann nicht als wirk- liche Ursache der Bildung eines Auges angesehen werden, son- dern blos als Gelegenheitsursache. Die Gestaltung des Auges erfolgt ohne äussere Ursache zufolge innerer Eigenschaften der Theile. Der Fühler hat also ausser seiner Qualification als Träger noch die embryonalen Eigenschaften zur Bildung eines Auges bewahrt. Die Zellen oder blos bestimmte Zellen dieser Thiere enthalten vielleicht, sei es etwa in ihrem Kerne oder in der Umgebung desselben, noch wirkliche, nicht modificirte Reste embryonaler Substanz, welche dann bei Defecten Gelegenheit erhält, ihre bildnerischen Eigenschaften zu bethätigen.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/68>, abgerufen am 27.11.2024.