Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Die functionelle Anpassung.
oder verminderten Gebrauch verschiedener Organe und in Folge
dessen zu ihrer Modification führen. In Folge lang fortgesetzter
Gewohnheit und noch besonders in Folge der gelegentlichen
Geburt von Individuen mit einer unbedeutend verschiedenen
Constitution werden Hausthiere und cultivirte Pflanzen in einer
gewissen Ausdehnung acclimatisirt."

Darwin räumt also in diesem Werke der Wirkung der
functionellen Anpassung einen viel erheblicheren Einfluss
auf die Umbildung der Organismen neben der natürlichen Zucht-
wahl ein, als in der "Entstehung der Arten" und, da diese Ver-
änderungen durch functionelle Anpassung direct zweckmässig
sind, so anerkennt er damit ein Princip, welches auf viel kür-
zerem Wege als die Zuchtwahl ganz direct das Zweckmässige
hervorbringt, somit also letzterer die stärkste Concurrenz macht
und den Anschein erweckt, den glücklich für beseitigt gehal-
tenen Dualismus wieder einführen zu wollen.

Schon A. W. Volkmann sagt 1): "Die Zuchtwahl reicht auch
nicht aus, die wechselseitige Abhängigkeit der Organe zu er-
klären." Er erinnert dafür an den Ausspruch Cuvier's, dass
man nur das Kiefergelenk eines Säugers zu untersuchen brauche,
um zu ermitteln, ob man die Knochen eines Fleischfressers,
eines Wiederkäuers oder eines Nagers vor sich habe.

Der Umfang der Wirkung des öfteren Gebrauches in
Bezug auf das Vorkommen an den einzelnen Organen ist durch
die Beispiele Darwin's vollkommen erschöpft; denn er zeigt die
Wirkungen an allen Organen, sogar für diejenigen Organe, für
welche er eine directe Umgestaltung oder Functionsstärkung
nicht nachgewiesen hat, für die Sinnesorgane, nimmt er sie an.
Wir vermögen aber in diesen Fällen nicht zu unterscheiden,
ob die Sinnesorgane selber schärfer geworden sind, oder ob

1) Sitzungsber. der naturforsch. Gesellschaft zu Halle. Juli 1874.

I. Die functionelle Anpassung.
oder verminderten Gebrauch verschiedener Organe und in Folge
dessen zu ihrer Modification führen. In Folge lang fortgesetzter
Gewohnheit und noch besonders in Folge der gelegentlichen
Geburt von Individuen mit einer unbedeutend verschiedenen
Constitution werden Hausthiere und cultivirte Pflanzen in einer
gewissen Ausdehnung acclimatisirt.«

Darwin räumt also in diesem Werke der Wirkung der
functionellen Anpassung einen viel erheblicheren Einfluss
auf die Umbildung der Organismen neben der natürlichen Zucht-
wahl ein, als in der »Entstehung der Arten« und, da diese Ver-
änderungen durch functionelle Anpassung direct zweckmässig
sind, so anerkennt er damit ein Princip, welches auf viel kür-
zerem Wege als die Zuchtwahl ganz direct das Zweckmässige
hervorbringt, somit also letzterer die stärkste Concurrenz macht
und den Anschein erweckt, den glücklich für beseitigt gehal-
tenen Dualismus wieder einführen zu wollen.

Schon A. W. Volkmann sagt 1): »Die Zuchtwahl reicht auch
nicht aus, die wechselseitige Abhängigkeit der Organe zu er-
klären.« Er erinnert dafür an den Ausspruch Cuvier’s, dass
man nur das Kiefergelenk eines Säugers zu untersuchen brauche,
um zu ermitteln, ob man die Knochen eines Fleischfressers,
eines Wiederkäuers oder eines Nagers vor sich habe.

Der Umfang der Wirkung des öfteren Gebrauches in
Bezug auf das Vorkommen an den einzelnen Organen ist durch
die Beispiele Darwin’s vollkommen erschöpft; denn er zeigt die
Wirkungen an allen Organen, sogar für diejenigen Organe, für
welche er eine directe Umgestaltung oder Functionsstärkung
nicht nachgewiesen hat, für die Sinnesorgane, nimmt er sie an.
Wir vermögen aber in diesen Fällen nicht zu unterscheiden,
ob die Sinnesorgane selber schärfer geworden sind, oder ob

1) Sitzungsber. der naturforsch. Gesellschaft zu Halle. Juli 1874.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="12"/><fw place="top" type="header">I. Die functionelle Anpassung.</fw><lb/>
oder verminderten Gebrauch verschiedener Organe und in Folge<lb/>
dessen zu ihrer Modification führen. In Folge lang fortgesetzter<lb/>
Gewohnheit und noch besonders in Folge der gelegentlichen<lb/>
Geburt von Individuen mit einer unbedeutend verschiedenen<lb/>
Constitution werden Hausthiere und cultivirte Pflanzen in einer<lb/>
gewissen Ausdehnung acclimatisirt.«</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Darwin</hi> räumt also in diesem Werke der Wirkung der<lb/><hi rendition="#g">functionellen Anpassung</hi> einen viel erheblicheren Einfluss<lb/>
auf die Umbildung der Organismen neben der natürlichen Zucht-<lb/>
wahl ein, als in der »Entstehung der Arten« und, da diese Ver-<lb/>
änderungen durch functionelle Anpassung direct zweckmässig<lb/>
sind, so anerkennt er damit ein Princip, welches auf viel kür-<lb/>
zerem Wege als die Zuchtwahl ganz direct das Zweckmässige<lb/>
hervorbringt, somit also letzterer die stärkste Concurrenz macht<lb/>
und den Anschein erweckt, den glücklich für beseitigt gehal-<lb/>
tenen Dualismus wieder einführen zu wollen.</p><lb/>
          <p>Schon A. W. <hi rendition="#g">Volkmann</hi> sagt <note place="foot" n="1)">Sitzungsber. der naturforsch. Gesellschaft zu Halle. Juli 1874.</note>: »Die Zuchtwahl reicht auch<lb/>
nicht aus, die wechselseitige Abhängigkeit der Organe zu er-<lb/>
klären.« Er erinnert dafür an den Ausspruch <hi rendition="#g">Cuvier</hi>&#x2019;s, dass<lb/>
man nur das Kiefergelenk eines Säugers zu untersuchen brauche,<lb/>
um zu ermitteln, ob man die Knochen eines Fleischfressers,<lb/>
eines Wiederkäuers oder eines Nagers vor sich habe.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#g">Umfang der Wirkung</hi> des öfteren Gebrauches in<lb/>
Bezug auf das Vorkommen an den einzelnen Organen ist durch<lb/>
die Beispiele <hi rendition="#g">Darwin</hi>&#x2019;s vollkommen erschöpft; denn er zeigt die<lb/>
Wirkungen an allen Organen, sogar für diejenigen Organe, für<lb/>
welche er eine directe Umgestaltung oder Functionsstärkung<lb/>
nicht nachgewiesen hat, für die Sinnesorgane, nimmt er sie an.<lb/>
Wir vermögen aber in diesen Fällen nicht zu unterscheiden,<lb/>
ob die Sinnesorgane selber schärfer geworden sind, oder ob<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0026] I. Die functionelle Anpassung. oder verminderten Gebrauch verschiedener Organe und in Folge dessen zu ihrer Modification führen. In Folge lang fortgesetzter Gewohnheit und noch besonders in Folge der gelegentlichen Geburt von Individuen mit einer unbedeutend verschiedenen Constitution werden Hausthiere und cultivirte Pflanzen in einer gewissen Ausdehnung acclimatisirt.« Darwin räumt also in diesem Werke der Wirkung der functionellen Anpassung einen viel erheblicheren Einfluss auf die Umbildung der Organismen neben der natürlichen Zucht- wahl ein, als in der »Entstehung der Arten« und, da diese Ver- änderungen durch functionelle Anpassung direct zweckmässig sind, so anerkennt er damit ein Princip, welches auf viel kür- zerem Wege als die Zuchtwahl ganz direct das Zweckmässige hervorbringt, somit also letzterer die stärkste Concurrenz macht und den Anschein erweckt, den glücklich für beseitigt gehal- tenen Dualismus wieder einführen zu wollen. Schon A. W. Volkmann sagt 1): »Die Zuchtwahl reicht auch nicht aus, die wechselseitige Abhängigkeit der Organe zu er- klären.« Er erinnert dafür an den Ausspruch Cuvier’s, dass man nur das Kiefergelenk eines Säugers zu untersuchen brauche, um zu ermitteln, ob man die Knochen eines Fleischfressers, eines Wiederkäuers oder eines Nagers vor sich habe. Der Umfang der Wirkung des öfteren Gebrauches in Bezug auf das Vorkommen an den einzelnen Organen ist durch die Beispiele Darwin’s vollkommen erschöpft; denn er zeigt die Wirkungen an allen Organen, sogar für diejenigen Organe, für welche er eine directe Umgestaltung oder Functionsstärkung nicht nachgewiesen hat, für die Sinnesorgane, nimmt er sie an. Wir vermögen aber in diesen Fällen nicht zu unterscheiden, ob die Sinnesorgane selber schärfer geworden sind, oder ob 1) Sitzungsber. der naturforsch. Gesellschaft zu Halle. Juli 1874.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/26
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/26>, abgerufen am 24.11.2024.