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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
scopischer Theile und Neubildung an deren Stelle besteht.
Ausserdem wissen wir, dass in der That bei Inactivität die
Knochen schwächer werden, indem die einzelnen Bälkchen sich
verdünnen und vermindern und so das ganze Organ schwächer
wird. Eines der treffendsten Beispiele von Inactivitätsatrophie
der Knochen bietet der vollkommene Schwund der Zahn-
fortsätze der Kiefer nach dem Ausfallen der Zähne im Greisen-
alter, durch welchen z. B. der Unterkiefer um 11/2 bis 2 cm
seiner Höhe erniedrigt und dadurch zu einer runden Spange
von Bleistiftstärke reducirt wird. Diese Atrophie nun lässt sich
in derselben Weise erklären, wie die Atrophie der Arbeitsorgane,
indem bei Mangel des functionellen Reizes weniger oder kein
Knochen neu gebildet wird, während die Knochenauflösung
entweder dieselbe bleibt, oder nur weniger sich verringert.
Welchen Gesetzen aber diese Knochenauflösung im Kampf der
Osteoklasten gegen die Knochensubstanz folgt, an welchen
Stellen sie stärker angreift, ob vielleicht an den Stellen, welche
nicht mehr genügend durch den Reiz getroffen werden, oder an
denen, welche schon lange fungirt haben, darüber ist nichts
bekannt.

Ueber den Stoffwechsel und die physiologische Regenera-
tion des Bindegewebes haben wir gleichfalls keine Kenntniss;
aber vorkommende Atrophieen deuten auf einen Stoffwechsel
des Gewebes hin, und es ist das Wahrscheinlichste, dass auch
hier der Vorgang ähnlich wie bei den Knochen stattfindet, dass
hier vielleicht die weissen Blutzellen normaler Weise, wie sie
es bei der Entzündung pathologisch thun, die Fasern auflösen,
während der verringerte functionelle Reiz die Bindegewebszel-
len nur in zum Ersatze ungenügendem Maasse veranlasst, neue
Fasern abzuscheiden.

Werden so alle Grössenverhältnisse in einer den physio-
logischen Bedürfnissen entsprechenden Weise auf dem Wege

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
scopischer Theile und Neubildung an deren Stelle besteht.
Ausserdem wissen wir, dass in der That bei Inactivität die
Knochen schwächer werden, indem die einzelnen Bälkchen sich
verdünnen und vermindern und so das ganze Organ schwächer
wird. Eines der treffendsten Beispiele von Inactivitätsatrophie
der Knochen bietet der vollkommene Schwund der Zahn-
fortsätze der Kiefer nach dem Ausfallen der Zähne im Greisen-
alter, durch welchen z. B. der Unterkiefer um 1½ bis 2 cm
seiner Höhe erniedrigt und dadurch zu einer runden Spange
von Bleistiftstärke reducirt wird. Diese Atrophie nun lässt sich
in derselben Weise erklären, wie die Atrophie der Arbeitsorgane,
indem bei Mangel des functionellen Reizes weniger oder kein
Knochen neu gebildet wird, während die Knochenauflösung
entweder dieselbe bleibt, oder nur weniger sich verringert.
Welchen Gesetzen aber diese Knochenauflösung im Kampf der
Osteoklasten gegen die Knochensubstanz folgt, an welchen
Stellen sie stärker angreift, ob vielleicht an den Stellen, welche
nicht mehr genügend durch den Reiz getroffen werden, oder an
denen, welche schon lange fungirt haben, darüber ist nichts
bekannt.

Ueber den Stoffwechsel und die physiologische Regenera-
tion des Bindegewebes haben wir gleichfalls keine Kenntniss;
aber vorkommende Atrophieen deuten auf einen Stoffwechsel
des Gewebes hin, und es ist das Wahrscheinlichste, dass auch
hier der Vorgang ähnlich wie bei den Knochen stattfindet, dass
hier vielleicht die weissen Blutzellen normaler Weise, wie sie
es bei der Entzündung pathologisch thun, die Fasern auflösen,
während der verringerte functionelle Reiz die Bindegewebszel-
len nur in zum Ersatze ungenügendem Maasse veranlasst, neue
Fasern abzuscheiden.

Werden so alle Grössenverhältnisse in einer den physio-
logischen Bedürfnissen entsprechenden Weise auf dem Wege

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[184/0198] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. scopischer Theile und Neubildung an deren Stelle besteht. Ausserdem wissen wir, dass in der That bei Inactivität die Knochen schwächer werden, indem die einzelnen Bälkchen sich verdünnen und vermindern und so das ganze Organ schwächer wird. Eines der treffendsten Beispiele von Inactivitätsatrophie der Knochen bietet der vollkommene Schwund der Zahn- fortsätze der Kiefer nach dem Ausfallen der Zähne im Greisen- alter, durch welchen z. B. der Unterkiefer um 1½ bis 2 cm seiner Höhe erniedrigt und dadurch zu einer runden Spange von Bleistiftstärke reducirt wird. Diese Atrophie nun lässt sich in derselben Weise erklären, wie die Atrophie der Arbeitsorgane, indem bei Mangel des functionellen Reizes weniger oder kein Knochen neu gebildet wird, während die Knochenauflösung entweder dieselbe bleibt, oder nur weniger sich verringert. Welchen Gesetzen aber diese Knochenauflösung im Kampf der Osteoklasten gegen die Knochensubstanz folgt, an welchen Stellen sie stärker angreift, ob vielleicht an den Stellen, welche nicht mehr genügend durch den Reiz getroffen werden, oder an denen, welche schon lange fungirt haben, darüber ist nichts bekannt. Ueber den Stoffwechsel und die physiologische Regenera- tion des Bindegewebes haben wir gleichfalls keine Kenntniss; aber vorkommende Atrophieen deuten auf einen Stoffwechsel des Gewebes hin, und es ist das Wahrscheinlichste, dass auch hier der Vorgang ähnlich wie bei den Knochen stattfindet, dass hier vielleicht die weissen Blutzellen normaler Weise, wie sie es bei der Entzündung pathologisch thun, die Fasern auflösen, während der verringerte functionelle Reiz die Bindegewebszel- len nur in zum Ersatze ungenügendem Maasse veranlasst, neue Fasern abzuscheiden. Werden so alle Grössenverhältnisse in einer den physio- logischen Bedürfnissen entsprechenden Weise auf dem Wege

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/198>, abgerufen am 03.05.2024.