Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Auges aus dem Stumpf des Tentakels einer Schnecke, sondern
ohne Mitwirkung bestimmter Vererbung durch äussere Einwir-
kungen. Aber die so constatirbaren Gewebsdifferenzirungen
in Folge bekannter Ursachen beschränken sich vor der Hand
nur auf Umbildungen der verschiedenen Bindesubstanzformen
in einander.

Kann somit auch über die vormaligen Ursachen der phy-
logenetischen Gewebsdifferenzirungen, da letztere gegenwärtig
vererbt werden und uns jegliches Verständniss für die Selbst-
differenzirung im Embryo fehlt, heut zu Tage nichts Sicheres
festgestellt werden, so erscheint es doch nicht überflüssig, noch
einige weitere Betrachtungen darüber anzustellen.

Die verschiedenen Gewebe werden von verschiedenen func-
tionellen Reizen getroffen, welche eine chemische Umänderung
in den Zellen derselben hervorbringen können, sei es nun eine
Erregung, welche mit Stoffumsatz in der Form des Verbrauches
verbunden ist, wie bei den Muskel-, Ganglien-, Nerven- und
Sinneszellen, oder eine Erregung, welche vorwiegend mit Aus-
scheidung einhergeht, wie bei den Drüsen unter Abscheidung
des Secretes, bei den Stützsubstanzen unter Abscheidung von
Intercellularsubstanz.

Es liegt uns nun daran, zu erörtern, ob diese die spe-
cifische Function veranlassenden Reize bei der
ursprünglichen Gewebsdifferenzirung mitgewirkt
haben können
, ob also auch hier eine Art Selbstgestaltung,
Selbstdifferenzirung stattgehabt haben kann, oder ob die Ent-
stehung der entsprechenden Verschiedenheiten ganz allein auf
zufällige Variationen der Organismen und Erhaltung der Va-
rietäten durch den Nutzen für das ganze Individuum, also rein
auf Darwin's und Wallace's Principien zurückzuführen sind.
Hierbei wird uns das im II. Kapitel über den Kampf der
Theile Entwickelte zu statten kommen und wir werden uns

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Auges aus dem Stumpf des Tentakels einer Schnecke, sondern
ohne Mitwirkung bestimmter Vererbung durch äussere Einwir-
kungen. Aber die so constatirbaren Gewebsdifferenzirungen
in Folge bekannter Ursachen beschränken sich vor der Hand
nur auf Umbildungen der verschiedenen Bindesubstanzformen
in einander.

Kann somit auch über die vormaligen Ursachen der phy-
logenetischen Gewebsdifferenzirungen, da letztere gegenwärtig
vererbt werden und uns jegliches Verständniss für die Selbst-
differenzirung im Embryo fehlt, heut zu Tage nichts Sicheres
festgestellt werden, so erscheint es doch nicht überflüssig, noch
einige weitere Betrachtungen darüber anzustellen.

Die verschiedenen Gewebe werden von verschiedenen func-
tionellen Reizen getroffen, welche eine chemische Umänderung
in den Zellen derselben hervorbringen können, sei es nun eine
Erregung, welche mit Stoffumsatz in der Form des Verbrauches
verbunden ist, wie bei den Muskel-, Ganglien-, Nerven- und
Sinneszellen, oder eine Erregung, welche vorwiegend mit Aus-
scheidung einhergeht, wie bei den Drüsen unter Abscheidung
des Secretes, bei den Stützsubstanzen unter Abscheidung von
Intercellularsubstanz.

Es liegt uns nun daran, zu erörtern, ob diese die spe-
cifische Function veranlassenden Reize bei der
ursprünglichen Gewebsdifferenzirung mitgewirkt
haben können
, ob also auch hier eine Art Selbstgestaltung,
Selbstdifferenzirung stattgehabt haben kann, oder ob die Ent-
stehung der entsprechenden Verschiedenheiten ganz allein auf
zufällige Variationen der Organismen und Erhaltung der Va-
rietäten durch den Nutzen für das ganze Individuum, also rein
auf Darwin’s und Wallace’s Principien zurückzuführen sind.
Hierbei wird uns das im II. Kapitel über den Kampf der
Theile Entwickelte zu statten kommen und wir werden uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0182" n="168"/><fw place="top" type="header">IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.</fw><lb/>
Auges aus dem Stumpf des Tentakels einer Schnecke, sondern<lb/>
ohne Mitwirkung bestimmter Vererbung durch äussere Einwir-<lb/>
kungen. Aber die so constatirbaren Gewebsdifferenzirungen<lb/>
in Folge bekannter Ursachen beschränken sich vor der Hand<lb/>
nur auf Umbildungen der verschiedenen Bindesubstanzformen<lb/>
in einander.</p><lb/>
        <p>Kann somit auch über die vormaligen Ursachen der phy-<lb/>
logenetischen Gewebsdifferenzirungen, da letztere gegenwärtig<lb/>
vererbt werden und uns jegliches Verständniss für die Selbst-<lb/>
differenzirung im Embryo fehlt, heut zu Tage nichts Sicheres<lb/>
festgestellt werden, so erscheint es doch nicht überflüssig, noch<lb/>
einige weitere Betrachtungen darüber anzustellen.</p><lb/>
        <p>Die verschiedenen Gewebe werden von verschiedenen func-<lb/>
tionellen Reizen getroffen, welche eine chemische Umänderung<lb/>
in den Zellen derselben hervorbringen können, sei es nun eine<lb/>
Erregung, welche mit Stoffumsatz in der Form des Verbrauches<lb/>
verbunden ist, wie bei den Muskel-, Ganglien-, Nerven- und<lb/>
Sinneszellen, oder eine Erregung, welche vorwiegend mit Aus-<lb/>
scheidung einhergeht, wie bei den Drüsen unter Abscheidung<lb/>
des Secretes, bei den Stützsubstanzen unter Abscheidung von<lb/>
Intercellularsubstanz.</p><lb/>
        <p>Es liegt uns nun daran, zu erörtern, <hi rendition="#g">ob diese die spe-<lb/>
cifische Function veranlassenden Reize bei der<lb/>
ursprünglichen Gewebsdifferenzirung mitgewirkt<lb/>
haben können</hi>, ob also auch hier eine Art Selbstgestaltung,<lb/>
Selbstdifferenzirung stattgehabt haben kann, oder ob die Ent-<lb/>
stehung der entsprechenden Verschiedenheiten ganz allein auf<lb/>
zufällige Variationen der Organismen und Erhaltung der Va-<lb/>
rietäten durch den Nutzen für das ganze Individuum, also rein<lb/>
auf <hi rendition="#g">Darwin&#x2019;s</hi> und <hi rendition="#g">Wallace&#x2019;s</hi> Principien zurückzuführen sind.<lb/>
Hierbei wird uns das im II. Kapitel über den Kampf der<lb/>
Theile Entwickelte zu statten kommen und wir werden uns<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0182] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. Auges aus dem Stumpf des Tentakels einer Schnecke, sondern ohne Mitwirkung bestimmter Vererbung durch äussere Einwir- kungen. Aber die so constatirbaren Gewebsdifferenzirungen in Folge bekannter Ursachen beschränken sich vor der Hand nur auf Umbildungen der verschiedenen Bindesubstanzformen in einander. Kann somit auch über die vormaligen Ursachen der phy- logenetischen Gewebsdifferenzirungen, da letztere gegenwärtig vererbt werden und uns jegliches Verständniss für die Selbst- differenzirung im Embryo fehlt, heut zu Tage nichts Sicheres festgestellt werden, so erscheint es doch nicht überflüssig, noch einige weitere Betrachtungen darüber anzustellen. Die verschiedenen Gewebe werden von verschiedenen func- tionellen Reizen getroffen, welche eine chemische Umänderung in den Zellen derselben hervorbringen können, sei es nun eine Erregung, welche mit Stoffumsatz in der Form des Verbrauches verbunden ist, wie bei den Muskel-, Ganglien-, Nerven- und Sinneszellen, oder eine Erregung, welche vorwiegend mit Aus- scheidung einhergeht, wie bei den Drüsen unter Abscheidung des Secretes, bei den Stützsubstanzen unter Abscheidung von Intercellularsubstanz. Es liegt uns nun daran, zu erörtern, ob diese die spe- cifische Function veranlassenden Reize bei der ursprünglichen Gewebsdifferenzirung mitgewirkt haben können, ob also auch hier eine Art Selbstgestaltung, Selbstdifferenzirung stattgehabt haben kann, oder ob die Ent- stehung der entsprechenden Verschiedenheiten ganz allein auf zufällige Variationen der Organismen und Erhaltung der Va- rietäten durch den Nutzen für das ganze Individuum, also rein auf Darwin’s und Wallace’s Principien zurückzuführen sind. Hierbei wird uns das im II. Kapitel über den Kampf der Theile Entwickelte zu statten kommen und wir werden uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/182
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/182>, abgerufen am 03.05.2024.