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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Es mag absurd klingen, ist aber dennoch wahr, daß es leichter sei, in
jedem anderen Verwaltungszweig einen klaren Einblick zu gewinnen als in
das viele Jahrzehende überspannende Netz des Wirthschaftsplanes eines Forst-
reviers, der obendrein wie kein anderer durch mancherlei Zwischenfälle --
Windbruch, Insektenschäden, Waldbrand -- durchkreuzt werden kann und
doch im großen Ganzen aufrecht erhalten werden muß.

Wissenschaftliche Vorbildung ist darum einer gedeihlichen Forstwirth-
schaft nicht nur in demselben sondern in einem noch höheren Grade nöthig
als der Landwirthschaft. Bei letzterer kann der aufmerksame Routinier dem
wissenschaftlich Gebildeten in seinen Erfolgen sehr nahe kommen, ohne auf
dem Wege zu diesem Ziele allzugroße Verluste zu wagen, weil Uebelstände
und Fehler sich oft schon im nächsten Jahre wieder gut machen lassen.
Wir wissen, daß sich es in der Forstverwaltung bei verkehrter Oberleitung
um ein gut Stück Zukunft eines Volkes handeln kann.

Der Mann, dessen Gedächtnisse dieses Buch gewidmet ist, steht der
großen Mehrheit seines Volkes, welche ihn nicht kennt, sehr fern und doch
stand er sein langes Leben hindurch dem Wohle dieses Volkes treu zur
Seite; und wenn auch die Forstwirthschaft, die sich namentlich an seinen
Namen und die Namen Pfeil und Hartig knüpft, der neueren Ge-
staltung dieser Wissenschaft nicht überall mehr genügt, so sind Die, welche
zu diesem Fortschritte führen, von den Schultern Jener ausgegangen und
es beweist gerade dieser Fortschritt aus sich selbst schon seine innere Be-
rechtigung und Nothwendigkeit. Dieses Aussichselbstbeweisen hat seinen
Grund darin, daß dieser Fortschritt nicht das Ergebniß eines eiteln ruhm-
süchtigen Experimentirens und eines Prahlens mit günstigen -- vielleicht
den Geheimnissen des Zufalls geschuldeten -- Erfolgen ist; denn wer
hierauf ausgeht, der findet in der nur langsam ihren Willen kundgebenden
Waldnatur wenig Reiz und wenig Lohn. Der forstwirthschaftliche Fort-
schritt ist das Ergebniß geduldvollster, verzichtleistender Erwägung und
Berechnung einer dem Unkundigen undenkbaren Menge von Eventualitäten,
angestellt im Interesse nicht des eigenen Wohls, nicht des Wohls der
Mitlebenden, sondern der Nachlebenden, die also nicht dankbar sein können,
von denen kein Ruhm zu ernten ist. Und eben hierin beruht die reine
und erhabene Selbstverständlichkeit der Berechtigung des forstlichen Vorwärts.

Es mag abſurd klingen, iſt aber dennoch wahr, daß es leichter ſei, in
jedem anderen Verwaltungszweig einen klaren Einblick zu gewinnen als in
das viele Jahrzehende überſpannende Netz des Wirthſchaftsplanes eines Forſt-
reviers, der obendrein wie kein anderer durch mancherlei Zwiſchenfälle —
Windbruch, Inſektenſchäden, Waldbrand — durchkreuzt werden kann und
doch im großen Ganzen aufrecht erhalten werden muß.

Wiſſenſchaftliche Vorbildung iſt darum einer gedeihlichen Forſtwirth-
ſchaft nicht nur in demſelben ſondern in einem noch höheren Grade nöthig
als der Landwirthſchaft. Bei letzterer kann der aufmerkſame Routinier dem
wiſſenſchaftlich Gebildeten in ſeinen Erfolgen ſehr nahe kommen, ohne auf
dem Wege zu dieſem Ziele allzugroße Verluſte zu wagen, weil Uebelſtände
und Fehler ſich oft ſchon im nächſten Jahre wieder gut machen laſſen.
Wir wiſſen, daß ſich es in der Forſtverwaltung bei verkehrter Oberleitung
um ein gut Stück Zukunft eines Volkes handeln kann.

Der Mann, deſſen Gedächtniſſe dieſes Buch gewidmet iſt, ſteht der
großen Mehrheit ſeines Volkes, welche ihn nicht kennt, ſehr fern und doch
ſtand er ſein langes Leben hindurch dem Wohle dieſes Volkes treu zur
Seite; und wenn auch die Forſtwirthſchaft, die ſich namentlich an ſeinen
Namen und die Namen Pfeil und Hartig knüpft, der neueren Ge-
ſtaltung dieſer Wiſſenſchaft nicht überall mehr genügt, ſo ſind Die, welche
zu dieſem Fortſchritte führen, von den Schultern Jener ausgegangen und
es beweiſt gerade dieſer Fortſchritt aus ſich ſelbſt ſchon ſeine innere Be-
rechtigung und Nothwendigkeit. Dieſes Ausſichſelbſtbeweiſen hat ſeinen
Grund darin, daß dieſer Fortſchritt nicht das Ergebniß eines eiteln ruhm-
ſüchtigen Experimentirens und eines Prahlens mit günſtigen — vielleicht
den Geheimniſſen des Zufalls geſchuldeten — Erfolgen iſt; denn wer
hierauf ausgeht, der findet in der nur langſam ihren Willen kundgebenden
Waldnatur wenig Reiz und wenig Lohn. Der forſtwirthſchaftliche Fort-
ſchritt iſt das Ergebniß geduldvollſter, verzichtleiſtender Erwägung und
Berechnung einer dem Unkundigen undenkbaren Menge von Eventualitäten,
angeſtellt im Intereſſe nicht des eigenen Wohls, nicht des Wohls der
Mitlebenden, ſondern der Nachlebenden, die alſo nicht dankbar ſein können,
von denen kein Ruhm zu ernten iſt. Und eben hierin beruht die reine
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[582/0638] Es mag abſurd klingen, iſt aber dennoch wahr, daß es leichter ſei, in jedem anderen Verwaltungszweig einen klaren Einblick zu gewinnen als in das viele Jahrzehende überſpannende Netz des Wirthſchaftsplanes eines Forſt- reviers, der obendrein wie kein anderer durch mancherlei Zwiſchenfälle — Windbruch, Inſektenſchäden, Waldbrand — durchkreuzt werden kann und doch im großen Ganzen aufrecht erhalten werden muß. Wiſſenſchaftliche Vorbildung iſt darum einer gedeihlichen Forſtwirth- ſchaft nicht nur in demſelben ſondern in einem noch höheren Grade nöthig als der Landwirthſchaft. Bei letzterer kann der aufmerkſame Routinier dem wiſſenſchaftlich Gebildeten in ſeinen Erfolgen ſehr nahe kommen, ohne auf dem Wege zu dieſem Ziele allzugroße Verluſte zu wagen, weil Uebelſtände und Fehler ſich oft ſchon im nächſten Jahre wieder gut machen laſſen. Wir wiſſen, daß ſich es in der Forſtverwaltung bei verkehrter Oberleitung um ein gut Stück Zukunft eines Volkes handeln kann. Der Mann, deſſen Gedächtniſſe dieſes Buch gewidmet iſt, ſteht der großen Mehrheit ſeines Volkes, welche ihn nicht kennt, ſehr fern und doch ſtand er ſein langes Leben hindurch dem Wohle dieſes Volkes treu zur Seite; und wenn auch die Forſtwirthſchaft, die ſich namentlich an ſeinen Namen und die Namen Pfeil und Hartig knüpft, der neueren Ge- ſtaltung dieſer Wiſſenſchaft nicht überall mehr genügt, ſo ſind Die, welche zu dieſem Fortſchritte führen, von den Schultern Jener ausgegangen und es beweiſt gerade dieſer Fortſchritt aus ſich ſelbſt ſchon ſeine innere Be- rechtigung und Nothwendigkeit. Dieſes Ausſichſelbſtbeweiſen hat ſeinen Grund darin, daß dieſer Fortſchritt nicht das Ergebniß eines eiteln ruhm- ſüchtigen Experimentirens und eines Prahlens mit günſtigen — vielleicht den Geheimniſſen des Zufalls geſchuldeten — Erfolgen iſt; denn wer hierauf ausgeht, der findet in der nur langſam ihren Willen kundgebenden Waldnatur wenig Reiz und wenig Lohn. Der forſtwirthſchaftliche Fort- ſchritt iſt das Ergebniß geduldvollſter, verzichtleiſtender Erwägung und Berechnung einer dem Unkundigen undenkbaren Menge von Eventualitäten, angeſtellt im Intereſſe nicht des eigenen Wohls, nicht des Wohls der Mitlebenden, ſondern der Nachlebenden, die alſo nicht dankbar ſein können, von denen kein Ruhm zu ernten iſt. Und eben hierin beruht die reine und erhabene Selbſtverſtändlichkeit der Berechtigung des forſtlichen Vorwärts.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/638>, abgerufen am 06.06.2024.