Linden von 300--500 Jahren scheinen in Deutschland nicht eben selten zu sein, obgleich, wie schon bemerkt, große Linden, wie überhaupt auch andere große Bäume im Alter meist überschätzt werden.
Die ungewöhnliche Gestalt mancher Lindenbäume mag ihnen -- was jedoch jetzt nicht auf die Annaberger bezogen werden soll -- von Jugend auf künstlich gegeben worden sein. Dies gilt vielleicht von einer 171/2 Fuß Stammumfang zeigenden Winterlinde bei Oldenburg, welche in einer Stammhöhe von 10 Fuß eine ganz horizontal scheibenförmige Krone und darüber eine zweite, bis etwa 65 F. hoch reichende mit starken aufwärts ge- richteten Aesten hat. Die Aeste der unteren Krone werden von 16 hölzernen Säulen getragen.
Indem wir mit den Linden die Reihe unserer deutschen Holzpflanzen -- um einen umfassenden Begriff zu wählen -- beschließen, darf nicht ver- schwiegen werden, daß nicht nur eben diese Fassung des Begriffs uns eigentlich veranlassen müßte, noch andere "Holzpflanzen" aufzuführen, und daß, was schon im 4. Abschnitt (S. 25) hervorgehoben wurde, der "Waldboden" noch für eine große Menge anderer Gewächse Raum hat, welche nicht unwesentlich dazu beitragen, uns den Begriff des Waldes ab- zurunden, ihm gewissermaßen als Basis zu dienen. Wir haben in jenem Abschnitte gelernt, daß ein gesundes Gedeihen des Waldes ohne diese "Waldkräuter" -- nach der botanischen Fassung freilich nur zum Theil Kräuter im engeren Sinne -- kaum denkbar ist, und ihre zusammenfassende Bezeichnung "Bodendecke" hat nicht blos eine örtliche, sondern eine wichtige Lebensbedeutung. Indem Moose und Flechten, Gräser und Kräuter mit den Bäumen aus Einer Quelle ihre Nahrung schöpfen, sind sie die Schwächeren zugleich die Beschützer der Starken und zahlen diesen reich- lich ihre Schuld für die Beschirmung heim, deren sie bedürftig sind.
Wir verlassen den pflanzenbeschreibenden Theil unserer Waldstudien, denn es würde ein bedeutender Theil der deutschen Pflanzenwelt nun noch geschildert werden müssen, wollten wir alle Pflanzenschätze des Waldes, auch nur von wenigen kennzeichnenden Worten begleitet, aufzählen. Nur
Linden von 300—500 Jahren ſcheinen in Deutſchland nicht eben ſelten zu ſein, obgleich, wie ſchon bemerkt, große Linden, wie überhaupt auch andere große Bäume im Alter meiſt überſchätzt werden.
Die ungewöhnliche Geſtalt mancher Lindenbäume mag ihnen — was jedoch jetzt nicht auf die Annaberger bezogen werden ſoll — von Jugend auf künſtlich gegeben worden ſein. Dies gilt vielleicht von einer 17½ Fuß Stammumfang zeigenden Winterlinde bei Oldenburg, welche in einer Stammhöhe von 10 Fuß eine ganz horizontal ſcheibenförmige Krone und darüber eine zweite, bis etwa 65 F. hoch reichende mit ſtarken aufwärts ge- richteten Aeſten hat. Die Aeſte der unteren Krone werden von 16 hölzernen Säulen getragen.
Indem wir mit den Linden die Reihe unſerer deutſchen Holzpflanzen — um einen umfaſſenden Begriff zu wählen — beſchließen, darf nicht ver- ſchwiegen werden, daß nicht nur eben dieſe Faſſung des Begriffs uns eigentlich veranlaſſen müßte, noch andere „Holzpflanzen“ aufzuführen, und daß, was ſchon im 4. Abſchnitt (S. 25) hervorgehoben wurde, der „Waldboden“ noch für eine große Menge anderer Gewächſe Raum hat, welche nicht unweſentlich dazu beitragen, uns den Begriff des Waldes ab- zurunden, ihm gewiſſermaßen als Baſis zu dienen. Wir haben in jenem Abſchnitte gelernt, daß ein geſundes Gedeihen des Waldes ohne dieſe „Waldkräuter“ — nach der botaniſchen Faſſung freilich nur zum Theil Kräuter im engeren Sinne — kaum denkbar iſt, und ihre zuſammenfaſſende Bezeichnung „Bodendecke“ hat nicht blos eine örtliche, ſondern eine wichtige Lebensbedeutung. Indem Mooſe und Flechten, Gräſer und Kräuter mit den Bäumen aus Einer Quelle ihre Nahrung ſchöpfen, ſind ſie die Schwächeren zugleich die Beſchützer der Starken und zahlen dieſen reich- lich ihre Schuld für die Beſchirmung heim, deren ſie bedürftig ſind.
Wir verlaſſen den pflanzenbeſchreibenden Theil unſerer Waldſtudien, denn es würde ein bedeutender Theil der deutſchen Pflanzenwelt nun noch geſchildert werden müſſen, wollten wir alle Pflanzenſchätze des Waldes, auch nur von wenigen kennzeichnenden Worten begleitet, aufzählen. Nur
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Linden von 300—500 Jahren ſcheinen in Deutſchland nicht eben
ſelten zu ſein, obgleich, wie ſchon bemerkt, große Linden, wie überhaupt
auch andere große Bäume im Alter meiſt überſchätzt werden.
Die ungewöhnliche Geſtalt mancher Lindenbäume mag ihnen — was
jedoch jetzt nicht auf die Annaberger bezogen werden ſoll — von Jugend
auf künſtlich gegeben worden ſein. Dies gilt vielleicht von einer 17½ Fuß
Stammumfang zeigenden Winterlinde bei Oldenburg, welche in einer
Stammhöhe von 10 Fuß eine ganz horizontal ſcheibenförmige Krone und
darüber eine zweite, bis etwa 65 F. hoch reichende mit ſtarken aufwärts ge-
richteten Aeſten hat. Die Aeſte der unteren Krone werden von 16 hölzernen
Säulen getragen.
Indem wir mit den Linden die Reihe unſerer deutſchen Holzpflanzen —
um einen umfaſſenden Begriff zu wählen — beſchließen, darf nicht ver-
ſchwiegen werden, daß nicht nur eben dieſe Faſſung des Begriffs uns
eigentlich veranlaſſen müßte, noch andere „Holzpflanzen“ aufzuführen,
und daß, was ſchon im 4. Abſchnitt (S. 25) hervorgehoben wurde, der
„Waldboden“ noch für eine große Menge anderer Gewächſe Raum hat,
welche nicht unweſentlich dazu beitragen, uns den Begriff des Waldes ab-
zurunden, ihm gewiſſermaßen als Baſis zu dienen. Wir haben in jenem
Abſchnitte gelernt, daß ein geſundes Gedeihen des Waldes ohne dieſe
„Waldkräuter“ — nach der botaniſchen Faſſung freilich nur zum Theil
Kräuter im engeren Sinne — kaum denkbar iſt, und ihre zuſammenfaſſende
Bezeichnung „Bodendecke“ hat nicht blos eine örtliche, ſondern eine wichtige
Lebensbedeutung. Indem Mooſe und Flechten, Gräſer und Kräuter mit
den Bäumen aus Einer Quelle ihre Nahrung ſchöpfen, ſind ſie die
Schwächeren zugleich die Beſchützer der Starken und zahlen dieſen reich-
lich ihre Schuld für die Beſchirmung heim, deren ſie bedürftig ſind.
Wir verlaſſen den pflanzenbeſchreibenden Theil unſerer Waldſtudien,
denn es würde ein bedeutender Theil der deutſchen Pflanzenwelt nun noch
geſchildert werden müſſen, wollten wir alle Pflanzenſchätze des Waldes,
auch nur von wenigen kennzeichnenden Worten begleitet, aufzählen. Nur
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/605>, abgerufen am 22.12.2024.
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