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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Die Krone der Tanne erleidet während des ganzen Lebensverlaufs
des Baumes die erheblichsten Veränderungen. In den ersten 15 bis 20
Jahren gleicht sie hierin der Fichte vollkommen, nur daß die Quirl-
triebe in einem größeren Winkel abstehen. Von da an nimmt bis
zu immer höherem Alter die Krone, wie man sich ausdrückt, eine stufige
Beschaffenheit an, d. h. einzelne Aeste entwickeln sich vorwaltend, so daß
der regelmäßige pyramidale Wuchs, den die Fichte hat, immer mehr schwindet
und die Krone alter Tannen sehr lückig und aus einzelnen Abtheilungen
zusammengesetzt aussieht. Im haubaren Alter ist in der Kronengestalt
zwischen Fichte und Tanne so wenig Aehnlichkeit, so daß man sie selbst
aus großer Ferne sehr leicht unterscheiden kann. Selbst die älteste Fichte
behält ihren spitz ausgezogenen pyramidalen Wipfel, an welchem nur die
Zweige der letzten Jahresquirle aufrecht stehen, von wo an abwärts die
übrigen immer mehr durch die horizontale in die hängende Zweigrichtung
übergehen. An einer alten Tanne hingegen sieht man niemals eine eigentliche
Wipfelspitze, sondern die Krone endet in einem breit schirmförmigen Wipfel,
welcher dadurch entsteht, daß in dem oberen Theile der Krone sich die Zweige
in einem großen Winkel steif aufwärts richten und ununterbrochen in ihren
Spitzen verlängern. Man hat daher nicht unpassend gesagt, daß von
Weitem eine alte Tanne so aussieht, als trage sie einen kolossalen Adler-
horst auf ihrem Wipfel. Der Hauptbaum auf unserem Kupferstiche giebt
davon ein anschauliches Bild wie überhaupt von der feineren, fast moos-
artigen Benadelung der Tanne, welche davon herrührt, daß sie ganz außer-
ordentlich reich an kurzbleibenden Trieben ist. Der Winkel, den die Aeste
aufwärts mit dem Stamme bilden ist im Stangenholzalter bei der Tanne
größer als bei der Fichte. In Beziehung auf die Verzweigung steht die
Tanne gewissermaßen zwischen der Fichte und der Kiefer in der Mitte,
indem sich an ihr sehr häufig ein oder einige Aeste zu sehr bedeutender
Dicke und Länge entwickeln und selbst zu Nebenwipfeln erheben, wenn der
Hauptwipfel abgebrochen ist *).

*) Diese letztere Eigenschaft kommt in auffallend hohem Grade einer neuen Tannenart
zu, welche im vorigen Jahre von meinen ehemaligen Tharandter Zuhörern, den griechischen
Forstbeamten Balsamakis und Origonis in Arkadien entdeckt worden und der
Königin von Griechenland zu Ehren von Herrn von Heldreich in Athen Abies
Reginae Amaliae
benannt worden ist. Man fand an vielen dieser Tannen, welche durch

Die Krone der Tanne erleidet während des ganzen Lebensverlaufs
des Baumes die erheblichſten Veränderungen. In den erſten 15 bis 20
Jahren gleicht ſie hierin der Fichte vollkommen, nur daß die Quirl-
triebe in einem größeren Winkel abſtehen. Von da an nimmt bis
zu immer höherem Alter die Krone, wie man ſich ausdrückt, eine ſtufige
Beſchaffenheit an, d. h. einzelne Aeſte entwickeln ſich vorwaltend, ſo daß
der regelmäßige pyramidale Wuchs, den die Fichte hat, immer mehr ſchwindet
und die Krone alter Tannen ſehr lückig und aus einzelnen Abtheilungen
zuſammengeſetzt ausſieht. Im haubaren Alter iſt in der Kronengeſtalt
zwiſchen Fichte und Tanne ſo wenig Aehnlichkeit, ſo daß man ſie ſelbſt
aus großer Ferne ſehr leicht unterſcheiden kann. Selbſt die älteſte Fichte
behält ihren ſpitz ausgezogenen pyramidalen Wipfel, an welchem nur die
Zweige der letzten Jahresquirle aufrecht ſtehen, von wo an abwärts die
übrigen immer mehr durch die horizontale in die hängende Zweigrichtung
übergehen. An einer alten Tanne hingegen ſieht man niemals eine eigentliche
Wipfelſpitze, ſondern die Krone endet in einem breit ſchirmförmigen Wipfel,
welcher dadurch entſteht, daß in dem oberen Theile der Krone ſich die Zweige
in einem großen Winkel ſteif aufwärts richten und ununterbrochen in ihren
Spitzen verlängern. Man hat daher nicht unpaſſend geſagt, daß von
Weitem eine alte Tanne ſo ausſieht, als trage ſie einen koloſſalen Adler-
horſt auf ihrem Wipfel. Der Hauptbaum auf unſerem Kupferſtiche giebt
davon ein anſchauliches Bild wie überhaupt von der feineren, faſt moos-
artigen Benadelung der Tanne, welche davon herrührt, daß ſie ganz außer-
ordentlich reich an kurzbleibenden Trieben iſt. Der Winkel, den die Aeſte
aufwärts mit dem Stamme bilden iſt im Stangenholzalter bei der Tanne
größer als bei der Fichte. In Beziehung auf die Verzweigung ſteht die
Tanne gewiſſermaßen zwiſchen der Fichte und der Kiefer in der Mitte,
indem ſich an ihr ſehr häufig ein oder einige Aeſte zu ſehr bedeutender
Dicke und Länge entwickeln und ſelbſt zu Nebenwipfeln erheben, wenn der
Hauptwipfel abgebrochen iſt *).

*) Dieſe letztere Eigenſchaft kommt in auffallend hohem Grade einer neuen Tannenart
zu, welche im vorigen Jahre von meinen ehemaligen Tharandter Zuhörern, den griechiſchen
Forſtbeamten Balſamakis und Origonis in Arkadien entdeckt worden und der
Königin von Griechenland zu Ehren von Herrn von Heldreich in Athen Abies
Reginae Amaliae
benannt worden iſt. Man fand an vielen dieſer Tannen, welche durch
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[330/0360] Die Krone der Tanne erleidet während des ganzen Lebensverlaufs des Baumes die erheblichſten Veränderungen. In den erſten 15 bis 20 Jahren gleicht ſie hierin der Fichte vollkommen, nur daß die Quirl- triebe in einem größeren Winkel abſtehen. Von da an nimmt bis zu immer höherem Alter die Krone, wie man ſich ausdrückt, eine ſtufige Beſchaffenheit an, d. h. einzelne Aeſte entwickeln ſich vorwaltend, ſo daß der regelmäßige pyramidale Wuchs, den die Fichte hat, immer mehr ſchwindet und die Krone alter Tannen ſehr lückig und aus einzelnen Abtheilungen zuſammengeſetzt ausſieht. Im haubaren Alter iſt in der Kronengeſtalt zwiſchen Fichte und Tanne ſo wenig Aehnlichkeit, ſo daß man ſie ſelbſt aus großer Ferne ſehr leicht unterſcheiden kann. Selbſt die älteſte Fichte behält ihren ſpitz ausgezogenen pyramidalen Wipfel, an welchem nur die Zweige der letzten Jahresquirle aufrecht ſtehen, von wo an abwärts die übrigen immer mehr durch die horizontale in die hängende Zweigrichtung übergehen. An einer alten Tanne hingegen ſieht man niemals eine eigentliche Wipfelſpitze, ſondern die Krone endet in einem breit ſchirmförmigen Wipfel, welcher dadurch entſteht, daß in dem oberen Theile der Krone ſich die Zweige in einem großen Winkel ſteif aufwärts richten und ununterbrochen in ihren Spitzen verlängern. Man hat daher nicht unpaſſend geſagt, daß von Weitem eine alte Tanne ſo ausſieht, als trage ſie einen koloſſalen Adler- horſt auf ihrem Wipfel. Der Hauptbaum auf unſerem Kupferſtiche giebt davon ein anſchauliches Bild wie überhaupt von der feineren, faſt moos- artigen Benadelung der Tanne, welche davon herrührt, daß ſie ganz außer- ordentlich reich an kurzbleibenden Trieben iſt. Der Winkel, den die Aeſte aufwärts mit dem Stamme bilden iſt im Stangenholzalter bei der Tanne größer als bei der Fichte. In Beziehung auf die Verzweigung ſteht die Tanne gewiſſermaßen zwiſchen der Fichte und der Kiefer in der Mitte, indem ſich an ihr ſehr häufig ein oder einige Aeſte zu ſehr bedeutender Dicke und Länge entwickeln und ſelbſt zu Nebenwipfeln erheben, wenn der Hauptwipfel abgebrochen iſt *). *) Dieſe letztere Eigenſchaft kommt in auffallend hohem Grade einer neuen Tannenart zu, welche im vorigen Jahre von meinen ehemaligen Tharandter Zuhörern, den griechiſchen Forſtbeamten Balſamakis und Origonis in Arkadien entdeckt worden und der Königin von Griechenland zu Ehren von Herrn von Heldreich in Athen Abies Reginae Amaliae benannt worden iſt. Man fand an vielen dieſer Tannen, welche durch

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/360>, abgerufen am 22.12.2024.