Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem endlich doch noch kommenden Erfolge störend in den Weg tritt.
Der Waldbau ist in der That ein großartiges Geduldspiel; der Förster steht der Natur gegenüber und beide tauschen ihre bedächtigen Schachzüge, so bedächtig, daß der Erstere oft darüber stirbt, ehe sein Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.
Der Waldfreund denkt sich die Sache meist ganz anders. Begegnet er dem grünen Manne in seinen weiten, vom Morgengesang der Vögel durchschmetterten Revieren, so hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter dem grünen Rocke vielleicht ein um seinen Pflegling bekümmertes Herz schlägt, daß sich vielleicht eben der Mann den Kopf zersinnt, weshalb wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachsen will, an deren Gedeihen er zehn Jahre lang seine Freude hatte. So stehen zwei Männer neben einander, beide sehen dasselbe, beide lieben dasselbe, der eine aber nennt und empfindet darin den Wald, der andere sieht und sorgt sich um den Forst.
Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiser Forstmann, der schon eine Wandelung seines Revieres gesehen hat, mit theilnahmvollem Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem Plätzchen für seinen Feldstuhl späht, von wo aus er ein kunstgerechtes Waldbild sich gestalten sähe. "Du kommst zu spät, an der Stelle Deines Waldes steht jetzt mein Forst."
Wir wollen ehrlich sein. Die Forstwirthschaft ist der Poesie des Waldes nicht eben günstig. Aber neben diesem Geständniß kann es recht gut bestehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde sagte, die Forstwissenschaft raube ihm nichts von seiner Waldliebe. Die Poesie derselben muß sich aber in demselben Sinne vergeistigen, klären, wie wir vorhin vom Walde einen höheren, tief in unser Leben eingreifenden Beruf kennen lernten, welcher viel bedeutsamer ist, als der Holzwerth des Waldes, und vom Denkenden leicht mit seiner poetischen Waldliebe verschmolzen wird. Giebt es eine poetischere Anschauung des Waldes, als wenn wir seine Laubkronen und seine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das dreigestaltige ruhe- lose Wasser in zweien seiner Gestalten, als Gas und als flüssige Tropfen, im Dienste des organischen Lebens festhalten, herbeirufen -- mit Einem Worte: beherrschen?
Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem endlich doch noch kommenden Erfolge ſtörend in den Weg tritt.
Der Waldbau iſt in der That ein großartiges Geduldſpiel; der Förſter ſteht der Natur gegenüber und beide tauſchen ihre bedächtigen Schachzüge, ſo bedächtig, daß der Erſtere oft darüber ſtirbt, ehe ſein Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.
Der Waldfreund denkt ſich die Sache meiſt ganz anders. Begegnet er dem grünen Manne in ſeinen weiten, vom Morgengeſang der Vögel durchſchmetterten Revieren, ſo hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter dem grünen Rocke vielleicht ein um ſeinen Pflegling bekümmertes Herz ſchlägt, daß ſich vielleicht eben der Mann den Kopf zerſinnt, weshalb wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachſen will, an deren Gedeihen er zehn Jahre lang ſeine Freude hatte. So ſtehen zwei Männer neben einander, beide ſehen daſſelbe, beide lieben daſſelbe, der eine aber nennt und empfindet darin den Wald, der andere ſieht und ſorgt ſich um den Forſt.
Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiſer Forſtmann, der ſchon eine Wandelung ſeines Revieres geſehen hat, mit theilnahmvollem Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem Plätzchen für ſeinen Feldſtuhl ſpäht, von wo aus er ein kunſtgerechtes Waldbild ſich geſtalten ſähe. „Du kommſt zu ſpät, an der Stelle Deines Waldes ſteht jetzt mein Forſt.“
Wir wollen ehrlich ſein. Die Forſtwirthſchaft iſt der Poeſie des Waldes nicht eben günſtig. Aber neben dieſem Geſtändniß kann es recht gut beſtehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde ſagte, die Forſtwiſſenſchaft raube ihm nichts von ſeiner Waldliebe. Die Poeſie derſelben muß ſich aber in demſelben Sinne vergeiſtigen, klären, wie wir vorhin vom Walde einen höheren, tief in unſer Leben eingreifenden Beruf kennen lernten, welcher viel bedeutſamer iſt, als der Holzwerth des Waldes, und vom Denkenden leicht mit ſeiner poetiſchen Waldliebe verſchmolzen wird. Giebt es eine poetiſchere Anſchauung des Waldes, als wenn wir ſeine Laubkronen und ſeine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das dreigeſtaltige ruhe- loſe Waſſer in zweien ſeiner Geſtalten, als Gas und als flüſſige Tropfen, im Dienſte des organiſchen Lebens feſthalten, herbeirufen — mit Einem Worte: beherrſchen?
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Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem
endlich doch noch kommenden Erfolge ſtörend in den Weg tritt.
Der Waldbau iſt in der That ein großartiges Geduldſpiel; der
Förſter ſteht der Natur gegenüber und beide tauſchen ihre bedächtigen
Schachzüge, ſo bedächtig, daß der Erſtere oft darüber ſtirbt, ehe ſein
Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.
Der Waldfreund denkt ſich die Sache meiſt ganz anders. Begegnet
er dem grünen Manne in ſeinen weiten, vom Morgengeſang der Vögel
durchſchmetterten Revieren, ſo hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter
dem grünen Rocke vielleicht ein um ſeinen Pflegling bekümmertes Herz
ſchlägt, daß ſich vielleicht eben der Mann den Kopf zerſinnt, weshalb
wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachſen will, an deren
Gedeihen er zehn Jahre lang ſeine Freude hatte. So ſtehen zwei Männer
neben einander, beide ſehen daſſelbe, beide lieben daſſelbe, der eine aber
nennt und empfindet darin den Wald, der andere ſieht und ſorgt ſich um
den Forſt.
Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiſer Forſtmann, der
ſchon eine Wandelung ſeines Revieres geſehen hat, mit theilnahmvollem
Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem
Plätzchen für ſeinen Feldſtuhl ſpäht, von wo aus er ein kunſtgerechtes
Waldbild ſich geſtalten ſähe. „Du kommſt zu ſpät, an der Stelle Deines
Waldes ſteht jetzt mein Forſt.“
Wir wollen ehrlich ſein. Die Forſtwirthſchaft iſt der Poeſie des
Waldes nicht eben günſtig. Aber neben dieſem Geſtändniß kann es recht
gut beſtehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde ſagte, die Forſtwiſſenſchaft
raube ihm nichts von ſeiner Waldliebe. Die Poeſie derſelben muß ſich
aber in demſelben Sinne vergeiſtigen, klären, wie wir vorhin vom Walde
einen höheren, tief in unſer Leben eingreifenden Beruf kennen lernten,
welcher viel bedeutſamer iſt, als der Holzwerth des Waldes, und vom
Denkenden leicht mit ſeiner poetiſchen Waldliebe verſchmolzen wird. Giebt
es eine poetiſchere Anſchauung des Waldes, als wenn wir ſeine Laubkronen
und ſeine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das dreigeſtaltige ruhe-
loſe Waſſer in zweien ſeiner Geſtalten, als Gas und als flüſſige Tropfen,
im Dienſte des organiſchen Lebens feſthalten, herbeirufen — mit Einem
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/31>, abgerufen am 22.12.2024.
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