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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Bei der viel größern Manchfaltigkeit in der Stellung der Knospen
und Triebe versteht es sich nun leicht von selbst, daß uns die Architektur
der Laubhölzer
weit mehr Abwechselung bietet.

Schon der Unterschied zwischen Baum und Strauch tritt bei den
Laubhölzern viel bestimmter auf, als bei den Nadelhölzern.

Dieser Unterschied ist nicht mit einer vollständigen Schärfe festzu-
stellen, indem einige Holzgewächse vorkommen, bei denen es fraglich sein
könnte, ob wir sie Bäume oder Sträucher nennen sollen. Jedermann
weiß, daß ein Baum sich dadurch von einem Strauch unterscheidet, daß
sich aus seiner Wurzel nur ein Stamm erhebt, während sich aus der
Wurzel des Strauches mehrere Stämme, meist unmittelbar aus dem
Stocke, bilden.

Diese allgemein bekannte Unterscheidung unterliegt allerdings mancherlei
Beschränkungen und es kommt vor, daß eine Holzart ebensowohl als
Baum, wie als Strauch angetroffen wird. Diese Erscheinung wird am
meisten durch die Verschiedenheit des Standorts bedingt. Holzgewächse,
die in der Ebene oder in südlicheren Lagen regelrechte Bäume sind,
werden in höheren Berglagen oder in nördlicheren Breiten, welches Beides
in dieser Wirkung nahe zusammenfällt, zu vielstämmigen Sträuchern, bis
sie endlich zuletzt zu niedrigen Gebüschen verkümmern.

Ein Besuch der Alpen giebt Gelegenheit, sich hiervon zu überzeugen,
wobei man namentlich finden würde, das Fichte und Buche diesem Einfluß
unterliegen. Auch die forstliche Behandlung der Holzarten, wie uns
bereits bekannt ist, übt bei den Laubhölzern einen großen Einfluß auf die
Architektur aus. Selbst die majestätische Eiche wird in der Niederwald-
wirthschaft zu einem buschigen Strauche, wie wir wissen dadurch, daß
man, bevor die Eiche sich zu einem kräftigen Baum zu entwickeln be-
gonnen hat, sie am Stocke abhaut und dann durch Adventivknospen eine
Menge Stämmchen sich bilden.

Es ist uns bereits bekannt, daß die fast bei allen Bäumen sehr regel-
mäßig gestellten Knospen eigentlich einen durchgreifenden Einfluß auf die
Architektur der Bäume ausüben müßten und daß z. B. bei Esche und
Ahorn die Knospen regelmäßig kreuzweise gegenständig gestellt sind, und
daher diese Bäume eine vollkommen regelmäßige Anordnung ihrer Aeste
und Zweige bemerken lassen müßten. Wir wissen aber, daß dies nicht

Bei der viel größern Manchfaltigkeit in der Stellung der Knospen
und Triebe verſteht es ſich nun leicht von ſelbſt, daß uns die Architektur
der Laubhölzer
weit mehr Abwechſelung bietet.

Schon der Unterſchied zwiſchen Baum und Strauch tritt bei den
Laubhölzern viel beſtimmter auf, als bei den Nadelhölzern.

Dieſer Unterſchied iſt nicht mit einer vollſtändigen Schärfe feſtzu-
ſtellen, indem einige Holzgewächſe vorkommen, bei denen es fraglich ſein
könnte, ob wir ſie Bäume oder Sträucher nennen ſollen. Jedermann
weiß, daß ein Baum ſich dadurch von einem Strauch unterſcheidet, daß
ſich aus ſeiner Wurzel nur ein Stamm erhebt, während ſich aus der
Wurzel des Strauches mehrere Stämme, meiſt unmittelbar aus dem
Stocke, bilden.

Dieſe allgemein bekannte Unterſcheidung unterliegt allerdings mancherlei
Beſchränkungen und es kommt vor, daß eine Holzart ebenſowohl als
Baum, wie als Strauch angetroffen wird. Dieſe Erſcheinung wird am
meiſten durch die Verſchiedenheit des Standorts bedingt. Holzgewächſe,
die in der Ebene oder in ſüdlicheren Lagen regelrechte Bäume ſind,
werden in höheren Berglagen oder in nördlicheren Breiten, welches Beides
in dieſer Wirkung nahe zuſammenfällt, zu vielſtämmigen Sträuchern, bis
ſie endlich zuletzt zu niedrigen Gebüſchen verkümmern.

Ein Beſuch der Alpen giebt Gelegenheit, ſich hiervon zu überzeugen,
wobei man namentlich finden würde, das Fichte und Buche dieſem Einfluß
unterliegen. Auch die forſtliche Behandlung der Holzarten, wie uns
bereits bekannt iſt, übt bei den Laubhölzern einen großen Einfluß auf die
Architektur aus. Selbſt die majeſtätiſche Eiche wird in der Niederwald-
wirthſchaft zu einem buſchigen Strauche, wie wir wiſſen dadurch, daß
man, bevor die Eiche ſich zu einem kräftigen Baum zu entwickeln be-
gonnen hat, ſie am Stocke abhaut und dann durch Adventivknospen eine
Menge Stämmchen ſich bilden.

Es iſt uns bereits bekannt, daß die faſt bei allen Bäumen ſehr regel-
mäßig geſtellten Knospen eigentlich einen durchgreifenden Einfluß auf die
Architektur der Bäume ausüben müßten und daß z. B. bei Eſche und
Ahorn die Knospen regelmäßig kreuzweiſe gegenſtändig geſtellt ſind, und
daher dieſe Bäume eine vollkommen regelmäßige Anordnung ihrer Aeſte
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[217/0241] Bei der viel größern Manchfaltigkeit in der Stellung der Knospen und Triebe verſteht es ſich nun leicht von ſelbſt, daß uns die Architektur der Laubhölzer weit mehr Abwechſelung bietet. Schon der Unterſchied zwiſchen Baum und Strauch tritt bei den Laubhölzern viel beſtimmter auf, als bei den Nadelhölzern. Dieſer Unterſchied iſt nicht mit einer vollſtändigen Schärfe feſtzu- ſtellen, indem einige Holzgewächſe vorkommen, bei denen es fraglich ſein könnte, ob wir ſie Bäume oder Sträucher nennen ſollen. Jedermann weiß, daß ein Baum ſich dadurch von einem Strauch unterſcheidet, daß ſich aus ſeiner Wurzel nur ein Stamm erhebt, während ſich aus der Wurzel des Strauches mehrere Stämme, meiſt unmittelbar aus dem Stocke, bilden. Dieſe allgemein bekannte Unterſcheidung unterliegt allerdings mancherlei Beſchränkungen und es kommt vor, daß eine Holzart ebenſowohl als Baum, wie als Strauch angetroffen wird. Dieſe Erſcheinung wird am meiſten durch die Verſchiedenheit des Standorts bedingt. Holzgewächſe, die in der Ebene oder in ſüdlicheren Lagen regelrechte Bäume ſind, werden in höheren Berglagen oder in nördlicheren Breiten, welches Beides in dieſer Wirkung nahe zuſammenfällt, zu vielſtämmigen Sträuchern, bis ſie endlich zuletzt zu niedrigen Gebüſchen verkümmern. Ein Beſuch der Alpen giebt Gelegenheit, ſich hiervon zu überzeugen, wobei man namentlich finden würde, das Fichte und Buche dieſem Einfluß unterliegen. Auch die forſtliche Behandlung der Holzarten, wie uns bereits bekannt iſt, übt bei den Laubhölzern einen großen Einfluß auf die Architektur aus. Selbſt die majeſtätiſche Eiche wird in der Niederwald- wirthſchaft zu einem buſchigen Strauche, wie wir wiſſen dadurch, daß man, bevor die Eiche ſich zu einem kräftigen Baum zu entwickeln be- gonnen hat, ſie am Stocke abhaut und dann durch Adventivknospen eine Menge Stämmchen ſich bilden. Es iſt uns bereits bekannt, daß die faſt bei allen Bäumen ſehr regel- mäßig geſtellten Knospen eigentlich einen durchgreifenden Einfluß auf die Architektur der Bäume ausüben müßten und daß z. B. bei Eſche und Ahorn die Knospen regelmäßig kreuzweiſe gegenſtändig geſtellt ſind, und daher dieſe Bäume eine vollkommen regelmäßige Anordnung ihrer Aeſte und Zweige bemerken laſſen müßten. Wir wiſſen aber, daß dies nicht

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/241>, abgerufen am 17.05.2024.