daß sich einer der nächst unteren Quirltriebe aus seiner schrägen Stellung emporrichtet und die Stelle des verlorenen einnimmt, so ist dies doch bei der Tanne am meisten der Fall und selbst noch in höherem Alter, wo- durch bei den Tannen oft abenteuerliche Gestalten zu Tage kommen.
Die bekannte Pyramidengestalt der Fichte und Lärche erleidet in der Ebene und im Mittelgebirge fast nie eine erhebliche Störung, wohl aber namentlich die erstere in der Alpenregion, wo namentlich die sogenannten Wettertannen, um den Schaft herum mehrere Aeste in weitausgreifen- dem Bogen, zuletzt sich senkrecht emporrichtend einen gewaltigen Baum mit vier, fünf dem mittelsten nachstrebenden Wipfeln bilden, unter welchem die Alpenhirten mit ihrem Vieh gegen Unwetter Schutz finden.
Wie der Wachholder (Juniperus communis) und der Taxus (Taxus baccata) von den echten Zapfenbäumen (Strobilaceen oder Coniferen) botanisch abweichen und letzterer eine kleine natürliche Familie für sich bildet, so weichen sie auch in der Architektur von diesen ab, hierin ge- wissermaaßen einen Uebergang zu den Laubhölzern bildend. Beide bleiben meist strauchartig, der Taxus, die am langsamsten wachsende deutsche Holzpflanze, namentlich schon vom Stocke an vielästig. Der Taxus kann recht eigentlich ein Architekturbaum genannt werden, indem er von der altfranzösischen und holländischen Gartenkunst, traurigen Andenkens, durch Halten unter dem Schnitt zu den monströsesten Figuren, Thiergestalten nicht ausgenommen, gezwungen wurde. Wir werden später sehen, daß der Taxus auch in andern Beziehungen einen eigenthümlichen Zug in dem Charakter unserer deutschen Baumflora bildet.
Wir können nun, zu der Belaubung übergehend, diese eine Orna- mentik des Baumgebäudes nennen, wie ja bekanntlich Laubwerk zu allen Zeiten der fortgeschrittenen Baukunst Vorbilder für architektonische Ornamente dargeboten hat.
Gestalt, Farbe und Anordnung der Nadeln, obgleich durchaus keine erheblichen Manchfaltigkeiten zeigend, vermögen dennoch den verschiedenen Nadelholzarten verschiedene Charaktere aufzuprägen. Dies ist namentlich um so mehr der Fall, wenn wir die benadelten Triebe noch mit zur Ornamentik ziehen und wir zugleich, in Samenjahren, auf die Zapfen achten.
Unleugbar werden Fichte und Lärche, neben ihrem strengdurchge- führten Pyramidenbaue, durch ihre Benadelung am weitesten von den
daß ſich einer der nächſt unteren Quirltriebe aus ſeiner ſchrägen Stellung emporrichtet und die Stelle des verlorenen einnimmt, ſo iſt dies doch bei der Tanne am meiſten der Fall und ſelbſt noch in höherem Alter, wo- durch bei den Tannen oft abenteuerliche Geſtalten zu Tage kommen.
Die bekannte Pyramidengeſtalt der Fichte und Lärche erleidet in der Ebene und im Mittelgebirge faſt nie eine erhebliche Störung, wohl aber namentlich die erſtere in der Alpenregion, wo namentlich die ſogenannten Wettertannen, um den Schaft herum mehrere Aeſte in weitausgreifen- dem Bogen, zuletzt ſich ſenkrecht emporrichtend einen gewaltigen Baum mit vier, fünf dem mittelſten nachſtrebenden Wipfeln bilden, unter welchem die Alpenhirten mit ihrem Vieh gegen Unwetter Schutz finden.
Wie der Wachholder (Juniperus communis) und der Taxus (Taxus baccata) von den echten Zapfenbäumen (Strobilaceen oder Coniferen) botaniſch abweichen und letzterer eine kleine natürliche Familie für ſich bildet, ſo weichen ſie auch in der Architektur von dieſen ab, hierin ge- wiſſermaaßen einen Uebergang zu den Laubhölzern bildend. Beide bleiben meiſt ſtrauchartig, der Taxus, die am langſamſten wachſende deutſche Holzpflanze, namentlich ſchon vom Stocke an vieläſtig. Der Taxus kann recht eigentlich ein Architekturbaum genannt werden, indem er von der altfranzöſiſchen und holländiſchen Gartenkunſt, traurigen Andenkens, durch Halten unter dem Schnitt zu den monſtröſeſten Figuren, Thiergeſtalten nicht ausgenommen, gezwungen wurde. Wir werden ſpäter ſehen, daß der Taxus auch in andern Beziehungen einen eigenthümlichen Zug in dem Charakter unſerer deutſchen Baumflora bildet.
Wir können nun, zu der Belaubung übergehend, dieſe eine Orna- mentik des Baumgebäudes nennen, wie ja bekanntlich Laubwerk zu allen Zeiten der fortgeſchrittenen Baukunſt Vorbilder für architektoniſche Ornamente dargeboten hat.
Geſtalt, Farbe und Anordnung der Nadeln, obgleich durchaus keine erheblichen Manchfaltigkeiten zeigend, vermögen dennoch den verſchiedenen Nadelholzarten verſchiedene Charaktere aufzuprägen. Dies iſt namentlich um ſo mehr der Fall, wenn wir die benadelten Triebe noch mit zur Ornamentik ziehen und wir zugleich, in Samenjahren, auf die Zapfen achten.
Unleugbar werden Fichte und Lärche, neben ihrem ſtrengdurchge- führten Pyramidenbaue, durch ihre Benadelung am weiteſten von den
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daß ſich einer der nächſt unteren Quirltriebe aus ſeiner ſchrägen Stellung
emporrichtet und die Stelle des verlorenen einnimmt, ſo iſt dies doch bei
der Tanne am meiſten der Fall und ſelbſt noch in höherem Alter, wo-
durch bei den Tannen oft abenteuerliche Geſtalten zu Tage kommen.
Die bekannte Pyramidengeſtalt der Fichte und Lärche erleidet in der
Ebene und im Mittelgebirge faſt nie eine erhebliche Störung, wohl aber
namentlich die erſtere in der Alpenregion, wo namentlich die ſogenannten
Wettertannen, um den Schaft herum mehrere Aeſte in weitausgreifen-
dem Bogen, zuletzt ſich ſenkrecht emporrichtend einen gewaltigen Baum mit
vier, fünf dem mittelſten nachſtrebenden Wipfeln bilden, unter welchem
die Alpenhirten mit ihrem Vieh gegen Unwetter Schutz finden.
Wie der Wachholder (Juniperus communis) und der Taxus (Taxus
baccata) von den echten Zapfenbäumen (Strobilaceen oder Coniferen)
botaniſch abweichen und letzterer eine kleine natürliche Familie für ſich
bildet, ſo weichen ſie auch in der Architektur von dieſen ab, hierin ge-
wiſſermaaßen einen Uebergang zu den Laubhölzern bildend. Beide bleiben
meiſt ſtrauchartig, der Taxus, die am langſamſten wachſende deutſche
Holzpflanze, namentlich ſchon vom Stocke an vieläſtig. Der Taxus kann
recht eigentlich ein Architekturbaum genannt werden, indem er von der
altfranzöſiſchen und holländiſchen Gartenkunſt, traurigen Andenkens, durch
Halten unter dem Schnitt zu den monſtröſeſten Figuren, Thiergeſtalten
nicht ausgenommen, gezwungen wurde. Wir werden ſpäter ſehen, daß
der Taxus auch in andern Beziehungen einen eigenthümlichen Zug in
dem Charakter unſerer deutſchen Baumflora bildet.
Wir können nun, zu der Belaubung übergehend, dieſe eine Orna-
mentik des Baumgebäudes nennen, wie ja bekanntlich Laubwerk zu
allen Zeiten der fortgeſchrittenen Baukunſt Vorbilder für architektoniſche
Ornamente dargeboten hat.
Geſtalt, Farbe und Anordnung der Nadeln, obgleich durchaus keine
erheblichen Manchfaltigkeiten zeigend, vermögen dennoch den verſchiedenen
Nadelholzarten verſchiedene Charaktere aufzuprägen. Dies iſt namentlich
um ſo mehr der Fall, wenn wir die benadelten Triebe noch mit zur
Ornamentik ziehen und wir zugleich, in Samenjahren, auf die Zapfen achten.
Unleugbar werden Fichte und Lärche, neben ihrem ſtrengdurchge-
führten Pyramidenbaue, durch ihre Benadelung am weiteſten von den
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/238>, abgerufen am 22.12.2024.
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