In der Ueberwallung werden wir bei der Tanne, die sie am häufigsten zeigt, sogar ein Mittel kennen, wodurch ein an sich lebens- unfähiger Stock von einem benachbarten Baume gleicher Art, ernährt und in Zuwachs erhalten wird.
Denkt man nun vollends an die Theilbarkeit und Vervielfältigung durch Stecklinge und Pfropfreiser so kann man einem einzelnen Baume in gewissem Sinne Ewigkeit und Allgegenwart verleihen. Wir erinnern uns hier an unsere sogenannte italienische Pappel, Populus dilatata Aiton (P. Pastigiata foiret). Wir glauben deren viele Tausende in Europa zu haben und seit ihrer Einwanderung aus dem Orient in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehabt zu haben. Wir haben aber nie mehr als eine einzige Pappel gehabt und werden vielleicht in den kommenden Jahrhunderten nie mehr als diese eine haben. Die Pappelarten sind getrennten Geschlechts, und der Zufall wollte es, daß das erste nach Europa, und zwar nach Italien, eingeführte Exemplar, gleichviel ob ein Bäumchen oder nur ein Setzreiß, ein männliches war. Es konnte also kein Same von dieser ersten Stammpflanze gewonnen, mithin auch keine Nachzucht aus Samen erzielt werden, sondern man war auf die Vermehrung durch Setzreiser beschränkt. Man würde diese sicher auch ohnehin der Fortpflanzung durch Samen vorgezogen haben, da jene viel schneller zum Ziele führt und überhaupt Pappeln und Weiden wegen ihrer winzig kleinen Samenkörmer zwar wohl durch frei- willigen Samenanflug sich leicht fortpflanzen, jedoch die künstliche Aussaat Schwierigkeiten hat.
So ist denn für diesen langen Zeitraum die ganze Nachkommenschaft der italienischen Pappeln, sämmtlich männlichen Geschlechts, in der That nur Ein Exemplar in ununterbrochen fortgesetzter tausendfältiger Zer- theilung und man kann es in gewissem Sinne wohl ewig und allgegen- wärtig, wenigstens überall, an keinen Ort beschränkt, nennen. Wahrlich das direkteste Gegentheil eines Individuums!
Wir werden hier unwillkürlich noch zu einer kurzen Berücksichtigung der durch ihr Alter und ihren Umfang berühmten Bäume veranlaßt.
Es liegt ohne Zweifel mehr in dem Umstande, daß Bäume ein nach menschlichem Maaßstabe außerordentlich hohes Alter erreichen können, als in deren riesigen Dimensionen, daß zum Naturkultus hinneigende Völker
In der Ueberwallung werden wir bei der Tanne, die ſie am häufigſten zeigt, ſogar ein Mittel kennen, wodurch ein an ſich lebens- unfähiger Stock von einem benachbarten Baume gleicher Art, ernährt und in Zuwachs erhalten wird.
Denkt man nun vollends an die Theilbarkeit und Vervielfältigung durch Stecklinge und Pfropfreiſer ſo kann man einem einzelnen Baume in gewiſſem Sinne Ewigkeit und Allgegenwart verleihen. Wir erinnern uns hier an unſere ſogenannte italieniſche Pappel, Populus dilatata Aiton (P. Pastigiata foiret). Wir glauben deren viele Tauſende in Europa zu haben und ſeit ihrer Einwanderung aus dem Orient in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehabt zu haben. Wir haben aber nie mehr als eine einzige Pappel gehabt und werden vielleicht in den kommenden Jahrhunderten nie mehr als dieſe eine haben. Die Pappelarten ſind getrennten Geſchlechts, und der Zufall wollte es, daß das erſte nach Europa, und zwar nach Italien, eingeführte Exemplar, gleichviel ob ein Bäumchen oder nur ein Setzreiß, ein männliches war. Es konnte alſo kein Same von dieſer erſten Stammpflanze gewonnen, mithin auch keine Nachzucht aus Samen erzielt werden, ſondern man war auf die Vermehrung durch Setzreiſer beſchränkt. Man würde dieſe ſicher auch ohnehin der Fortpflanzung durch Samen vorgezogen haben, da jene viel ſchneller zum Ziele führt und überhaupt Pappeln und Weiden wegen ihrer winzig kleinen Samenkörmer zwar wohl durch frei- willigen Samenanflug ſich leicht fortpflanzen, jedoch die künſtliche Ausſaat Schwierigkeiten hat.
So iſt denn für dieſen langen Zeitraum die ganze Nachkommenſchaft der italieniſchen Pappeln, ſämmtlich männlichen Geſchlechts, in der That nur Ein Exemplar in ununterbrochen fortgeſetzter tauſendfältiger Zer- theilung und man kann es in gewiſſem Sinne wohl ewig und allgegen- wärtig, wenigſtens überall, an keinen Ort beſchränkt, nennen. Wahrlich das direkteſte Gegentheil eines Individuums!
Wir werden hier unwillkürlich noch zu einer kurzen Berückſichtigung der durch ihr Alter und ihren Umfang berühmten Bäume veranlaßt.
Es liegt ohne Zweifel mehr in dem Umſtande, daß Bäume ein nach menſchlichem Maaßſtabe außerordentlich hohes Alter erreichen können, als in deren rieſigen Dimenſionen, daß zum Naturkultus hinneigende Völker
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In der Ueberwallung werden wir bei der Tanne, die ſie am
häufigſten zeigt, ſogar ein Mittel kennen, wodurch ein an ſich lebens-
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in Zuwachs erhalten wird.
Denkt man nun vollends an die Theilbarkeit und Vervielfältigung
durch Stecklinge und Pfropfreiſer ſo kann man einem einzelnen Baume
in gewiſſem Sinne Ewigkeit und Allgegenwart verleihen. Wir erinnern
uns hier an unſere ſogenannte italieniſche Pappel, Populus dilatata
Aiton (P. Pastigiata foiret). Wir glauben deren viele Tauſende in
Europa zu haben und ſeit ihrer Einwanderung aus dem Orient in der
erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehabt zu haben. Wir haben
aber nie mehr als eine einzige Pappel gehabt und werden vielleicht in
den kommenden Jahrhunderten nie mehr als dieſe eine haben. Die
Pappelarten ſind getrennten Geſchlechts, und der Zufall wollte es, daß
das erſte nach Europa, und zwar nach Italien, eingeführte Exemplar,
gleichviel ob ein Bäumchen oder nur ein Setzreiß, ein männliches war.
Es konnte alſo kein Same von dieſer erſten Stammpflanze gewonnen,
mithin auch keine Nachzucht aus Samen erzielt werden, ſondern man war
auf die Vermehrung durch Setzreiſer beſchränkt. Man würde dieſe
ſicher auch ohnehin der Fortpflanzung durch Samen vorgezogen
haben, da jene viel ſchneller zum Ziele führt und überhaupt Pappeln und
Weiden wegen ihrer winzig kleinen Samenkörmer zwar wohl durch frei-
willigen Samenanflug ſich leicht fortpflanzen, jedoch die künſtliche Ausſaat
Schwierigkeiten hat.
So iſt denn für dieſen langen Zeitraum die ganze Nachkommenſchaft
der italieniſchen Pappeln, ſämmtlich männlichen Geſchlechts, in der That
nur Ein Exemplar in ununterbrochen fortgeſetzter tauſendfältiger Zer-
theilung und man kann es in gewiſſem Sinne wohl ewig und allgegen-
wärtig, wenigſtens überall, an keinen Ort beſchränkt, nennen. Wahrlich
das direkteſte Gegentheil eines Individuums!
Wir werden hier unwillkürlich noch zu einer kurzen Berückſichtigung
der durch ihr Alter und ihren Umfang berühmten Bäume veranlaßt.
Es liegt ohne Zweifel mehr in dem Umſtande, daß Bäume ein nach
menſchlichem Maaßſtabe außerordentlich hohes Alter erreichen können, als
in deren rieſigen Dimenſionen, daß zum Naturkultus hinneigende Völker
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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/227>, abgerufen am 22.12.2024.
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