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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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vortretende bis 1 Zoll groß und größer werdende Kugeln, welche, im
Mittelpunkte wie die Kirsche den Kern einen Markkörper einschließend,
von concentrischen Holzlagen gebildet werden. Hartig hat diesen unvoll-
kommensten Versuchen der Adventivsproßbildung den Namen Kugelsproß
gegeben und läßt sie hervorgehen aus Adventivknospen, die in dem Rinden-
Zellgewebe dieses sonderbare Bildungs-Leben fortlebt, nachdem ihr Zu-
sammenhang mit dem Holz- und Markkörper des Triebes durch Absterben
des saftzuleitenden Gewebes aufgehoben worden ist.

Nachdem wir so die wichtigsten Bedingungen und Mittel des Baum-
lebens und dessen Gebilde kennen gelernt und gefunden haben, daß in
den Neben- oder Adventivknospen die Pflanzen vor den Thieren eine
eigenthümliche Verjüngungskraft voraushaben, tritt uns nun die Frage
nahe, wie das Lebensende des Baumes bedingt sei.

Wenn Thiere und Pflanzen sich als Wesen zweier verschiedener
Reiche von einander unterscheiden, so ist dies in keiner Hinsicht augen-
fälliger als in der des Lebensendes. Schon die Frage, wann tritt dies
bei den Pflanzen ein und ist dieser Eintritt wie bei den Thieren (wenig-
stens bei den allermeisten) an den Ablauf einer gewissen Zeitdauer ge-
knüpft, erinnert uns, daß wir sie bei den Pflanzen und zumeist bei den
Bäumen sich ganz anders beantworten sehen. Daß es bei dem Baume
keinen Zustand des vollendeten Wachsthums, kein einheitliches in allen
Theilen zugleich sich regendes Leben giebt, wissen wir schon.

Ein Thier, wobei wir natürlich an einige, geschlossene Kolonien
bildende (wie die Korallenpolypen) nicht denken dürfen, ist eben noch in
allen seinen Theilen lebendig und im nächsten Augenblick todt. An einem
Baume kann schon seit Jahrzehnten der Stamm ausgefault sein, er ist
aber dennoch fähig, vielleicht noch ein Jahrhundert lang fortzugrünen.
Durch eine kleine auf einen einzigen Punkt -- Herz, Lunge, verlängertes
Mark -- gerichtete Verwundung löschen wir das Thierleben aus wie ein
Flämmchen, während wir vom Baume wissen, daß er selbst dann nicht
stirbt, wenn wir seinen Stamm von der Wurzel trennen. Todstechen,
erschießen, überhaupt tödten, wie wir es mit einem Thiere thun, können
wir einen Baum nicht. Ueberhaupt der Begriff des gewaltsamen Todes
gestaltet sich für den Baum anders als für das Thier. Das Gewächs
hat keine solche eng begrenzten bedingenden Lebensmittelpunkte, von denen

vortretende bis 1 Zoll groß und größer werdende Kugeln, welche, im
Mittelpunkte wie die Kirſche den Kern einen Markkörper einſchließend,
von concentriſchen Holzlagen gebildet werden. Hartig hat dieſen unvoll-
kommenſten Verſuchen der Adventivſproßbildung den Namen Kugelſproß
gegeben und läßt ſie hervorgehen aus Adventivknospen, die in dem Rinden-
Zellgewebe dieſes ſonderbare Bildungs-Leben fortlebt, nachdem ihr Zu-
ſammenhang mit dem Holz- und Markkörper des Triebes durch Abſterben
des ſaftzuleitenden Gewebes aufgehoben worden iſt.

Nachdem wir ſo die wichtigſten Bedingungen und Mittel des Baum-
lebens und deſſen Gebilde kennen gelernt und gefunden haben, daß in
den Neben- oder Adventivknospen die Pflanzen vor den Thieren eine
eigenthümliche Verjüngungskraft voraushaben, tritt uns nun die Frage
nahe, wie das Lebensende des Baumes bedingt ſei.

Wenn Thiere und Pflanzen ſich als Weſen zweier verſchiedener
Reiche von einander unterſcheiden, ſo iſt dies in keiner Hinſicht augen-
fälliger als in der des Lebensendes. Schon die Frage, wann tritt dies
bei den Pflanzen ein und iſt dieſer Eintritt wie bei den Thieren (wenig-
ſtens bei den allermeiſten) an den Ablauf einer gewiſſen Zeitdauer ge-
knüpft, erinnert uns, daß wir ſie bei den Pflanzen und zumeiſt bei den
Bäumen ſich ganz anders beantworten ſehen. Daß es bei dem Baume
keinen Zuſtand des vollendeten Wachsthums, kein einheitliches in allen
Theilen zugleich ſich regendes Leben giebt, wiſſen wir ſchon.

Ein Thier, wobei wir natürlich an einige, geſchloſſene Kolonien
bildende (wie die Korallenpolypen) nicht denken dürfen, iſt eben noch in
allen ſeinen Theilen lebendig und im nächſten Augenblick todt. An einem
Baume kann ſchon ſeit Jahrzehnten der Stamm ausgefault ſein, er iſt
aber dennoch fähig, vielleicht noch ein Jahrhundert lang fortzugrünen.
Durch eine kleine auf einen einzigen Punkt — Herz, Lunge, verlängertes
Mark — gerichtete Verwundung löſchen wir das Thierleben aus wie ein
Flämmchen, während wir vom Baume wiſſen, daß er ſelbſt dann nicht
ſtirbt, wenn wir ſeinen Stamm von der Wurzel trennen. Todſtechen,
erſchießen, überhaupt tödten, wie wir es mit einem Thiere thun, können
wir einen Baum nicht. Ueberhaupt der Begriff des gewaltſamen Todes
geſtaltet ſich für den Baum anders als für das Thier. Das Gewächs
hat keine ſolche eng begrenzten bedingenden Lebensmittelpunkte, von denen

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[200/0224] vortretende bis 1 Zoll groß und größer werdende Kugeln, welche, im Mittelpunkte wie die Kirſche den Kern einen Markkörper einſchließend, von concentriſchen Holzlagen gebildet werden. Hartig hat dieſen unvoll- kommenſten Verſuchen der Adventivſproßbildung den Namen Kugelſproß gegeben und läßt ſie hervorgehen aus Adventivknospen, die in dem Rinden- Zellgewebe dieſes ſonderbare Bildungs-Leben fortlebt, nachdem ihr Zu- ſammenhang mit dem Holz- und Markkörper des Triebes durch Abſterben des ſaftzuleitenden Gewebes aufgehoben worden iſt. Nachdem wir ſo die wichtigſten Bedingungen und Mittel des Baum- lebens und deſſen Gebilde kennen gelernt und gefunden haben, daß in den Neben- oder Adventivknospen die Pflanzen vor den Thieren eine eigenthümliche Verjüngungskraft voraushaben, tritt uns nun die Frage nahe, wie das Lebensende des Baumes bedingt ſei. Wenn Thiere und Pflanzen ſich als Weſen zweier verſchiedener Reiche von einander unterſcheiden, ſo iſt dies in keiner Hinſicht augen- fälliger als in der des Lebensendes. Schon die Frage, wann tritt dies bei den Pflanzen ein und iſt dieſer Eintritt wie bei den Thieren (wenig- ſtens bei den allermeiſten) an den Ablauf einer gewiſſen Zeitdauer ge- knüpft, erinnert uns, daß wir ſie bei den Pflanzen und zumeiſt bei den Bäumen ſich ganz anders beantworten ſehen. Daß es bei dem Baume keinen Zuſtand des vollendeten Wachsthums, kein einheitliches in allen Theilen zugleich ſich regendes Leben giebt, wiſſen wir ſchon. Ein Thier, wobei wir natürlich an einige, geſchloſſene Kolonien bildende (wie die Korallenpolypen) nicht denken dürfen, iſt eben noch in allen ſeinen Theilen lebendig und im nächſten Augenblick todt. An einem Baume kann ſchon ſeit Jahrzehnten der Stamm ausgefault ſein, er iſt aber dennoch fähig, vielleicht noch ein Jahrhundert lang fortzugrünen. Durch eine kleine auf einen einzigen Punkt — Herz, Lunge, verlängertes Mark — gerichtete Verwundung löſchen wir das Thierleben aus wie ein Flämmchen, während wir vom Baume wiſſen, daß er ſelbſt dann nicht ſtirbt, wenn wir ſeinen Stamm von der Wurzel trennen. Todſtechen, erſchießen, überhaupt tödten, wie wir es mit einem Thiere thun, können wir einen Baum nicht. Ueberhaupt der Begriff des gewaltſamen Todes geſtaltet ſich für den Baum anders als für das Thier. Das Gewächs hat keine ſolche eng begrenzten bedingenden Lebensmittelpunkte, von denen

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/224>, abgerufen am 17.05.2024.