Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

welche Gott den Menschen zugedacht hat.
würde ich nie glauben, wenn es auch alle Gelehrte
auf Erden behaupteten, da ich durch die Aussprü-
che der Gesandten Gottes, und seines Sohnes
selbst des Gegentheils versichert werde. Liebe gegen
das menschliche Geschlecht, unverdiente, unendli-
che Erbarmung bewog ihn, diese weise Anstalt zu
treffen, die in alle Ewigkeit von vernünftigen We-
sen mit Dank und Ehrfurcht bewundert zu werden
verdient.

Wir wollen ietzt nicht untersuchen, ob uns
Gott auch ohne den Tod des Mittlers die Strafen
unserer Sünden hätte erlaßen können. Aber so
viel ist gewiß, und kein Mensch wird dem Höchsten
dieses Recht abzusprechen sich getrauen, daß er die
vollkommenste Freyheit hat, gewiße große Wohl-
thaten nicht anders als unter gewißen Bedingnis-
sen seinen Geschöpfen zu ertheilen. Da er in allen
seinen Einrichtungen Ordnung und Wohlstand lie-
bet, so können wir gewiß glauben, daß alle seine
Anstalten höchst weise sind, wenn wir auch nicht
allemahl die Ursachen einsehen können, warum er
so und nicht anders verfähret. Wenn er uns nun
ein außerordentlich großes Glück zugedacht, aber
sich dabey besondere Mittel vorbehalten hat, durch
welche er seine wohlthätige Absicht hinaus zuführen
gedenket, wollen wir denn so verwegen seyn, und
seine Anstalten tadeln, weil wir die Ursachen nicht
einsehen können, warum er sie eben so, und nicht
anders gemacht hat? Gott ist seinen Geschöpfen
nichts schuldig. Es stehet blos in seiner allerhöch-
sten Freyheit, ob er ihnen etwas oder nichts, viel
oder wenig geben will. Wir können zwar von sei-

ner
E 5

welche Gott den Menſchen zugedacht hat.
würde ich nie glauben, wenn es auch alle Gelehrte
auf Erden behaupteten, da ich durch die Ausſprü-
che der Geſandten Gottes, und ſeines Sohnes
ſelbſt des Gegentheils verſichert werde. Liebe gegen
das menſchliche Geſchlecht, unverdiente, unendli-
che Erbarmung bewog ihn, dieſe weiſe Anſtalt zu
treffen, die in alle Ewigkeit von vernünftigen We-
ſen mit Dank und Ehrfurcht bewundert zu werden
verdient.

Wir wollen ietzt nicht unterſuchen, ob uns
Gott auch ohne den Tod des Mittlers die Strafen
unſerer Sünden hätte erlaßen können. Aber ſo
viel iſt gewiß, und kein Menſch wird dem Höchſten
dieſes Recht abzuſprechen ſich getrauen, daß er die
vollkommenſte Freyheit hat, gewiße große Wohl-
thaten nicht anders als unter gewißen Bedingniſ-
ſen ſeinen Geſchöpfen zu ertheilen. Da er in allen
ſeinen Einrichtungen Ordnung und Wohlſtand lie-
bet, ſo können wir gewiß glauben, daß alle ſeine
Anſtalten höchſt weiſe ſind, wenn wir auch nicht
allemahl die Urſachen einſehen können, warum er
ſo und nicht anders verfähret. Wenn er uns nun
ein außerordentlich großes Glück zugedacht, aber
ſich dabey beſondere Mittel vorbehalten hat, durch
welche er ſeine wohlthätige Abſicht hinaus zuführen
gedenket, wollen wir denn ſo verwegen ſeyn, und
ſeine Anſtalten tadeln, weil wir die Urſachen nicht
einſehen können, warum er ſie eben ſo, und nicht
anders gemacht hat? Gott iſt ſeinen Geſchöpfen
nichts ſchuldig. Es ſtehet blos in ſeiner allerhöch-
ſten Freyheit, ob er ihnen etwas oder nichts, viel
oder wenig geben will. Wir können zwar von ſei-

ner
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="73"/><fw place="top" type="header">welche Gott den Men&#x017F;chen zugedacht hat.</fw><lb/>
würde ich nie glauben, wenn es auch alle Gelehrte<lb/>
auf Erden behaupteten, da ich durch die Aus&#x017F;prü-<lb/>
che der Ge&#x017F;andten Gottes, und &#x017F;eines Sohnes<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t des Gegentheils ver&#x017F;ichert werde. Liebe gegen<lb/>
das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht, unverdiente, unendli-<lb/>
che Erbarmung bewog ihn, die&#x017F;e wei&#x017F;e An&#x017F;talt zu<lb/>
treffen, die in alle Ewigkeit von vernünftigen We-<lb/>
&#x017F;en mit Dank und Ehrfurcht bewundert zu werden<lb/>
verdient.</p><lb/>
        <p>Wir wollen ietzt nicht unter&#x017F;uchen, ob uns<lb/>
Gott auch ohne den Tod des Mittlers die Strafen<lb/>
un&#x017F;erer Sünden hätte erlaßen können. Aber &#x017F;o<lb/>
viel i&#x017F;t gewiß, und kein Men&#x017F;ch wird dem Höch&#x017F;ten<lb/>
die&#x017F;es Recht abzu&#x017F;prechen &#x017F;ich getrauen, daß er die<lb/>
vollkommen&#x017F;te Freyheit hat, gewiße große Wohl-<lb/>
thaten nicht anders als unter gewißen Bedingni&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;einen Ge&#x017F;chöpfen zu ertheilen. Da er in allen<lb/>
&#x017F;einen Einrichtungen Ordnung und Wohl&#x017F;tand lie-<lb/>
bet, &#x017F;o können wir gewiß glauben, daß alle &#x017F;eine<lb/>
An&#x017F;talten höch&#x017F;t wei&#x017F;e &#x017F;ind, wenn wir auch nicht<lb/>
allemahl die Ur&#x017F;achen ein&#x017F;ehen können, warum er<lb/>
&#x017F;o und nicht anders verfähret. Wenn er uns nun<lb/>
ein außerordentlich großes Glück zugedacht, aber<lb/>
&#x017F;ich dabey be&#x017F;ondere Mittel vorbehalten hat, durch<lb/>
welche er &#x017F;eine wohlthätige Ab&#x017F;icht hinaus zuführen<lb/>
gedenket, wollen wir denn &#x017F;o verwegen &#x017F;eyn, und<lb/>
&#x017F;eine An&#x017F;talten tadeln, weil wir die Ur&#x017F;achen nicht<lb/>
ein&#x017F;ehen können, warum er &#x017F;ie eben &#x017F;o, und nicht<lb/>
anders gemacht hat? Gott i&#x017F;t &#x017F;einen Ge&#x017F;chöpfen<lb/>
nichts &#x017F;chuldig. Es &#x017F;tehet blos in &#x017F;einer allerhöch-<lb/>
&#x017F;ten Freyheit, ob er ihnen etwas oder nichts, viel<lb/>
oder wenig geben will. Wir können zwar von &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0085] welche Gott den Menſchen zugedacht hat. würde ich nie glauben, wenn es auch alle Gelehrte auf Erden behaupteten, da ich durch die Ausſprü- che der Geſandten Gottes, und ſeines Sohnes ſelbſt des Gegentheils verſichert werde. Liebe gegen das menſchliche Geſchlecht, unverdiente, unendli- che Erbarmung bewog ihn, dieſe weiſe Anſtalt zu treffen, die in alle Ewigkeit von vernünftigen We- ſen mit Dank und Ehrfurcht bewundert zu werden verdient. Wir wollen ietzt nicht unterſuchen, ob uns Gott auch ohne den Tod des Mittlers die Strafen unſerer Sünden hätte erlaßen können. Aber ſo viel iſt gewiß, und kein Menſch wird dem Höchſten dieſes Recht abzuſprechen ſich getrauen, daß er die vollkommenſte Freyheit hat, gewiße große Wohl- thaten nicht anders als unter gewißen Bedingniſ- ſen ſeinen Geſchöpfen zu ertheilen. Da er in allen ſeinen Einrichtungen Ordnung und Wohlſtand lie- bet, ſo können wir gewiß glauben, daß alle ſeine Anſtalten höchſt weiſe ſind, wenn wir auch nicht allemahl die Urſachen einſehen können, warum er ſo und nicht anders verfähret. Wenn er uns nun ein außerordentlich großes Glück zugedacht, aber ſich dabey beſondere Mittel vorbehalten hat, durch welche er ſeine wohlthätige Abſicht hinaus zuführen gedenket, wollen wir denn ſo verwegen ſeyn, und ſeine Anſtalten tadeln, weil wir die Urſachen nicht einſehen können, warum er ſie eben ſo, und nicht anders gemacht hat? Gott iſt ſeinen Geſchöpfen nichts ſchuldig. Es ſtehet blos in ſeiner allerhöch- ſten Freyheit, ob er ihnen etwas oder nichts, viel oder wenig geben will. Wir können zwar von ſei- ner E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/85
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/85>, abgerufen am 24.11.2024.