Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.welche Gott den Menschen zugedacht hat. freylich heist dieß das Allgenugsame Wesen in dieKlaße niedrigdenkender, rachgieriger Geschöpfe herun- tersetzen wenn man solche Vorstellungen von dem- selben macht, dergleichen ich erst angeführt habe. So kennet die erleuchtete Vernunft Gott nicht. Und eben dieses, das man dennoch das gütigste Wesen zum öftern so vorstellte, war die vornehm- ste Ursache, daß so viele, zum Theil redliche For- scher der Wahrheit, alles was die Schrift von der Vermittelung und Versöhnung Christi lehret, als Vernunftwidrig bestritten, und wenn sie auch die heil. Schrift als eine göttliche Offenbarung annah- men, die dahin gehörigen Stellen auf eine gewalt- same Weise verdrehet haben, damit sie nur nicht glauben dürften, Gott habe Christo die Strafen unserer Sünden auferlegt. Aber man hätte doch erst unpartheyisch untersuchen sollen, ob auch die Schrift in allen Stücken mit dem übereinstimme, was freylich manche Lehrer des Christenthums un- vorsichtig genug von den Ursachen, warum Gott gewollt, daß Christus für unsere Sünden sterben sollen, vorgetragen und gelehrt haben. Es ist sehr zu beklagen, daß man von ieher die wichtigsten, frucht- barsten und heilsamsten Lehren des Christenthums durch unnütze Streitigkeiten gar oft verstellt hat, an statt sie für das Herz und Leben der Menschen wichtig zu machen, und zu dieser großen Absicht dankbarlich anzuwenden. Wenn wir das, was uns Christus und seine Apostel hierüber entdeckt ha- ben, mit redlicher Wahrheitsliebe betrachten, so wird es uns so gar nicht anstößig vorkommen, daß wir vielmehr zur Bewunderung der Weisheit Got- tes, E 4
welche Gott den Menſchen zugedacht hat. freylich heiſt dieß das Allgenugſame Weſen in dieKlaße niedrigdenkender, rachgieriger Geſchöpfe herun- terſetzen wenn man ſolche Vorſtellungen von dem- ſelben macht, dergleichen ich erſt angeführt habe. So kennet die erleuchtete Vernunft Gott nicht. Und eben dieſes, das man dennoch das gütigſte Weſen zum öftern ſo vorſtellte, war die vornehm- ſte Urſache, daß ſo viele, zum Theil redliche For- ſcher der Wahrheit, alles was die Schrift von der Vermittelung und Verſöhnung Chriſti lehret, als Vernunftwidrig beſtritten, und wenn ſie auch die heil. Schrift als eine göttliche Offenbarung annah- men, die dahin gehörigen Stellen auf eine gewalt- ſame Weiſe verdrehet haben, damit ſie nur nicht glauben dürften, Gott habe Chriſto die Strafen unſerer Sünden auferlegt. Aber man hätte doch erſt unpartheyiſch unterſuchen ſollen, ob auch die Schrift in allen Stücken mit dem übereinſtimme, was freylich manche Lehrer des Chriſtenthums un- vorſichtig genug von den Urſachen, warum Gott gewollt, daß Chriſtus für unſere Sünden ſterben ſollen, vorgetragen und gelehrt haben. Es iſt ſehr zu beklagen, daß man von ieher die wichtigſten, frucht- barſten und heilſamſten Lehren des Chriſtenthums durch unnütze Streitigkeiten gar oft verſtellt hat, an ſtatt ſie für das Herz und Leben der Menſchen wichtig zu machen, und zu dieſer großen Abſicht dankbarlich anzuwenden. Wenn wir das, was uns Chriſtus und ſeine Apoſtel hierüber entdeckt ha- ben, mit redlicher Wahrheitsliebe betrachten, ſo wird es uns ſo gar nicht anſtößig vorkommen, daß wir vielmehr zur Bewunderung der Weisheit Got- tes, E 4
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welche Gott den Menſchen zugedacht hat.
freylich heiſt dieß das Allgenugſame Weſen in die
Klaße niedrigdenkender, rachgieriger Geſchöpfe herun-
terſetzen wenn man ſolche Vorſtellungen von dem-
ſelben macht, dergleichen ich erſt angeführt habe.
So kennet die erleuchtete Vernunft Gott nicht.
Und eben dieſes, das man dennoch das gütigſte
Weſen zum öftern ſo vorſtellte, war die vornehm-
ſte Urſache, daß ſo viele, zum Theil redliche For-
ſcher der Wahrheit, alles was die Schrift von der
Vermittelung und Verſöhnung Chriſti lehret, als
Vernunftwidrig beſtritten, und wenn ſie auch die
heil. Schrift als eine göttliche Offenbarung annah-
men, die dahin gehörigen Stellen auf eine gewalt-
ſame Weiſe verdrehet haben, damit ſie nur nicht
glauben dürften, Gott habe Chriſto die Strafen
unſerer Sünden auferlegt. Aber man hätte doch
erſt unpartheyiſch unterſuchen ſollen, ob auch die
Schrift in allen Stücken mit dem übereinſtimme,
was freylich manche Lehrer des Chriſtenthums un-
vorſichtig genug von den Urſachen, warum Gott
gewollt, daß Chriſtus für unſere Sünden ſterben
ſollen, vorgetragen und gelehrt haben. Es iſt ſehr
zu beklagen, daß man von ieher die wichtigſten, frucht-
barſten und heilſamſten Lehren des Chriſtenthums
durch unnütze Streitigkeiten gar oft verſtellt hat,
an ſtatt ſie für das Herz und Leben der Menſchen
wichtig zu machen, und zu dieſer großen Abſicht
dankbarlich anzuwenden. Wenn wir das, was
uns Chriſtus und ſeine Apoſtel hierüber entdeckt ha-
ben, mit redlicher Wahrheitsliebe betrachten, ſo
wird es uns ſo gar nicht anſtößig vorkommen, daß
wir vielmehr zur Bewunderung der Weisheit Got-
tes,
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