Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.des Nächsten. er bey aller Gelegenheit von seinen vermeinten Vor-zügen und Thaten spricht, da es gemeiniglich Klei- nigkeiten sind, worauf er sich so viel zu Gute thut. Aber dergleichen Personen verrathen eben damit auch eine große Lieblosigkeit, in dem sie alle andere mit stolzer Verachtung ansehen, und ihnen die ge- bührende Achtung versagen. Sie stellet sich nicht ungeberdig, ist nicht Sie suchet nicht das Ihre, ist nicht eigen- Hand N 4
des Nächſten. er bey aller Gelegenheit von ſeinen vermeinten Vor-zügen und Thaten ſpricht, da es gemeiniglich Klei- nigkeiten ſind, worauf er ſich ſo viel zu Gute thut. Aber dergleichen Perſonen verrathen eben damit auch eine große Liebloſigkeit, in dem ſie alle andere mit ſtolzer Verachtung anſehen, und ihnen die ge- bührende Achtung verſagen. Sie ſtellet ſich nicht ungeberdig, iſt nicht Sie ſuchet nicht das Ihre, iſt nicht eigen- Hand N 4
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des Nächſten.
er bey aller Gelegenheit von ſeinen vermeinten Vor-
zügen und Thaten ſpricht, da es gemeiniglich Klei-
nigkeiten ſind, worauf er ſich ſo viel zu Gute thut.
Aber dergleichen Perſonen verrathen eben damit
auch eine große Liebloſigkeit, in dem ſie alle andere
mit ſtolzer Verachtung anſehen, und ihnen die ge-
bührende Achtung verſagen.
Sie ſtellet ſich nicht ungeberdig, iſt nicht
ungeſittet. Es giebt Leute, die das Vertraulich-
keit nennen, wenn ſie alle Regeln der Höflichkeit
gegen andere ihres Gleichen aus den Augen ſetzen,
und ſich alles erlauben, was ihnen nur in den
Sinn kommt. Das heiſt nicht Liebe; denn dieſe
iſt allezeit mit Achtung verbunden, welche die Vor-
züge des Nebenmenſchen erkennt, und ſich durch
äußerliche Merkmahle an den Tag legt. Und wer
wohl gar uns etwas zumuthen kan, was dem Wohl-
ſtande und guten Sitten zuwider iſt, der muß ſich
entweder einen ſchlechten Begriff von unſerer Tu-
gend machen, oder ſich vorgenommen haben, uns
zum Laſter unter dem Schein der Freundſchaft zu
verführen.
Sie ſuchet nicht das Ihre, iſt nicht eigen-
nützig. Es iſt uns nicht unterſagt, unſere wahre
Wohlfarth zu befördern, und auf unſere eigenen
Vortheile bedacht zu ſeyn. Aber was ſoll man von
denen denken, die keinem Menſchen eine Gefällig-
keit oder Wohlthat erweiſen, wo ſie nicht eine Ver-
geltung dafür erwarten können? die bey einem ie-
den Schritt, den ſie zum Beſten eines andern thun
ſollen, fragen: Was wird mir dafür? und,
wenn ſie nichts dafür zu erwarten haben, weder
Hand
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