Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.des Erlösers. te. Ob er wohl in göttlicher Herrlichkeit war,hielt ers nicht für einen Raub Gott gleich seyn. Diese etwas undeutliche Redensart ist von einem Sieger hergenommen, der mit seiner eroberten prächtigen Beute pranget, und damit im Triumph einherziehet. Die Menschen fühlen eine natürliche Begierde, ihre wahren oder vermeinten Vorzüge vor der Welt zu zeigen, Bewunderung zu erregen, sich über andere empor zu schwingen. Und wie oft sind es nur eingebildete Vorzüge, worauf der ar- me Sterbliche stolz ist! Von den Gütern dieses Lebens ein wenig mehr haben, als der gröste Hau- fe der Menschen hat, ein wenig mehr Weisheit und Einsicht als andere besitzen, eine vornehmere Geburt, diese und noch weit geringere Dinge er- füllen die Herzen der meisten Menschen mit Stolz und Hochmuth, daß sie sich für ungleich beßer als ihre Mitbrüder in der Wele, daß sie sich gleichsam für eine ganz andere Gattung von Menschen halten. Mit welcher Verachtung siehet der Reiche gemeini- glich auf den Dürftigen und Armen herab! Wie übel empfindet er es, wenn man ihm keinen Vor- zug vor diesem geben will! Wie verächtlich ist ge- meiniglich in den Augen der Edlen und Großen der Welt der Bürger und Landmann, oder auch sonst ein ieder Mensch von mittelmäßigen und gemeinen Stande! O Menschen, die ihr oft auf Vorzüge trotzet, die in der That nichts sind, die ihr schon durch eine Mine so leicht aufgebracht werdet, als wäre eure Ehre gekränkt worden -- wer seyd ihr, daß ihr, euch über andere erheben, mit stolzer Verachtung auf sie herunter sehen, und oft wegen einge- G 5
des Erlöſers. te. Ob er wohl in göttlicher Herrlichkeit war,hielt ers nicht für einen Raub Gott gleich ſeyn. Dieſe etwas undeutliche Redensart iſt von einem Sieger hergenommen, der mit ſeiner eroberten prächtigen Beute pranget, und damit im Triumph einherziehet. Die Menſchen fühlen eine natürliche Begierde, ihre wahren oder vermeinten Vorzüge vor der Welt zu zeigen, Bewunderung zu erregen, ſich über andere empor zu ſchwingen. Und wie oft ſind es nur eingebildete Vorzüge, worauf der ar- me Sterbliche ſtolz iſt! Von den Gütern dieſes Lebens ein wenig mehr haben, als der gröſte Hau- fe der Menſchen hat, ein wenig mehr Weisheit und Einſicht als andere beſitzen, eine vornehmere Geburt, dieſe und noch weit geringere Dinge er- füllen die Herzen der meiſten Menſchen mit Stolz und Hochmuth, daß ſie ſich für ungleich beßer als ihre Mitbrüder in der Wele, daß ſie ſich gleichſam für eine ganz andere Gattung von Menſchen halten. Mit welcher Verachtung ſiehet der Reiche gemeini- glich auf den Dürftigen und Armen herab! Wie übel empfindet er es, wenn man ihm keinen Vor- zug vor dieſem geben will! Wie verächtlich iſt ge- meiniglich in den Augen der Edlen und Großen der Welt der Bürger und Landmann, oder auch ſonſt ein ieder Menſch von mittelmäßigen und gemeinen Stande! O Menſchen, die ihr oft auf Vorzüge trotzet, die in der That nichts ſind, die ihr ſchon durch eine Mine ſo leicht aufgebracht werdet, als wäre eure Ehre gekränkt worden — wer ſeyd ihr, daß ihr, euch über andere erheben, mit ſtolzer Verachtung auf ſie herunter ſehen, und oft wegen einge- G 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="105"/><fw place="top" type="header">des Erlöſers.</fw><lb/> te. Ob er wohl in göttlicher Herrlichkeit war,<lb/><hi rendition="#fr">hielt ers nicht für einen Raub Gott gleich ſeyn.</hi><lb/> Dieſe etwas undeutliche Redensart iſt von einem<lb/> Sieger hergenommen, der mit ſeiner eroberten<lb/> prächtigen Beute pranget, und damit im Triumph<lb/> einherziehet. Die Menſchen fühlen eine natürliche<lb/> Begierde, ihre wahren oder vermeinten Vorzüge<lb/> vor der Welt zu zeigen, Bewunderung zu erregen,<lb/> ſich über andere empor zu ſchwingen. Und wie oft<lb/> ſind es nur eingebildete Vorzüge, worauf der ar-<lb/> me Sterbliche ſtolz iſt! Von den Gütern dieſes<lb/> Lebens ein wenig mehr haben, als der gröſte Hau-<lb/> fe der Menſchen hat, ein wenig mehr Weisheit<lb/> und Einſicht als andere beſitzen, eine vornehmere<lb/> Geburt, dieſe und noch weit geringere Dinge er-<lb/> füllen die Herzen der meiſten Menſchen mit Stolz<lb/> und Hochmuth, daß ſie ſich für ungleich beßer als<lb/> ihre Mitbrüder in der Wele, daß ſie ſich gleichſam<lb/> für eine ganz andere Gattung von Menſchen halten.<lb/> Mit welcher Verachtung ſiehet der Reiche gemeini-<lb/> glich auf den Dürftigen und Armen herab! Wie<lb/> übel empfindet er es, wenn man ihm keinen Vor-<lb/> zug vor dieſem geben will! Wie verächtlich iſt ge-<lb/> meiniglich in den Augen der Edlen und Großen der<lb/> Welt der Bürger und Landmann, oder auch ſonſt<lb/> ein ieder Menſch von mittelmäßigen und gemeinen<lb/> Stande! O Menſchen, die ihr oft auf Vorzüge<lb/> trotzet, die in der That nichts ſind, die ihr ſchon<lb/> durch eine Mine ſo leicht aufgebracht werdet, als<lb/> wäre eure Ehre gekränkt worden — wer ſeyd ihr,<lb/> daß ihr, euch über andere erheben, mit ſtolzer<lb/> Verachtung auf ſie herunter ſehen, und oft wegen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 5</fw><fw place="bottom" type="catch">einge-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [105/0117]
des Erlöſers.
te. Ob er wohl in göttlicher Herrlichkeit war,
hielt ers nicht für einen Raub Gott gleich ſeyn.
Dieſe etwas undeutliche Redensart iſt von einem
Sieger hergenommen, der mit ſeiner eroberten
prächtigen Beute pranget, und damit im Triumph
einherziehet. Die Menſchen fühlen eine natürliche
Begierde, ihre wahren oder vermeinten Vorzüge
vor der Welt zu zeigen, Bewunderung zu erregen,
ſich über andere empor zu ſchwingen. Und wie oft
ſind es nur eingebildete Vorzüge, worauf der ar-
me Sterbliche ſtolz iſt! Von den Gütern dieſes
Lebens ein wenig mehr haben, als der gröſte Hau-
fe der Menſchen hat, ein wenig mehr Weisheit
und Einſicht als andere beſitzen, eine vornehmere
Geburt, dieſe und noch weit geringere Dinge er-
füllen die Herzen der meiſten Menſchen mit Stolz
und Hochmuth, daß ſie ſich für ungleich beßer als
ihre Mitbrüder in der Wele, daß ſie ſich gleichſam
für eine ganz andere Gattung von Menſchen halten.
Mit welcher Verachtung ſiehet der Reiche gemeini-
glich auf den Dürftigen und Armen herab! Wie
übel empfindet er es, wenn man ihm keinen Vor-
zug vor dieſem geben will! Wie verächtlich iſt ge-
meiniglich in den Augen der Edlen und Großen der
Welt der Bürger und Landmann, oder auch ſonſt
ein ieder Menſch von mittelmäßigen und gemeinen
Stande! O Menſchen, die ihr oft auf Vorzüge
trotzet, die in der That nichts ſind, die ihr ſchon
durch eine Mine ſo leicht aufgebracht werdet, als
wäre eure Ehre gekränkt worden — wer ſeyd ihr,
daß ihr, euch über andere erheben, mit ſtolzer
Verachtung auf ſie herunter ſehen, und oft wegen
einge-
G 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |