er die Wahrheit, gestehen und nicht zum Schein den Helden machen will, oder bey der Vorstellung des Künftigen gedankenlos und unempfindlich ist, so wird er nicht leugnen, daß ihn eine Furcht über- falle, so oft er sich seinen Tod mit allen seinen möglichen Umständen, und nach seinen Folgen leb- haft vorstellet.
Hätte nun wohl dem menschlichen Ge- schlechte eine größere Wohlthat erwiesen werden können, als da demselben diese Todesfurcht be- nommen würde? Hiervon hängt in der That unsere wahre Ruhe, und alle wahre, dauerhafte Zufriedenheit ab, wenn wir gewiß überzeugt sind, daß wir bey dem Tode unsers Leibes nicht in unser erstes Nichts zurückefallen, daß unsere Seele lebt, auch wann sie von dem Körper getrennet ist, daß sie in diesem Zustande alle die Freude und Wol- lust empfindet, die mit dem Bewustseyn der Gna- de Gottes und eines guten Gewißens verbunden ist, daß sie einstens wieder mit ihrem wiederherge- stellten und ungleich feinern Körper in alle Ewig- keit das unaussprechliche Vergnügen genießen wer- de, das aus der möglichst großen Erkenntnis Got- tes, aus dem Umgang mit allen vortreflichen und ehrwürdigen Geschöpfen, und aus der beständigen Ausübung alles deßen was gut, edel und groß heißen kan, nothwendig entstehen muß. Wenn wir gewiß überzeugt sind, daß dieienige Verände- rung, die wir Tod zu nennen pflegen, nur der Anfang eines desto glücklichern Lebens ist, wie kön- nen wir den Tod noch fürchten? Die Sinnen können zwar von der Vorstellung nicht alles Fürch-
terli-
Siebende Betr. Von Jeſu Chriſto
er die Wahrheit, geſtehen und nicht zum Schein den Helden machen will, oder bey der Vorſtellung des Künftigen gedankenlos und unempfindlich iſt, ſo wird er nicht leugnen, daß ihn eine Furcht über- falle, ſo oft er ſich ſeinen Tod mit allen ſeinen möglichen Umſtänden, und nach ſeinen Folgen leb- haft vorſtellet.
Hätte nun wohl dem menſchlichen Ge- ſchlechte eine größere Wohlthat erwieſen werden können, als da demſelben dieſe Todesfurcht be- nommen würde? Hiervon hängt in der That unſere wahre Ruhe, und alle wahre, dauerhafte Zufriedenheit ab, wenn wir gewiß überzeugt ſind, daß wir bey dem Tode unſers Leibes nicht in unſer erſtes Nichts zurückefallen, daß unſere Seele lebt, auch wann ſie von dem Körper getrennet iſt, daß ſie in dieſem Zuſtande alle die Freude und Wol- luſt empfindet, die mit dem Bewuſtſeyn der Gna- de Gottes und eines guten Gewißens verbunden iſt, daß ſie einſtens wieder mit ihrem wiederherge- ſtellten und ungleich feinern Körper in alle Ewig- keit das unausſprechliche Vergnügen genießen wer- de, das aus der möglichſt großen Erkenntnis Got- tes, aus dem Umgang mit allen vortreflichen und ehrwürdigen Geſchöpfen, und aus der beſtändigen Ausübung alles deßen was gut, edel und groß heißen kan, nothwendig entſtehen muß. Wenn wir gewiß überzeugt ſind, daß dieienige Verände- rung, die wir Tod zu nennen pflegen, nur der Anfang eines deſto glücklichern Lebens iſt, wie kön- nen wir den Tod noch fürchten? Die Sinnen können zwar von der Vorſtellung nicht alles Fürch-
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Siebende Betr. Von Jeſu Chriſto
er die Wahrheit, geſtehen und nicht zum Schein den
Helden machen will, oder bey der Vorſtellung des
Künftigen gedankenlos und unempfindlich iſt, ſo
wird er nicht leugnen, daß ihn eine Furcht über-
falle, ſo oft er ſich ſeinen Tod mit allen ſeinen
möglichen Umſtänden, und nach ſeinen Folgen leb-
haft vorſtellet.
Hätte nun wohl dem menſchlichen Ge-
ſchlechte eine größere Wohlthat erwieſen werden
können, als da demſelben dieſe Todesfurcht be-
nommen würde? Hiervon hängt in der That
unſere wahre Ruhe, und alle wahre, dauerhafte
Zufriedenheit ab, wenn wir gewiß überzeugt
ſind, daß wir bey dem Tode unſers Leibes nicht in
unſer erſtes Nichts zurückefallen, daß unſere Seele
lebt, auch wann ſie von dem Körper getrennet iſt,
daß ſie in dieſem Zuſtande alle die Freude und Wol-
luſt empfindet, die mit dem Bewuſtſeyn der Gna-
de Gottes und eines guten Gewißens verbunden
iſt, daß ſie einſtens wieder mit ihrem wiederherge-
ſtellten und ungleich feinern Körper in alle Ewig-
keit das unausſprechliche Vergnügen genießen wer-
de, das aus der möglichſt großen Erkenntnis Got-
tes, aus dem Umgang mit allen vortreflichen und
ehrwürdigen Geſchöpfen, und aus der beſtändigen
Ausübung alles deßen was gut, edel und groß
heißen kan, nothwendig entſtehen muß. Wenn
wir gewiß überzeugt ſind, daß dieienige Verände-
rung, die wir Tod zu nennen pflegen, nur der
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nen wir den Tod noch fürchten? Die Sinnen
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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/106>, abgerufen am 18.07.2024.
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