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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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und tiefe, heitere und düstere, gemeine und erhabene, greu¬
liche und allerliebste, lächerliche und furchtbare Caricaturen.
Wie sie aber auch in sich bestimmt sein mögen, immer weisen
sie mit sich zugleich auf ihren positiven Hintergrund hin und
lassen ihr Gegentheil unmittelbar mit sich erscheinen. Von
jedem Häßlichen muß man allerdings sagen, daß es durch
sich die Beziehung auf dasjenige Schöne mitsetzt, das von
ihm negirt wird. Das Formlose für sich fordert die Form
heraus; das Incorrecte erinnert sofort an sein normales
Maaß; das Gemeine ist gemein, weil es dem Erhabenen,
das Widrige, weil es dem Gefälligen widerspricht. Die Cari¬
catur aber ist nicht nur die Negation allgemeiner ästhetischer
Bestimmungen, sondern spiegelt als Zerrbild eines erhabenen,
eines reizenden oder schönen Urbildes die Qualitäten und
Formen desselben auf individuelle Weise in sich ab, so daß
sie, wie gesagt, relativ sagar als schön erscheinen können,
aber in ihrer Verlorenheit dann eine um so energischere
Wirkung hervorbringen. Man nehme z. B. den Don
Quixote
von Cervantes. Der edle Manchaner ist ein
Phantast, der sich mit künstlich krankhafter Anstrengung noch
als Ritter des Mittelalters gerirt, nachdem die ganze Um¬
gebung sich schon aus demselben herausgearbeitet und mit
einer so abenteuerlichen Handlungsweise in Widerspruch gesetzt
hat. Schon gibt es keine Riesen, Castelle, Zauberer mehr;
schon hat die Polizei einen Theil der Ritterpflichten auf sich
genommen; schon hat der Staat sich zum gesetzmäßigen Be¬
schützer der Wittwen, Waisen und Unschuldigen gemacht; schon
ist die individuelle Kraft und Tapferkeit gegen die Gewalt
des Feuergewehrs gleichgültig geworden. Dennoch handelt
Don Quixote, als ob dies Alles noch nicht existirte, geräth
dadurch nothwendig in tausend Conflicte und wird in ihnen

und tiefe, heitere und düſtere, gemeine und erhabene, greu¬
liche und allerliebſte, lächerliche und furchtbare Caricaturen.
Wie ſie aber auch in ſich beſtimmt ſein mögen, immer weiſen
ſie mit ſich zugleich auf ihren poſitiven Hintergrund hin und
laſſen ihr Gegentheil unmittelbar mit ſich erſcheinen. Von
jedem Häßlichen muß man allerdings ſagen, daß es durch
ſich die Beziehung auf dasjenige Schöne mitſetzt, das von
ihm negirt wird. Das Formloſe für ſich fordert die Form
heraus; das Incorrecte erinnert ſofort an ſein normales
Maaß; das Gemeine iſt gemein, weil es dem Erhabenen,
das Widrige, weil es dem Gefälligen widerſpricht. Die Cari¬
catur aber iſt nicht nur die Negation allgemeiner äſthetiſcher
Beſtimmungen, ſondern ſpiegelt als Zerrbild eines erhabenen,
eines reizenden oder ſchönen Urbildes die Qualitäten und
Formen deſſelben auf individuelle Weiſe in ſich ab, ſo daß
ſie, wie geſagt, relativ ſagar als ſchön erſcheinen können,
aber in ihrer Verlorenheit dann eine um ſo energiſchere
Wirkung hervorbringen. Man nehme z. B. den Don
Quixote
von Cervantes. Der edle Manchaner iſt ein
Phantaſt, der ſich mit künſtlich krankhafter Anſtrengung noch
als Ritter des Mittelalters gerirt, nachdem die ganze Um¬
gebung ſich ſchon aus demſelben herausgearbeitet und mit
einer ſo abenteuerlichen Handlungsweiſe in Widerſpruch geſetzt
hat. Schon gibt es keine Rieſen, Caſtelle, Zauberer mehr;
ſchon hat die Polizei einen Theil der Ritterpflichten auf ſich
genommen; ſchon hat der Staat ſich zum geſetzmäßigen Be¬
ſchützer der Wittwen, Waiſen und Unſchuldigen gemacht; ſchon
iſt die individuelle Kraft und Tapferkeit gegen die Gewalt
des Feuergewehrs gleichgültig geworden. Dennoch handelt
Don Quixote, als ob dies Alles noch nicht exiſtirte, geräth
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[64/0086] und tiefe, heitere und düſtere, gemeine und erhabene, greu¬ liche und allerliebſte, lächerliche und furchtbare Caricaturen. Wie ſie aber auch in ſich beſtimmt ſein mögen, immer weiſen ſie mit ſich zugleich auf ihren poſitiven Hintergrund hin und laſſen ihr Gegentheil unmittelbar mit ſich erſcheinen. Von jedem Häßlichen muß man allerdings ſagen, daß es durch ſich die Beziehung auf dasjenige Schöne mitſetzt, das von ihm negirt wird. Das Formloſe für ſich fordert die Form heraus; das Incorrecte erinnert ſofort an ſein normales Maaß; das Gemeine iſt gemein, weil es dem Erhabenen, das Widrige, weil es dem Gefälligen widerſpricht. Die Cari¬ catur aber iſt nicht nur die Negation allgemeiner äſthetiſcher Beſtimmungen, ſondern ſpiegelt als Zerrbild eines erhabenen, eines reizenden oder ſchönen Urbildes die Qualitäten und Formen deſſelben auf individuelle Weiſe in ſich ab, ſo daß ſie, wie geſagt, relativ ſagar als ſchön erſcheinen können, aber in ihrer Verlorenheit dann eine um ſo energiſchere Wirkung hervorbringen. Man nehme z. B. den Don Quixote von Cervantes. Der edle Manchaner iſt ein Phantaſt, der ſich mit künſtlich krankhafter Anſtrengung noch als Ritter des Mittelalters gerirt, nachdem die ganze Um¬ gebung ſich ſchon aus demſelben herausgearbeitet und mit einer ſo abenteuerlichen Handlungsweiſe in Widerſpruch geſetzt hat. Schon gibt es keine Rieſen, Caſtelle, Zauberer mehr; ſchon hat die Polizei einen Theil der Ritterpflichten auf ſich genommen; ſchon hat der Staat ſich zum geſetzmäßigen Be¬ ſchützer der Wittwen, Waiſen und Unſchuldigen gemacht; ſchon iſt die individuelle Kraft und Tapferkeit gegen die Gewalt des Feuergewehrs gleichgültig geworden. Dennoch handelt Don Quixote, als ob dies Alles noch nicht exiſtirte, geräth dadurch nothwendig in tauſend Conflicte und wird in ihnen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/86>, abgerufen am 28.04.2024.