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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Ziel der Freiheit einzugehen. Sie mögen andern Wissen¬
schaften überlassen bleiben. Begnügen wir uns hier mit dem
ästhetischen Gesichtspunct, so ergibt sich, daß die Freiheit als
die sich selbst bestimmende Nothwendigkeit den ideellen Gehalt
des Schönen ausmacht. Die Freiheit hat durch ihr Wesen
die Möglichkeit einer doppelten Bewegung an sich, indem
sie entweder über das mittlere Maaß der Erscheinung in das
Unendliche hinaus, oder unter ihm in das Endliche hinein¬
gehen kann. An und für sich ist sie die Einheit der Unend¬
lichkeit ihres Inhaltes und der Endlichkeit ihrer Form und
als solche Einheit schön. Hebt sie aber die Endlichkeit ihrer
Selbstbegrenzung auf, so wird sie mit diesem Act erhaben;
setzt sie dagegen ihre Verendlichung, beschränkt sie sich, so
wird sie mit solcher Faßlichkeit gefällig. Das absolut Schöne
ruhet in seiner eigenen Unendlichkeit, weder hinausstrebend
in's Grenzenlose, noch sich verlierend in's Kleine.

Der wahrhafte Gegensatz des Erhabenen ist nicht das
Häßliche, wie Ruge und K. Fischer, nicht das Komische,
wie Vischer meint, sondern das Gefällige. Es muß in der
Idee des Schönen unterschieden werden zwischen dem Gegen¬
satz, den das Schöne überhaupt, also auch das Erhabene an
dem Häßlichen als dem Negativschönen hat, und dem positi¬
ven Gegensatz, den das Erhabenschöne an den niedlichen und
zierlichen Formen des Gefälligschönen hat. Durch die Ver¬
mittelung, welche das Häßliche für das Komische hervor¬
bringt, kann dieses zwar relativ auch dem Erhabenen ent¬
gegengesetzt werden, allein es ist wohl zu erwägen, daß das
Komische, weil es des Humors fähig ist, auch wieder in's
Erhabene übergehen kann. Was man beim Sturze Napo¬
leons
I. sagte: du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas;
und was man bei der Erhebung Napoleons III. sagte: du

Ziel der Freiheit einzugehen. Sie mögen andern Wiſſen¬
ſchaften überlaſſen bleiben. Begnügen wir uns hier mit dem
äſthetiſchen Geſichtspunct, ſo ergibt ſich, daß die Freiheit als
die ſich ſelbſt beſtimmende Nothwendigkeit den ideellen Gehalt
des Schönen ausmacht. Die Freiheit hat durch ihr Weſen
die Möglichkeit einer doppelten Bewegung an ſich, indem
ſie entweder über das mittlere Maaß der Erſcheinung in das
Unendliche hinaus, oder unter ihm in das Endliche hinein¬
gehen kann. An und für ſich iſt ſie die Einheit der Unend¬
lichkeit ihres Inhaltes und der Endlichkeit ihrer Form und
als ſolche Einheit ſchön. Hebt ſie aber die Endlichkeit ihrer
Selbſtbegrenzung auf, ſo wird ſie mit dieſem Act erhaben;
ſetzt ſie dagegen ihre Verendlichung, beſchränkt ſie ſich, ſo
wird ſie mit ſolcher Faßlichkeit gefällig. Das abſolut Schöne
ruhet in ſeiner eigenen Unendlichkeit, weder hinausſtrebend
in's Grenzenloſe, noch ſich verlierend in's Kleine.

Der wahrhafte Gegenſatz des Erhabenen iſt nicht das
Häßliche, wie Ruge und K. Fiſcher, nicht das Komiſche,
wie Viſcher meint, ſondern das Gefällige. Es muß in der
Idee des Schönen unterſchieden werden zwiſchen dem Gegen¬
ſatz, den das Schöne überhaupt, alſo auch das Erhabene an
dem Häßlichen als dem Negativſchönen hat, und dem poſiti¬
ven Gegenſatz, den das Erhabenſchöne an den niedlichen und
zierlichen Formen des Gefälligſchönen hat. Durch die Ver¬
mittelung, welche das Häßliche für das Komiſche hervor¬
bringt, kann dieſes zwar relativ auch dem Erhabenen ent¬
gegengeſetzt werden, allein es iſt wohl zu erwägen, daß das
Komiſche, weil es des Humors fähig iſt, auch wieder in's
Erhabene übergehen kann. Was man beim Sturze Napo¬
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I. ſagte: du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas;
und was man bei der Erhebung Napoleons III. ſagte: du

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[61/0083] Ziel der Freiheit einzugehen. Sie mögen andern Wiſſen¬ ſchaften überlaſſen bleiben. Begnügen wir uns hier mit dem äſthetiſchen Geſichtspunct, ſo ergibt ſich, daß die Freiheit als die ſich ſelbſt beſtimmende Nothwendigkeit den ideellen Gehalt des Schönen ausmacht. Die Freiheit hat durch ihr Weſen die Möglichkeit einer doppelten Bewegung an ſich, indem ſie entweder über das mittlere Maaß der Erſcheinung in das Unendliche hinaus, oder unter ihm in das Endliche hinein¬ gehen kann. An und für ſich iſt ſie die Einheit der Unend¬ lichkeit ihres Inhaltes und der Endlichkeit ihrer Form und als ſolche Einheit ſchön. Hebt ſie aber die Endlichkeit ihrer Selbſtbegrenzung auf, ſo wird ſie mit dieſem Act erhaben; ſetzt ſie dagegen ihre Verendlichung, beſchränkt ſie ſich, ſo wird ſie mit ſolcher Faßlichkeit gefällig. Das abſolut Schöne ruhet in ſeiner eigenen Unendlichkeit, weder hinausſtrebend in's Grenzenloſe, noch ſich verlierend in's Kleine. Der wahrhafte Gegenſatz des Erhabenen iſt nicht das Häßliche, wie Ruge und K. Fiſcher, nicht das Komiſche, wie Viſcher meint, ſondern das Gefällige. Es muß in der Idee des Schönen unterſchieden werden zwiſchen dem Gegen¬ ſatz, den das Schöne überhaupt, alſo auch das Erhabene an dem Häßlichen als dem Negativſchönen hat, und dem poſiti¬ ven Gegenſatz, den das Erhabenſchöne an den niedlichen und zierlichen Formen des Gefälligſchönen hat. Durch die Ver¬ mittelung, welche das Häßliche für das Komiſche hervor¬ bringt, kann dieſes zwar relativ auch dem Erhabenen ent¬ gegengeſetzt werden, allein es iſt wohl zu erwägen, daß das Komiſche, weil es des Humors fähig iſt, auch wieder in's Erhabene übergehen kann. Was man beim Sturze Napo¬ leons I. ſagte: du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas; und was man bei der Erhebung Napoleons III. ſagte: du

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/83>, abgerufen am 27.04.2024.