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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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widriger Fratzen offenbar nur in Beziehung zu dem gegen¬
überstehenden Flügel gemalt, der den Eintritt der Be¬
gnadeten in die lichten Hallen des Himmels enthält, und
beide hat er wieder nur gemalt im Verhältniß zu dem
großen Mittelbilde, dem Gericht selbst, welches erst die Ex¬
treme der Seitenbilder erklärt und zu ihnen in symmetrischen
Gruppen und wunderbaren Farben-Auf- und Abstufungen den
Uebergang macht. Aber die Hölle allein oder gar einen
Teufel allein würde er nicht gemalt haben. Für Zwecke
der Belehrung isoliren wir natürlich auch das Häßliche, aber
ein Künstler, der dasselbe noch so porträtartig treu wieder¬
gäbe, würde niemals glauben, damit ein Kunstwerk geschaf¬
fen zu haben. Das Bild eines Christuskopfes wird Jeder¬
mann ohne Bedenken sich überall aufstellen; nicht so die
Maske eines Mephisto. Eine solche Vereinzelung würde dem
Häßlichen eine Selbstständigkeit zugestehen, die gegen seinen
Begriff ist, während das Schöne in der Malerei bis zum
Stillleben herunter isolirt werden kann. So haben auch alle
Werke der Poesie, die sich einen schlechthin häßlichen Gegen¬
stand genommen haben, bei allem Aufwand von Geist nie
die geringste Popularität gewinnen können. Niemand kann an
dergleichen rechte Freude haben. Die Franzosen besitzen Lehr¬
gedichte über die Pornographie und sogar über die Syphilis;
die Holländer über die Blähungen u. s. w., allein die
Eigenthümer solcher Gedichte schämen sich sogar, wenn man
sie bei ihnen trifft. Jener Prinz von Pallagonia, von
welchem Göthe erzählt (13), wollte das Häßliche selbst durch
die Kunst, die gegen seine Gestaltung sich am Entschiedensten
sträubt, durch die Sculptur in einer gewissen systematischen
Vollständigkeit darstellen und hat mit all seinem Aufwande
doch nichts hervorgebracht, als eine verworrene, lächerlichtrau¬

widriger Fratzen offenbar nur in Beziehung zu dem gegen¬
überſtehenden Flügel gemalt, der den Eintritt der Be¬
gnadeten in die lichten Hallen des Himmels enthält, und
beide hat er wieder nur gemalt im Verhältniß zu dem
großen Mittelbilde, dem Gericht ſelbſt, welches erſt die Ex¬
treme der Seitenbilder erklärt und zu ihnen in ſymmetriſchen
Gruppen und wunderbaren Farben-Auf- und Abſtufungen den
Uebergang macht. Aber die Hölle allein oder gar einen
Teufel allein würde er nicht gemalt haben. Für Zwecke
der Belehrung iſoliren wir natürlich auch das Häßliche, aber
ein Künſtler, der daſſelbe noch ſo porträtartig treu wieder¬
gäbe, würde niemals glauben, damit ein Kunſtwerk geſchaf¬
fen zu haben. Das Bild eines Chriſtuskopfes wird Jeder¬
mann ohne Bedenken ſich überall aufſtellen; nicht ſo die
Maske eines Mephiſto. Eine ſolche Vereinzelung würde dem
Häßlichen eine Selbſtſtändigkeit zugeſtehen, die gegen ſeinen
Begriff iſt, während das Schöne in der Malerei bis zum
Stillleben herunter iſolirt werden kann. So haben auch alle
Werke der Poeſie, die ſich einen ſchlechthin häßlichen Gegen¬
ſtand genommen haben, bei allem Aufwand von Geiſt nie
die geringſte Popularität gewinnen können. Niemand kann an
dergleichen rechte Freude haben. Die Franzoſen beſitzen Lehr¬
gedichte über die Pornographie und ſogar über die Syphilis;
die Holländer über die Blähungen u. ſ. w., allein die
Eigenthümer ſolcher Gedichte ſchämen ſich ſogar, wenn man
ſie bei ihnen trifft. Jener Prinz von Pallagonia, von
welchem Göthe erzählt (13), wollte das Häßliche ſelbſt durch
die Kunſt, die gegen ſeine Geſtaltung ſich am Entſchiedenſten
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Vollſtändigkeit darſtellen und hat mit all ſeinem Aufwande
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[41/0063] widriger Fratzen offenbar nur in Beziehung zu dem gegen¬ überſtehenden Flügel gemalt, der den Eintritt der Be¬ gnadeten in die lichten Hallen des Himmels enthält, und beide hat er wieder nur gemalt im Verhältniß zu dem großen Mittelbilde, dem Gericht ſelbſt, welches erſt die Ex¬ treme der Seitenbilder erklärt und zu ihnen in ſymmetriſchen Gruppen und wunderbaren Farben-Auf- und Abſtufungen den Uebergang macht. Aber die Hölle allein oder gar einen Teufel allein würde er nicht gemalt haben. Für Zwecke der Belehrung iſoliren wir natürlich auch das Häßliche, aber ein Künſtler, der daſſelbe noch ſo porträtartig treu wieder¬ gäbe, würde niemals glauben, damit ein Kunſtwerk geſchaf¬ fen zu haben. Das Bild eines Chriſtuskopfes wird Jeder¬ mann ohne Bedenken ſich überall aufſtellen; nicht ſo die Maske eines Mephiſto. Eine ſolche Vereinzelung würde dem Häßlichen eine Selbſtſtändigkeit zugeſtehen, die gegen ſeinen Begriff iſt, während das Schöne in der Malerei bis zum Stillleben herunter iſolirt werden kann. So haben auch alle Werke der Poeſie, die ſich einen ſchlechthin häßlichen Gegen¬ ſtand genommen haben, bei allem Aufwand von Geiſt nie die geringſte Popularität gewinnen können. Niemand kann an dergleichen rechte Freude haben. Die Franzoſen beſitzen Lehr¬ gedichte über die Pornographie und ſogar über die Syphilis; die Holländer über die Blähungen u. ſ. w., allein die Eigenthümer ſolcher Gedichte ſchämen ſich ſogar, wenn man ſie bei ihnen trifft. Jener Prinz von Pallagonia, von welchem Göthe erzählt (13), wollte das Häßliche ſelbſt durch die Kunſt, die gegen ſeine Geſtaltung ſich am Entſchiedenſten ſträubt, durch die Sculptur in einer gewiſſen ſyſtematiſchen Vollſtändigkeit darſtellen und hat mit all ſeinem Aufwande doch nichts hervorgebracht, als eine verworrene, lächerlichtrau¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/63>, abgerufen am 28.04.2024.