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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Wilden gemalt, wie sie in den Europäischen Anzügen, gleich
jenem Indianerhäuptling, sich zu den tollsten Caricaturen
verunstalteten; wie sie von der Fenstersteuer zu ihrem höchsten
Erstaunen beglückt wurden; wie die Fortschritte der Fran¬
zösischen Civilisation sich den überraschten Vätern in wei߬
farbigten Kindern offenbarten u. s. w. Auf einem Blatt
sehen wir einen edlen Marquesaner in Stiefeln zwar, sonst
aber nur im Hemde, mit einer Keule, wie er aus der Hütte
hinaus will, durch deren Thür man draußen seine Frau in
einem zärtlichen Tete a Tete mit einem Französischen Elegant
sieht. Aber ein anderer Franzose hält ihn zurück und sucht
ihm die Keule zu entreißen. Malheureux! qu'allez-vous faire?

Parbleu! une volee a l'amant de ma femme.

Ce serait vous perdre de reputation. Suivez la mode
europeenne, envoyez un cartel a votre rival, demain matin
vous tirez sur le terrain, ce monsieur vous braulera la cer¬
velle -- et au moins vous aurez eu complete satisfaction!

Auf einem andern Bilde erblickt man ein Opfer der
Mode, in weiße Strippenbeinkleider, gelbes Gilet, steift
Binde, knappen Frack eingezwängt. Mais, tailleur, il m'est
absolument impossible, de remuer bras ou jambe dans les
vetements, que vous m'apportez la.

C'est ce qu'il faut. C'est justement ce qu'il faut.
A Paris les gens riches ne s'habillent pas autrement; plus
on est gene dans ses habits, plus on passe, pour etre a
son aise!

Vielseitiger natürlich fällt das Material aus, welches
die Verbildung als Hypercultur in der falschen Sentimen¬
talität, in der falschen Convenienz, in der falschen Gelehr¬
samkeit, in der Verrücktheit des politischen Raisonnirens, in
dem Wahnsinn sectirerischer Fanatismen, in den Abgeschmackt¬

Wilden gemalt, wie ſie in den Europäiſchen Anzügen, gleich
jenem Indianerhäuptling, ſich zu den tollſten Caricaturen
verunſtalteten; wie ſie von der Fenſterſteuer zu ihrem höchſten
Erſtaunen beglückt wurden; wie die Fortſchritte der Fran¬
zöſiſchen Civiliſation ſich den überraſchten Vätern in wei߬
farbigten Kindern offenbarten u. ſ. w. Auf einem Blatt
ſehen wir einen edlen Marqueſaner in Stiefeln zwar, ſonſt
aber nur im Hemde, mit einer Keule, wie er aus der Hütte
hinaus will, durch deren Thür man draußen ſeine Frau in
einem zärtlichen Tête à Tête mit einem Franzöſiſchen Elegant
ſieht. Aber ein anderer Franzoſe hält ihn zurück und ſucht
ihm die Keule zu entreißen. Malheureux! qu'allez-vous faire?

Parbleu! une volée à l'amant de ma femme.

Ce serait vous perdre de réputation. Suivez la mode
européenne, envoyez un cartel à votre rival, demain matin
vous tirez sur le terrain, ce monsieur vous brûlera la cer¬
velle — et au moins vous aurez eu complète satisfaction!

Auf einem andern Bilde erblickt man ein Opfer der
Mode, in weiße Strippenbeinkleider, gelbes Gilet, ſteift
Binde, knappen Frack eingezwängt. Mais, tailleur, il m'est
absolument impossible, de remuer bras ou jambe dans les
vêtements, que vous m'apportez là.

C'est ce qu'il faut. C'est justement ce qu'il faut.
A Paris les gens riches ne s'habillent pas autrement; plus
on est gêné dans ses habits, plus on passe, pour être à
son aise!

Vielſeitiger natürlich fällt das Material aus, welches
die Verbildung als Hypercultur in der falſchen Sentimen¬
talität, in der falſchen Convenienz, in der falſchen Gelehr¬
ſamkeit, in der Verrücktheit des politiſchen Raiſonnirens, in
dem Wahnſinn ſectireriſcher Fanatismen, in den Abgeſchmackt¬

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[420/0442] Wilden gemalt, wie ſie in den Europäiſchen Anzügen, gleich jenem Indianerhäuptling, ſich zu den tollſten Caricaturen verunſtalteten; wie ſie von der Fenſterſteuer zu ihrem höchſten Erſtaunen beglückt wurden; wie die Fortſchritte der Fran¬ zöſiſchen Civiliſation ſich den überraſchten Vätern in wei߬ farbigten Kindern offenbarten u. ſ. w. Auf einem Blatt ſehen wir einen edlen Marqueſaner in Stiefeln zwar, ſonſt aber nur im Hemde, mit einer Keule, wie er aus der Hütte hinaus will, durch deren Thür man draußen ſeine Frau in einem zärtlichen Tête à Tête mit einem Franzöſiſchen Elegant ſieht. Aber ein anderer Franzoſe hält ihn zurück und ſucht ihm die Keule zu entreißen. Malheureux! qu'allez-vous faire? Parbleu! une volée à l'amant de ma femme. Ce serait vous perdre de réputation. Suivez la mode européenne, envoyez un cartel à votre rival, demain matin vous tirez sur le terrain, ce monsieur vous brûlera la cer¬ velle — et au moins vous aurez eu complète satisfaction! Auf einem andern Bilde erblickt man ein Opfer der Mode, in weiße Strippenbeinkleider, gelbes Gilet, ſteift Binde, knappen Frack eingezwängt. Mais, tailleur, il m'est absolument impossible, de remuer bras ou jambe dans les vêtements, que vous m'apportez là. C'est ce qu'il faut. C'est justement ce qu'il faut. A Paris les gens riches ne s'habillent pas autrement; plus on est gêné dans ses habits, plus on passe, pour être à son aise! Vielſeitiger natürlich fällt das Material aus, welches die Verbildung als Hypercultur in der falſchen Sentimen¬ talität, in der falſchen Convenienz, in der falſchen Gelehr¬ ſamkeit, in der Verrücktheit des politiſchen Raiſonnirens, in dem Wahnſinn ſectireriſcher Fanatismen, in den Abgeſchmackt¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/442>, abgerufen am 22.11.2024.