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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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halten sich zu ihr wieder als Arten. Wenn man dies er¬
wägt, so wird man aller Streitigkeiten enthoben sein, welcher
Art man den Vorzug geben solle, denn man wird über die
Subordination niemals die Coordination vergessen. Die
Poesie z. B. ist als dramatische objectiv vollendet; die lyri¬
rische und die epische sind ihr insofern subordinirt; aber dar¬
aus folgt nicht, daß nicht die Lyrik und Epik, da sie noth¬
wendige Formen der Poesie sind, die gleiche Absolutheit
besäßen. Relativ genommen ist also die Baukunst unvoll¬
kommener, als die Sculptur, diese unvollkommer, als die
Malerei u. s. w. Und doch kann jede Kunst innerhalb der
Eigenthümlichkeit ihres Materials und ihrer Form die Abso¬
lutheit erreichen. Mit andern Worten heißt dies so viel,
daß die Subordination als solche in gar keinem Verhältniß
zur Häßlichkeit steht. Wenn man also, wie wir dies müssen,
die eine Kunst oder die eine Gattung einer Kunst als die
niedrigere oder unvollkommenere bezeichnet, so liegt hierin keine
ästhetische Degradation derselben. Es ist das nur relativ
gesagt, ohne den Begriff einer aus diesem Stufenverhältniß
etwa nothwendigen Häßlichkeit zu involviren. Bei einzelnen
Kunstwerken pflegt man den Comparativ des Schönen oft
durch einfache Bezeichnungen der Quantität auszudrücken.
Man sagt z. B. der Münchhausen ist Immermann's
größtes Werk und will damit allerdings auch sagen, daß es
sein schönstes sei. Weniger schön ist aber noch keineswegs
identisch mit häßlich.


halten ſich zu ihr wieder als Arten. Wenn man dies er¬
wägt, ſo wird man aller Streitigkeiten enthoben ſein, welcher
Art man den Vorzug geben ſolle, denn man wird über die
Subordination niemals die Coordination vergeſſen. Die
Poeſie z. B. iſt als dramatiſche objectiv vollendet; die lyri¬
riſche und die epiſche ſind ihr inſofern ſubordinirt; aber dar¬
aus folgt nicht, daß nicht die Lyrik und Epik, da ſie noth¬
wendige Formen der Poeſie ſind, die gleiche Abſolutheit
beſäßen. Relativ genommen iſt alſo die Baukunſt unvoll¬
kommener, als die Sculptur, dieſe unvollkommer, als die
Malerei u. ſ. w. Und doch kann jede Kunſt innerhalb der
Eigenthümlichkeit ihres Materials und ihrer Form die Abſo¬
lutheit erreichen. Mit andern Worten heißt dies ſo viel,
daß die Subordination als ſolche in gar keinem Verhältniß
zur Häßlichkeit ſteht. Wenn man alſo, wie wir dies müſſen,
die eine Kunſt oder die eine Gattung einer Kunſt als die
niedrigere oder unvollkommenere bezeichnet, ſo liegt hierin keine
äſthetiſche Degradation derſelben. Es iſt das nur relativ
geſagt, ohne den Begriff einer aus dieſem Stufenverhältniß
etwa nothwendigen Häßlichkeit zu involviren. Bei einzelnen
Kunſtwerken pflegt man den Comparativ des Schönen oft
durch einfache Bezeichnungen der Quantität auszudrücken.
Man ſagt z. B. der Münchhauſen iſt Immermann's
größtes Werk und will damit allerdings auch ſagen, daß es
ſein ſchönſtes ſei. Weniger ſchön iſt aber noch keineswegs
identiſch mit häßlich.


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[14/0036] halten ſich zu ihr wieder als Arten. Wenn man dies er¬ wägt, ſo wird man aller Streitigkeiten enthoben ſein, welcher Art man den Vorzug geben ſolle, denn man wird über die Subordination niemals die Coordination vergeſſen. Die Poeſie z. B. iſt als dramatiſche objectiv vollendet; die lyri¬ riſche und die epiſche ſind ihr inſofern ſubordinirt; aber dar¬ aus folgt nicht, daß nicht die Lyrik und Epik, da ſie noth¬ wendige Formen der Poeſie ſind, die gleiche Abſolutheit beſäßen. Relativ genommen iſt alſo die Baukunſt unvoll¬ kommener, als die Sculptur, dieſe unvollkommer, als die Malerei u. ſ. w. Und doch kann jede Kunſt innerhalb der Eigenthümlichkeit ihres Materials und ihrer Form die Abſo¬ lutheit erreichen. Mit andern Worten heißt dies ſo viel, daß die Subordination als ſolche in gar keinem Verhältniß zur Häßlichkeit ſteht. Wenn man alſo, wie wir dies müſſen, die eine Kunſt oder die eine Gattung einer Kunſt als die niedrigere oder unvollkommenere bezeichnet, ſo liegt hierin keine äſthetiſche Degradation derſelben. Es iſt das nur relativ geſagt, ohne den Begriff einer aus dieſem Stufenverhältniß etwa nothwendigen Häßlichkeit zu involviren. Bei einzelnen Kunſtwerken pflegt man den Comparativ des Schönen oft durch einfache Bezeichnungen der Quantität auszudrücken. Man ſagt z. B. der Münchhauſen iſt Immermann's größtes Werk und will damit allerdings auch ſagen, daß es ſein ſchönſtes ſei. Weniger ſchön iſt aber noch keineswegs identiſch mit häßlich.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/36>, abgerufen am 18.04.2024.