nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in seinem Diamanten versehen. Der Jude, der ihn verschluckt hat, bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht er ihn aus, sondern er steckt sogar deshalb den Finger in den Mund. Das ist zu widrig! Die Geburt hat als ein nothwendiger Naturtact nicht dies Abstoßende, selbst wenn sie nicht, wie in Hans Sachs Narrenschneiden und in Prutz politischer Wochenstube, komisch gewendet wird.
Das Ekelhafte wird auch dadurch ästhetisch unmöglich gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen sich vermischt. Blasirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die erschlafften Nerven mit den heftigsten und daher nicht selten auch ekelhaftesten Reizmitteln auf. Wie scheußlich ist nicht das neueste fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬ gänger, der Rattenkampf! Kann man sich etwas Ekelhafteres ersinnen, als einen Rattenhaufen, der sich in Todesangst gegen einen bestialischen Hund wehrt? Doch, könnte man¬ cher sagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand, um die ausgemauerte Grube herumstehen. Allein Pückler Muskau in seinen ersten, unsterblichen Briefen eines Ver¬ storbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnasse gesehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte schossen, die sie auf einem schrägen Brett angebunden hatten, so daß sie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief. Zum Vergnügen nach einer Ratte schießen! Infernalisch ekelhaft. Petronius hat eine gewisse grandiose Nacktheit, eine gewisse, der Juvenalischen verwandte Herbheit, die seinen Darstellungen der blasirten Verworfenheit einen düstern Reiz ertheilt. Eine Scene in seinem Gastmahl des Trimalchio schildert gewissermaaßen symbolisch den innersten Ungeist einer
Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 21
nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in ſeinem Diamanten verſehen. Der Jude, der ihn verſchluckt hat, bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht er ihn aus, ſondern er ſteckt ſogar deshalb den Finger in den Mund. Das iſt zu widrig! Die Geburt hat als ein nothwendiger Naturtact nicht dies Abſtoßende, ſelbſt wenn ſie nicht, wie in Hans Sachs Narrenſchneiden und in Prutz politiſcher Wochenſtube, komiſch gewendet wird.
Das Ekelhafte wird auch dadurch äſthetiſch unmöglich gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen ſich vermiſcht. Blaſirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die erſchlafften Nerven mit den heftigſten und daher nicht ſelten auch ekelhafteſten Reizmitteln auf. Wie ſcheußlich iſt nicht das neueſte fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬ gänger, der Rattenkampf! Kann man ſich etwas Ekelhafteres erſinnen, als einen Rattenhaufen, der ſich in Todesangſt gegen einen beſtialiſchen Hund wehrt? Doch, könnte man¬ cher ſagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand, um die ausgemauerte Grube herumſtehen. Allein Pückler Muskau in ſeinen erſten, unſterblichen Briefen eines Ver¬ ſtorbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnaſſe geſehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte ſchoſſen, die ſie auf einem ſchrägen Brett angebunden hatten, ſo daß ſie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief. Zum Vergnügen nach einer Ratte ſchießen! Infernaliſch ekelhaft. Petronius hat eine gewiſſe grandioſe Nacktheit, eine gewiſſe, der Juvenaliſchen verwandte Herbheit, die ſeinen Darſtellungen der blaſirten Verworfenheit einen düſtern Reiz ertheilt. Eine Scene in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchio ſchildert gewiſſermaaßen ſymboliſch den innerſten Ungeiſt einer
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 21
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0343"n="321"/>
nicht wirken kann. Hiermit hat es <hirendition="#g">Hebbel</hi> in ſeinem<lb/><hirendition="#g">Diamanten</hi> verſehen. Der Jude, der ihn verſchluckt hat,<lb/>
bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht<lb/>
er ihn aus, ſondern er ſteckt ſogar deshalb den Finger<lb/>
in den Mund. Das iſt zu widrig! Die Geburt hat als ein<lb/>
nothwendiger Naturtact nicht dies Abſtoßende, ſelbſt wenn<lb/>ſie nicht, wie in <hirendition="#g">Hans Sachs</hi> Narrenſchneiden und in<lb/><hirendition="#g">Prutz</hi> politiſcher Wochenſtube, komiſch gewendet wird.</p><lb/><p>Das Ekelhafte wird auch dadurch äſthetiſch unmöglich<lb/>
gemacht, wenn es mit dem <hirendition="#g">Unnatürlichen</hi>ſich vermiſcht.<lb/>
Blaſirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die<lb/>
erſchlafften Nerven mit den heftigſten und daher nicht ſelten<lb/>
auch ekelhafteſten Reizmitteln auf. Wie ſcheußlich iſt nicht<lb/>
das neueſte fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬<lb/>
gänger, der Rattenkampf! Kann man ſich etwas Ekelhafteres<lb/>
erſinnen, als einen Rattenhaufen, der ſich in Todesangſt<lb/>
gegen einen beſtialiſchen Hund wehrt? Doch, könnte man¬<lb/>
cher ſagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand,<lb/>
um die ausgemauerte Grube herumſtehen. Allein <hirendition="#g">Pückler<lb/>
Muskau</hi> in ſeinen erſten, unſterblichen Briefen eines Ver¬<lb/>ſtorbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß<lb/>
er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnaſſe<lb/>
geſehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte ſchoſſen, die<lb/>ſie auf einem ſchrägen Brett angebunden hatten, ſo daß<lb/>ſie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief.<lb/>
Zum Vergnügen nach einer Ratte ſchießen! Infernaliſch<lb/>
ekelhaft. <hirendition="#g">Petronius</hi> hat eine gewiſſe grandioſe Nacktheit,<lb/>
eine gewiſſe, der Juvenaliſchen verwandte Herbheit, die ſeinen<lb/>
Darſtellungen der blaſirten Verworfenheit einen düſtern Reiz<lb/>
ertheilt. Eine Scene in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchio<lb/>ſchildert gewiſſermaaßen ſymboliſch den innerſten Ungeiſt einer<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Roſenkranz</hi>, Aeſthetik des Häßlichen. 21<lb/></fw></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[321/0343]
nicht wirken kann. Hiermit hat es Hebbel in ſeinem
Diamanten verſehen. Der Jude, der ihn verſchluckt hat,
bricht ihn auf der Bühne wieder aus, und nicht nur bricht
er ihn aus, ſondern er ſteckt ſogar deshalb den Finger
in den Mund. Das iſt zu widrig! Die Geburt hat als ein
nothwendiger Naturtact nicht dies Abſtoßende, ſelbſt wenn
ſie nicht, wie in Hans Sachs Narrenſchneiden und in
Prutz politiſcher Wochenſtube, komiſch gewendet wird.
Das Ekelhafte wird auch dadurch äſthetiſch unmöglich
gemacht, wenn es mit dem Unnatürlichen ſich vermiſcht.
Blaſirte Epochen der Völker wie der Individuen kitzeln die
erſchlafften Nerven mit den heftigſten und daher nicht ſelten
auch ekelhafteſten Reizmitteln auf. Wie ſcheußlich iſt nicht
das neueſte fashionable Vergnügen der Londoner Müßig¬
gänger, der Rattenkampf! Kann man ſich etwas Ekelhafteres
erſinnen, als einen Rattenhaufen, der ſich in Todesangſt
gegen einen beſtialiſchen Hund wehrt? Doch, könnte man¬
cher ſagen, die Wettenden, die, mit der Uhr in der Hand,
um die ausgemauerte Grube herumſtehen. Allein Pückler
Muskau in ſeinen erſten, unſterblichen Briefen eines Ver¬
ſtorbenen erzählt doch noch von etwas Ekelhafterem, daß
er nämlich zu Paris auf dem Boulevard Mont Parnaſſe
geſehen, wie die Spießbürger nach einer Ratte ſchoſſen, die
ſie auf einem ſchrägen Brett angebunden hatten, ſo daß
ſie auf dem engen Raum in Verzweiflung hin und her lief.
Zum Vergnügen nach einer Ratte ſchießen! Infernaliſch
ekelhaft. Petronius hat eine gewiſſe grandioſe Nacktheit,
eine gewiſſe, der Juvenaliſchen verwandte Herbheit, die ſeinen
Darſtellungen der blaſirten Verworfenheit einen düſtern Reiz
ertheilt. Eine Scene in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchio
ſchildert gewiſſermaaßen ſymboliſch den innerſten Ungeiſt einer
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.