genommen den Eindruck der Unvollkommenheit, können aber in ihrer Werdelust ästhetisch sogar etwas unendlich Reizendes haben. Eine häßliche Gemüthsart aber soll soviel heißen als eine böse.
Der Begriff des Unvollkommenen ist relativ. Es kommt für ihn immer auf das Maaß an, von welchem für seine Schätzung ausgegangen wird. Das Blatt ist unvoll¬ kommen gegen die Blüthe, die Blüthe gegen die Frucht, wenn man nämlich von der Frucht als der Normalexistenz der Pflanze den Werth der Blüthe abwägt. Aesthetisch wird die im botanischen oder besser ökonomischen Sinn unvollkom¬ mene Blüthe in der Regel höher stehen, als die Frucht. Die Unvollkommenheit ist in dieser Beziehung so wenig identisch mit Häßlichkeit, daß sie sogar das der Realität und Totali¬ tät nach Vollkommnere übertreffen kann. Ist in dem Un¬ vollkommenen der Trieb des Aechten, Wahren und Schönen thätig, so wird es auch schön sein können, wenngleich noch nicht so schön, als es in seiner Vollendung zu sein vermag. Die anfänglichen Werke eines wahrhaften Künstlers z. B. werden noch mannigfache Mängel an sich tragen, aber doch schon den Genius durchblicken lassen, der zu höhern Leistun¬ gen berufen ist. Die Jugendgedichte eines Schiller und Byron sind noch unvollkommen, verrathen aber doch schon die Zukunft ihrer Urheber, oft gerade in der Art ihrer Unvollkommenheit.
Das Unvollkommene im Sinn der Anfänglichkeit darf daher nicht mit dem Begriff des Schlechten zusammengewor¬ fen werden, für welches wir es allerdings gern euphemistisch gebrauchen. Das Unvollkommene als die nothwendige Ent¬ wicklungsstufe ist immerhin auf dem Wege zur Vollkommen¬ heit; das Schlechte dagegen ist diejenige Realität, welche nicht
genommen den Eindruck der Unvollkommenheit, können aber in ihrer Werdeluſt äſthetiſch ſogar etwas unendlich Reizendes haben. Eine häßliche Gemüthsart aber ſoll ſoviel heißen als eine böſe.
Der Begriff des Unvollkommenen iſt relativ. Es kommt für ihn immer auf das Maaß an, von welchem für ſeine Schätzung ausgegangen wird. Das Blatt iſt unvoll¬ kommen gegen die Blüthe, die Blüthe gegen die Frucht, wenn man nämlich von der Frucht als der Normalexiſtenz der Pflanze den Werth der Blüthe abwägt. Aeſthetiſch wird die im botaniſchen oder beſſer ökonomiſchen Sinn unvollkom¬ mene Blüthe in der Regel höher ſtehen, als die Frucht. Die Unvollkommenheit iſt in dieſer Beziehung ſo wenig identiſch mit Häßlichkeit, daß ſie ſogar das der Realität und Totali¬ tät nach Vollkommnere übertreffen kann. Iſt in dem Un¬ vollkommenen der Trieb des Aechten, Wahren und Schönen thätig, ſo wird es auch ſchön ſein können, wenngleich noch nicht ſo ſchön, als es in ſeiner Vollendung zu ſein vermag. Die anfänglichen Werke eines wahrhaften Künſtlers z. B. werden noch mannigfache Mängel an ſich tragen, aber doch ſchon den Genius durchblicken laſſen, der zu höhern Leiſtun¬ gen berufen iſt. Die Jugendgedichte eines Schiller und Byron ſind noch unvollkommen, verrathen aber doch ſchon die Zukunft ihrer Urheber, oft gerade in der Art ihrer Unvollkommenheit.
Das Unvollkommene im Sinn der Anfänglichkeit darf daher nicht mit dem Begriff des Schlechten zuſammengewor¬ fen werden, für welches wir es allerdings gern euphemiſtiſch gebrauchen. Das Unvollkommene als die nothwendige Ent¬ wicklungsſtufe iſt immerhin auf dem Wege zur Vollkommen¬ heit; das Schlechte dagegen iſt diejenige Realität, welche nicht
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genommen den Eindruck der Unvollkommenheit, können aber
in ihrer Werdeluſt äſthetiſch ſogar etwas unendlich Reizendes
haben. Eine häßliche Gemüthsart aber ſoll ſoviel heißen als
eine böſe.
Der Begriff des Unvollkommenen iſt relativ. Es
kommt für ihn immer auf das Maaß an, von welchem für
ſeine Schätzung ausgegangen wird. Das Blatt iſt unvoll¬
kommen gegen die Blüthe, die Blüthe gegen die Frucht,
wenn man nämlich von der Frucht als der Normalexiſtenz
der Pflanze den Werth der Blüthe abwägt. Aeſthetiſch wird
die im botaniſchen oder beſſer ökonomiſchen Sinn unvollkom¬
mene Blüthe in der Regel höher ſtehen, als die Frucht. Die
Unvollkommenheit iſt in dieſer Beziehung ſo wenig identiſch
mit Häßlichkeit, daß ſie ſogar das der Realität und Totali¬
tät nach Vollkommnere übertreffen kann. Iſt in dem Un¬
vollkommenen der Trieb des Aechten, Wahren und Schönen
thätig, ſo wird es auch ſchön ſein können, wenngleich noch
nicht ſo ſchön, als es in ſeiner Vollendung zu ſein vermag.
Die anfänglichen Werke eines wahrhaften Künſtlers z. B.
werden noch mannigfache Mängel an ſich tragen, aber doch
ſchon den Genius durchblicken laſſen, der zu höhern Leiſtun¬
gen berufen iſt. Die Jugendgedichte eines Schiller und
Byron ſind noch unvollkommen, verrathen aber doch ſchon
die Zukunft ihrer Urheber, oft gerade in der Art ihrer
Unvollkommenheit.
Das Unvollkommene im Sinn der Anfänglichkeit darf
daher nicht mit dem Begriff des Schlechten zuſammengewor¬
fen werden, für welches wir es allerdings gern euphemiſtiſch
gebrauchen. Das Unvollkommene als die nothwendige Ent¬
wicklungsſtufe iſt immerhin auf dem Wege zur Vollkommen¬
heit; das Schlechte dagegen iſt diejenige Realität, welche nicht
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/34>, abgerufen am 23.11.2024.
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