girtes Wesen doch nicht umhin kann, sein Wasser abzuschlagen und zu Stuhle zu gehen. Wie sprudelt Rabelais von Zoten, wie sparsam ist er mit der Zweideutigkeit! Wie reich ist Shakespeare an Zweideutigkeiten und wie mager an Zoten! Bei Rabelais ist es ganz im Wesen der Zote, daß sein Held sich z. B. ernsthaft mit der tiefsinnigen Forschung be¬ schäftigt, welcherlei Arten von Torcheculs wohl die vor¬ züglichsten, deshalb eine lange Reihe von Experimenten an¬ stellt, die gewissenhaft in einem Katalog aufgezählt werden, und mit dem Resultate schließt, daß der Steiß von jungen Hühnern, die eben aus dem Ei gekrochen, unserm Hintern am angenehmsten sei. Es versteht sich, daß Rabelais nebenbei durch seine Behandlung dieses Themas die sterile Wissen¬ schaft persifliren will, die sich oft so gründlich mit dem Nichts abgibt. Von der Satire kann die Zote überhaupt als Correctiv gegen die Prüderie gewendet werden, durch ihre Naturwüchsigkeit die Zimperlichkeit zu erinnern, daß ihre affectirte Engelhaftigkeit eine Lüge. Wenn die Abge¬ schmacktheit des Puritanischen Rigorismus in Nordamerika verbietet, in Gegenwart von Damen das Wort Hemde oder Beinkleid zu gebrauchen, so beweist der Ausdruck Inexpressibles am besten, daß man recht gut wisse, was Hosen seien. Ein Titel eines Romans, wie der: die Hosen des Herrn von Brederlow, von W. Alexis, würde den Autor in Nordamerika für ewig gesellschaftsunfähig gemacht haben. Es kommt viel darauf an, wie die Zote vorbereitet wird, in welcher Kunst Heine großes Geschick besitzt. Man erin¬ nere sich an seine Polemik gegen Platen in den Reisebil¬ dern; an seine Memoiren des Herrn von Schnabelowopski; an seinen Schluß des Wintermährchens, wo die feiste Ham¬ monia ihm den Nachstuhlthron Karls des Großen aufzu¬
Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 16
girtes Weſen doch nicht umhin kann, ſein Waſſer abzuſchlagen und zu Stuhle zu gehen. Wie ſprudelt Rabelais von Zoten, wie ſparſam iſt er mit der Zweideutigkeit! Wie reich iſt Shakeſpeare an Zweideutigkeiten und wie mager an Zoten! Bei Rabelais iſt es ganz im Weſen der Zote, daß ſein Held ſich z. B. ernſthaft mit der tiefſinnigen Forſchung be¬ ſchäftigt, welcherlei Arten von Torcheculs wohl die vor¬ züglichſten, deshalb eine lange Reihe von Experimenten an¬ ſtellt, die gewiſſenhaft in einem Katalog aufgezählt werden, und mit dem Reſultate ſchließt, daß der Steiß von jungen Hühnern, die eben aus dem Ei gekrochen, unſerm Hintern am angenehmſten ſei. Es verſteht ſich, daß Rabelais nebenbei durch ſeine Behandlung dieſes Themas die ſterile Wiſſen¬ ſchaft perſifliren will, die ſich oft ſo gründlich mit dem Nichts abgibt. Von der Satire kann die Zote überhaupt als Correctiv gegen die Prüderie gewendet werden, durch ihre Naturwüchſigkeit die Zimperlichkeit zu erinnern, daß ihre affectirte Engelhaftigkeit eine Lüge. Wenn die Abge¬ ſchmacktheit des Puritaniſchen Rigorismus in Nordamerika verbietet, in Gegenwart von Damen das Wort Hemde oder Beinkleid zu gebrauchen, ſo beweiſt der Ausdruck Inexpressibles am beſten, daß man recht gut wiſſe, was Hoſen ſeien. Ein Titel eines Romans, wie der: die Hoſen des Herrn von Brederlow, von W. Alexis, würde den Autor in Nordamerika für ewig geſellſchaftsunfähig gemacht haben. Es kommt viel darauf an, wie die Zote vorbereitet wird, in welcher Kunſt Heine großes Geſchick beſitzt. Man erin¬ nere ſich an ſeine Polemik gegen Platen in den Reiſebil¬ dern; an ſeine Memoiren des Herrn von Schnabelowopski; an ſeinen Schluß des Wintermährchens, wo die feiſte Ham¬ monia ihm den Nachſtuhlthron Karls des Großen aufzu¬
Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 16
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girtes Weſen doch nicht umhin kann, ſein Waſſer abzuſchlagen
und zu Stuhle zu gehen. Wie ſprudelt Rabelais von
Zoten, wie ſparſam iſt er mit der Zweideutigkeit! Wie reich iſt
Shakeſpeare an Zweideutigkeiten und wie mager an Zoten!
Bei Rabelais iſt es ganz im Weſen der Zote, daß ſein
Held ſich z. B. ernſthaft mit der tiefſinnigen Forſchung be¬
ſchäftigt, welcherlei Arten von Torcheculs wohl die vor¬
züglichſten, deshalb eine lange Reihe von Experimenten an¬
ſtellt, die gewiſſenhaft in einem Katalog aufgezählt werden,
und mit dem Reſultate ſchließt, daß der Steiß von jungen
Hühnern, die eben aus dem Ei gekrochen, unſerm Hintern
am angenehmſten ſei. Es verſteht ſich, daß Rabelais nebenbei
durch ſeine Behandlung dieſes Themas die ſterile Wiſſen¬
ſchaft perſifliren will, die ſich oft ſo gründlich mit dem
Nichts abgibt. Von der Satire kann die Zote überhaupt
als Correctiv gegen die Prüderie gewendet werden, durch
ihre Naturwüchſigkeit die Zimperlichkeit zu erinnern, daß
ihre affectirte Engelhaftigkeit eine Lüge. Wenn die Abge¬
ſchmacktheit des Puritaniſchen Rigorismus in Nordamerika
verbietet, in Gegenwart von Damen das Wort Hemde oder
Beinkleid zu gebrauchen, ſo beweiſt der Ausdruck Inexpressibles
am beſten, daß man recht gut wiſſe, was Hoſen ſeien. Ein
Titel eines Romans, wie der: die Hoſen des Herrn
von Brederlow, von W. Alexis, würde den Autor in
Nordamerika für ewig geſellſchaftsunfähig gemacht haben.
Es kommt viel darauf an, wie die Zote vorbereitet wird,
in welcher Kunſt Heine großes Geſchick beſitzt. Man erin¬
nere ſich an ſeine Polemik gegen Platen in den Reiſebil¬
dern; an ſeine Memoiren des Herrn von Schnabelowopski;
an ſeinen Schluß des Wintermährchens, wo die feiſte Ham¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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