Obscöne dadurch, daß sie es größtentheils halbmenschlich ge¬ stalteten Wesen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen. Geriren solche Individuen, die sich unterhalb mit Bocks¬ füßen präsentiren, dann auch böckisch, so darf uns das billig nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejanische Bilder zeigen uns Satyrn, wie sie im Wald eine Nymphe beschleichen, die sich in aller Pracht ihrer schneeigen Glieder auf den moosigen Pfühl hingebettet hat. Die Schöne stellt sich gewöhnlich in einer halben Rückenlage dar und ist öfter mit einem Schleier bedeckt gewesen, den der genußlüsterne Satyr aufhebt. Mit vor Wollust schauernden Gliedern, in die Erstarrung des Sinnenrauschs verloren, steht hier die ins Thierische fallende Häßlichkeit vor der halbschlummernden Schönheit. Wie ganz anders schauen diese üppigen, obscöndecenten Bilder sich an, als jene erotischen Scenen aus den cubiculis Veneris der Pompejanischen Häuser, wo Liebende in mannigfachen Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich ein Sclav dabeisteht, der den Aphrodisischen Trank gereicht hat und dessen Gegenwart erst recht lebhaft die Empfindung des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!
Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geist die List der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger verdeckten und versteckten Anspielung auf unvermeidliche cynische Verrichtungen oder auf die geschlechtlichen Verhältnisse des Menschen. Die Zweideutigkeit ist ein indirectes Anschauen dessen, was uns Scham einflößt. Sie entspringt offenbar selber aus dieser Scham, indem sie ihr zugleich durch das Eingehen auf die Geschlechtsverhältnisse widerspricht, verhüllt aber diese Unschamhaftigkeit durch Formen, die zunächst einen andern Sinn einzuschließen scheinen, sich jedoch leicht in eine andere Version übersetzen lassen. Das Spiel der Phantasie
Obscöne dadurch, daß ſie es größtentheils halbmenſchlich ge¬ ſtalteten Weſen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen. Geriren ſolche Individuen, die ſich unterhalb mit Bocks¬ füßen präſentiren, dann auch böckiſch, ſo darf uns das billig nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejaniſche Bilder zeigen uns Satyrn, wie ſie im Wald eine Nymphe beſchleichen, die ſich in aller Pracht ihrer ſchneeigen Glieder auf den mooſigen Pfühl hingebettet hat. Die Schöne ſtellt ſich gewöhnlich in einer halben Rückenlage dar und iſt öfter mit einem Schleier bedeckt geweſen, den der genußlüſterne Satyr aufhebt. Mit vor Wolluſt ſchauernden Gliedern, in die Erſtarrung des Sinnenrauſchs verloren, ſteht hier die ins Thieriſche fallende Häßlichkeit vor der halbſchlummernden Schönheit. Wie ganz anders ſchauen dieſe üppigen, obscöndecenten Bilder ſich an, als jene erotiſchen Scenen aus den cubiculis Veneris der Pompejaniſchen Häuſer, wo Liebende in mannigfachen Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich ein Sclav dabeiſteht, der den Aphrodiſiſchen Trank gereicht hat und deſſen Gegenwart erſt recht lebhaft die Empfindung des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!
Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geiſt die Liſt der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger verdeckten und verſteckten Anſpielung auf unvermeidliche cyniſche Verrichtungen oder auf die geſchlechtlichen Verhältniſſe des Menſchen. Die Zweideutigkeit iſt ein indirectes Anſchauen deſſen, was uns Scham einflößt. Sie entſpringt offenbar ſelber aus dieſer Scham, indem ſie ihr zugleich durch das Eingehen auf die Geſchlechtsverhältniſſe widerſpricht, verhüllt aber dieſe Unſchamhaftigkeit durch Formen, die zunächſt einen andern Sinn einzuſchließen ſcheinen, ſich jedoch leicht in eine andere Verſion überſetzen laſſen. Das Spiel der Phantaſie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0261"n="239"/>
Obscöne dadurch, daß ſie es größtentheils halbmenſchlich ge¬<lb/>ſtalteten Weſen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen.<lb/>
Geriren ſolche Individuen, die ſich unterhalb mit Bocks¬<lb/>
füßen präſentiren, dann auch böckiſch, ſo darf uns das billig<lb/>
nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejaniſche Bilder zeigen<lb/>
uns Satyrn, wie ſie im Wald eine Nymphe beſchleichen, die<lb/>ſich in aller Pracht ihrer ſchneeigen Glieder auf den mooſigen<lb/>
Pfühl hingebettet hat. Die Schöne ſtellt ſich gewöhnlich in<lb/>
einer halben Rückenlage dar und iſt öfter mit einem Schleier<lb/>
bedeckt geweſen, den der genußlüſterne Satyr aufhebt. Mit<lb/>
vor Wolluſt ſchauernden Gliedern, in die Erſtarrung des<lb/>
Sinnenrauſchs verloren, ſteht hier die ins Thieriſche fallende<lb/>
Häßlichkeit vor der halbſchlummernden Schönheit. Wie<lb/>
ganz anders ſchauen dieſe üppigen, obscöndecenten Bilder<lb/>ſich an, als jene erotiſchen Scenen aus den <hirendition="#aq">cubiculis Veneris</hi><lb/>
der Pompejaniſchen Häuſer, wo Liebende in mannigfachen<lb/>
Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich<lb/>
ein Sclav dabeiſteht, der den Aphrodiſiſchen Trank gereicht<lb/>
hat und deſſen Gegenwart erſt recht lebhaft die Empfindung<lb/>
des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!</p><lb/><p>Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geiſt die<lb/>
Liſt der <hirendition="#g">Zweideutigkei</hi>t an, d. h. der mehr oder weniger<lb/>
verdeckten und verſteckten Anſpielung auf unvermeidliche cyniſche<lb/>
Verrichtungen oder auf die geſchlechtlichen Verhältniſſe des<lb/>
Menſchen. Die Zweideutigkeit iſt ein indirectes Anſchauen<lb/>
deſſen, was uns Scham einflößt. Sie entſpringt offenbar<lb/>ſelber aus dieſer Scham, indem ſie ihr zugleich durch das<lb/>
Eingehen auf die Geſchlechtsverhältniſſe widerſpricht, verhüllt<lb/>
aber dieſe Unſchamhaftigkeit durch Formen, die zunächſt einen<lb/>
andern Sinn einzuſchließen ſcheinen, ſich jedoch leicht in eine<lb/>
andere Verſion überſetzen laſſen. Das Spiel der Phantaſie<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[239/0261]
Obscöne dadurch, daß ſie es größtentheils halbmenſchlich ge¬
ſtalteten Weſen beilegten, wie den Satyrn und den Faunen.
Geriren ſolche Individuen, die ſich unterhalb mit Bocks¬
füßen präſentiren, dann auch böckiſch, ſo darf uns das billig
nicht Wunder nehmen. Mehre Pompejaniſche Bilder zeigen
uns Satyrn, wie ſie im Wald eine Nymphe beſchleichen, die
ſich in aller Pracht ihrer ſchneeigen Glieder auf den mooſigen
Pfühl hingebettet hat. Die Schöne ſtellt ſich gewöhnlich in
einer halben Rückenlage dar und iſt öfter mit einem Schleier
bedeckt geweſen, den der genußlüſterne Satyr aufhebt. Mit
vor Wolluſt ſchauernden Gliedern, in die Erſtarrung des
Sinnenrauſchs verloren, ſteht hier die ins Thieriſche fallende
Häßlichkeit vor der halbſchlummernden Schönheit. Wie
ganz anders ſchauen dieſe üppigen, obscöndecenten Bilder
ſich an, als jene erotiſchen Scenen aus den cubiculis Veneris
der Pompejaniſchen Häuſer, wo Liebende in mannigfachen
Stellungen dem Werk der Natur obliegen und gewöhnlich
ein Sclav dabeiſteht, der den Aphrodiſiſchen Trank gereicht
hat und deſſen Gegenwart erſt recht lebhaft die Empfindung
des Obscönen hervorbringt. Ekelhaft!
Um das Obscöne zu mildern, wendet der Geiſt die
Liſt der Zweideutigkeit an, d. h. der mehr oder weniger
verdeckten und verſteckten Anſpielung auf unvermeidliche cyniſche
Verrichtungen oder auf die geſchlechtlichen Verhältniſſe des
Menſchen. Die Zweideutigkeit iſt ein indirectes Anſchauen
deſſen, was uns Scham einflößt. Sie entſpringt offenbar
ſelber aus dieſer Scham, indem ſie ihr zugleich durch das
Eingehen auf die Geſchlechtsverhältniſſe widerſpricht, verhüllt
aber dieſe Unſchamhaftigkeit durch Formen, die zunächſt einen
andern Sinn einzuſchließen ſcheinen, ſich jedoch leicht in eine
andere Verſion überſetzen laſſen. Das Spiel der Phantaſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/261>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.