Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Schlaf, die Arbeit des Menschen, das gemeinsame Mahl,
Hochzeit, Geburt und Tod, nach dem Adel ihrer positiven
und universellen Bedeutung geschildert. Man erinnere sich,
wie Homer auf dem Schilde des Kriegers Achilleus den
ganzen Cyklus der Begehungen und Feste des Friedens vom
Hephaistos hat bilden lassen; man erinnere sich der Werke
und Tage des Hesiodos; man erinnere sich der Idyllik,
der socialen, der skolischen Lyrik; man erinnere sich, wie
das antike Relief, die antike Vasenmalerei, die Pompejanische
Wandmalerei unsere gewöhlichen Zustände in naiver Heiter¬
keit vorführt; wie die christliche Poesie, Plastik und Malerei
aus der Geschichte der Patriarchen und Christi heraus alle
gewöhnlichen Vorkommnisse des Menschenlebens nach ihrem
idealen Werth gebildet haben, so wird man erkennen, welch'
großen Umfang das Gewöhnliche in der Kunst mit einem
vollkommen affirmativen Charakter einnimmt. Allein eben
weil diese epischen Elemente des Weltlebens in ihrer unend¬
lichen praktischen Wichtigkeit doch zugleich die alltäglichen
sind, welche auch die Abhängigkeit des Menschen von der
Natur verrathen und in ihrer steten Wiederkehr die Lange¬
weile unseres Daseins enthalten, immer wieder essen und
trinken, arbeiten und schlafen, gebären und sterben zu müssen,
so liegt auch in ihnen selbst schon ein ironischer Anflug.
Die Kunst darf aus ihnen nur den Punct unseres Zusam¬
menhangs mit der Natur, unserer Gebundenheit an das
Endliche, schärfer hervorheben, so ist die Komik im Nu fertig.
Dann entsteht auch ein Genrebild, aber ein solches, das
uns ein Lächeln abgewinnt, weil es uns die Freiheit in ihrer
natürlichen Beschränktheit zeigt. In der großen Totalität
ist der einzelne Zustand nur ein Moment; welche Befriedi¬
gung ein Zustand relativ und momentan gewähre, so muß

Schlaf, die Arbeit des Menſchen, das gemeinſame Mahl,
Hochzeit, Geburt und Tod, nach dem Adel ihrer poſitiven
und univerſellen Bedeutung geſchildert. Man erinnere ſich,
wie Homer auf dem Schilde des Kriegers Achilleus den
ganzen Cyklus der Begehungen und Feſte des Friedens vom
Hephaiſtos hat bilden laſſen; man erinnere ſich der Werke
und Tage des Heſiodos; man erinnere ſich der Idyllik,
der ſocialen, der ſkoliſchen Lyrik; man erinnere ſich, wie
das antike Relief, die antike Vaſenmalerei, die Pompejaniſche
Wandmalerei unſere gewöhlichen Zuſtände in naiver Heiter¬
keit vorführt; wie die chriſtliche Poeſie, Plaſtik und Malerei
aus der Geſchichte der Patriarchen und Chriſti heraus alle
gewöhnlichen Vorkommniſſe des Menſchenlebens nach ihrem
idealen Werth gebildet haben, ſo wird man erkennen, welch'
großen Umfang das Gewöhnliche in der Kunſt mit einem
vollkommen affirmativen Charakter einnimmt. Allein eben
weil dieſe epiſchen Elemente des Weltlebens in ihrer unend¬
lichen praktiſchen Wichtigkeit doch zugleich die alltäglichen
ſind, welche auch die Abhängigkeit des Menſchen von der
Natur verrathen und in ihrer ſteten Wiederkehr die Lange¬
weile unſeres Daſeins enthalten, immer wieder eſſen und
trinken, arbeiten und ſchlafen, gebären und ſterben zu müſſen,
ſo liegt auch in ihnen ſelbſt ſchon ein ironiſcher Anflug.
Die Kunſt darf aus ihnen nur den Punct unſeres Zuſam¬
menhangs mit der Natur, unſerer Gebundenheit an das
Endliche, ſchärfer hervorheben, ſo iſt die Komik im Nu fertig.
Dann entſteht auch ein Genrebild, aber ein ſolches, das
uns ein Lächeln abgewinnt, weil es uns die Freiheit in ihrer
natürlichen Beſchränktheit zeigt. In der großen Totalität
iſt der einzelne Zuſtand nur ein Moment; welche Befriedi¬
gung ein Zuſtand relativ und momentan gewähre, ſo muß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0232" n="210"/>
Schlaf, die Arbeit des Men&#x017F;chen, das gemein&#x017F;ame Mahl,<lb/>
Hochzeit, Geburt und Tod, nach dem Adel ihrer po&#x017F;itiven<lb/>
und univer&#x017F;ellen Bedeutung ge&#x017F;childert. Man erinnere &#x017F;ich,<lb/>
wie <hi rendition="#g">Homer</hi> auf dem Schilde des Kriegers Achilleus den<lb/>
ganzen Cyklus der Begehungen und Fe&#x017F;te des Friedens vom<lb/>
Hephai&#x017F;tos hat bilden la&#x017F;&#x017F;en; man erinnere &#x017F;ich der Werke<lb/>
und Tage des <hi rendition="#g">He&#x017F;iodos</hi>; man erinnere &#x017F;ich der Idyllik,<lb/>
der &#x017F;ocialen, der &#x017F;koli&#x017F;chen Lyrik; man erinnere &#x017F;ich, wie<lb/>
das antike Relief, die antike Va&#x017F;enmalerei, die Pompejani&#x017F;che<lb/>
Wandmalerei un&#x017F;ere gewöhlichen Zu&#x017F;tände in naiver Heiter¬<lb/>
keit vorführt; wie die chri&#x017F;tliche Poe&#x017F;ie, Pla&#x017F;tik und Malerei<lb/>
aus der Ge&#x017F;chichte der Patriarchen und Chri&#x017F;ti heraus alle<lb/>
gewöhnlichen Vorkommni&#x017F;&#x017F;e des Men&#x017F;chenlebens nach ihrem<lb/>
idealen Werth gebildet haben, &#x017F;o wird man erkennen, welch'<lb/>
großen Umfang das Gewöhnliche in der Kun&#x017F;t mit einem<lb/>
vollkommen affirmativen Charakter einnimmt. Allein eben<lb/>
weil die&#x017F;e epi&#x017F;chen Elemente des Weltlebens in ihrer unend¬<lb/>
lichen prakti&#x017F;chen Wichtigkeit doch zugleich die alltäglichen<lb/>
&#x017F;ind, welche auch die Abhängigkeit des Men&#x017F;chen von der<lb/>
Natur verrathen und in ihrer &#x017F;teten Wiederkehr die Lange¬<lb/>
weile un&#x017F;eres Da&#x017F;eins enthalten, immer wieder e&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
trinken, arbeiten und &#x017F;chlafen, gebären und &#x017F;terben zu mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;o liegt auch in ihnen &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon ein ironi&#x017F;cher Anflug.<lb/>
Die Kun&#x017F;t darf aus ihnen nur den Punct un&#x017F;eres Zu&#x017F;am¬<lb/>
menhangs mit der Natur, un&#x017F;erer Gebundenheit an das<lb/>
Endliche, &#x017F;chärfer hervorheben, &#x017F;o i&#x017F;t die Komik im Nu fertig.<lb/>
Dann ent&#x017F;teht auch ein <hi rendition="#g">Genrebild</hi>, aber ein &#x017F;olches, das<lb/>
uns ein Lächeln abgewinnt, weil es uns die Freiheit in ihrer<lb/>
natürlichen Be&#x017F;chränktheit zeigt. In der großen Totalität<lb/>
i&#x017F;t der einzelne Zu&#x017F;tand nur ein Moment; welche Befriedi¬<lb/>
gung ein Zu&#x017F;tand relativ und momentan gewähre, &#x017F;o muß<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0232] Schlaf, die Arbeit des Menſchen, das gemeinſame Mahl, Hochzeit, Geburt und Tod, nach dem Adel ihrer poſitiven und univerſellen Bedeutung geſchildert. Man erinnere ſich, wie Homer auf dem Schilde des Kriegers Achilleus den ganzen Cyklus der Begehungen und Feſte des Friedens vom Hephaiſtos hat bilden laſſen; man erinnere ſich der Werke und Tage des Heſiodos; man erinnere ſich der Idyllik, der ſocialen, der ſkoliſchen Lyrik; man erinnere ſich, wie das antike Relief, die antike Vaſenmalerei, die Pompejaniſche Wandmalerei unſere gewöhlichen Zuſtände in naiver Heiter¬ keit vorführt; wie die chriſtliche Poeſie, Plaſtik und Malerei aus der Geſchichte der Patriarchen und Chriſti heraus alle gewöhnlichen Vorkommniſſe des Menſchenlebens nach ihrem idealen Werth gebildet haben, ſo wird man erkennen, welch' großen Umfang das Gewöhnliche in der Kunſt mit einem vollkommen affirmativen Charakter einnimmt. Allein eben weil dieſe epiſchen Elemente des Weltlebens in ihrer unend¬ lichen praktiſchen Wichtigkeit doch zugleich die alltäglichen ſind, welche auch die Abhängigkeit des Menſchen von der Natur verrathen und in ihrer ſteten Wiederkehr die Lange¬ weile unſeres Daſeins enthalten, immer wieder eſſen und trinken, arbeiten und ſchlafen, gebären und ſterben zu müſſen, ſo liegt auch in ihnen ſelbſt ſchon ein ironiſcher Anflug. Die Kunſt darf aus ihnen nur den Punct unſeres Zuſam¬ menhangs mit der Natur, unſerer Gebundenheit an das Endliche, ſchärfer hervorheben, ſo iſt die Komik im Nu fertig. Dann entſteht auch ein Genrebild, aber ein ſolches, das uns ein Lächeln abgewinnt, weil es uns die Freiheit in ihrer natürlichen Beſchränktheit zeigt. In der großen Totalität iſt der einzelne Zuſtand nur ein Moment; welche Befriedi¬ gung ein Zuſtand relativ und momentan gewähre, ſo muß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/232
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/232>, abgerufen am 01.05.2024.