Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

das Gewöhnliche die Nullität seines Inhalts durch den Bom¬
bast eines falschen Pathos auszuspreizen bemühet ist, so ist
das eine unbeabsichtigte Lächerlichkeit. Unser Lachen über
das Häßliche bedeutet in diesem Fall seine Verurtheilung.
Wird aber das dem Inhalt nach Gewöhnliche in der Form
der Erhabenheit, oder umgekehrt das dem seinsollenden Inhalt
nach Erhabene in der Form der Gewöhnlichkeit vorgeführt,
so entsteht beidemal eine komische Wirkung. Das Erstere ist
der Fall in der Travestie, wie wenn die Frösche in der
Batrachomyomachie die Sprache der Homerischen Helden
reden; das Zweite ist der Fall in der Parodie, wie wenn
die Idee des Schicksals als einer an sich erhabenen Macht
auf einen futilen Gegegenstand gewendet wird. So persiflirte
Natalis mit seinem Strickstrumpfdrama, so Platen mit
seiner Gabel die Verirrungen unserer fatalistischen Schule;
so persiflirte Baggesen den Schwulst, in welchen das
geistliche Epos bei uns verfallen war, mit seinem Adam und
Eva. Die ersten Menschen sind gewiß ein naiv erhabener
Gegenstand. Theologie studiren und Französisch lernen sind
gewiß sehr gewöhnliche Beschäftigungen der heutigen Welt.
Baggesen läßt nun Adam bis zwölf Uhr Theologie studiren.
Eva spaziert unterdessen im Paradiesesgarten umher, wo die
Thiere ihr sehr artig den Hof machen und ihr schmeichelnd
den niedlichen Fuß lecken. Vorzüglich fein benimmt sich die
buntschillernde Schlange. Sie macht sich für Eva höchst
interessant dadurch, daß sie Französisch sprechen kann und
viel von Paris zu erzählen weiß. Adam, mit welchem Eva
gut bürgerlich um zwölf Uhr zu Mittag speist, hat längere
Zeit keine Ahnung von dieser gefährlichen Bekanntschaft, bis
er sie auf einer gemeinschaftlichen Promenade mit seiner Frau
zufällig entdeckt u. s. w. Diese ganze Behandlung macht

das Gewöhnliche die Nullität ſeines Inhalts durch den Bom¬
baſt eines falſchen Pathos auszuſpreizen bemühet iſt, ſo iſt
das eine unbeabſichtigte Lächerlichkeit. Unſer Lachen über
das Häßliche bedeutet in dieſem Fall ſeine Verurtheilung.
Wird aber das dem Inhalt nach Gewöhnliche in der Form
der Erhabenheit, oder umgekehrt das dem ſeinſollenden Inhalt
nach Erhabene in der Form der Gewöhnlichkeit vorgeführt,
ſo entſteht beidemal eine komiſche Wirkung. Das Erſtere iſt
der Fall in der Traveſtie, wie wenn die Fröſche in der
Batrachomyomachie die Sprache der Homeriſchen Helden
reden; das Zweite iſt der Fall in der Parodie, wie wenn
die Idee des Schickſals als einer an ſich erhabenen Macht
auf einen futilen Gegegenſtand gewendet wird. So perſiflirte
Natalis mit ſeinem Strickſtrumpfdrama, ſo Platen mit
ſeiner Gabel die Verirrungen unſerer fataliſtiſchen Schule;
ſo perſiflirte Baggeſen den Schwulſt, in welchen das
geiſtliche Epos bei uns verfallen war, mit ſeinem Adam und
Eva. Die erſten Menſchen ſind gewiß ein naiv erhabener
Gegenſtand. Theologie ſtudiren und Franzöſiſch lernen ſind
gewiß ſehr gewöhnliche Beſchäftigungen der heutigen Welt.
Baggeſen läßt nun Adam bis zwölf Uhr Theologie ſtudiren.
Eva ſpaziert unterdeſſen im Paradieſesgarten umher, wo die
Thiere ihr ſehr artig den Hof machen und ihr ſchmeichelnd
den niedlichen Fuß lecken. Vorzüglich fein benimmt ſich die
buntſchillernde Schlange. Sie macht ſich für Eva höchſt
intereſſant dadurch, daß ſie Franzöſiſch ſprechen kann und
viel von Paris zu erzählen weiß. Adam, mit welchem Eva
gut bürgerlich um zwölf Uhr zu Mittag ſpeiſt, hat längere
Zeit keine Ahnung von dieſer gefährlichen Bekanntſchaft, bis
er ſie auf einer gemeinſchaftlichen Promenade mit ſeiner Frau
zufällig entdeckt u. ſ. w. Dieſe ganze Behandlung macht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0230" n="208"/>
das Gewöhnliche die Nullität &#x017F;eines Inhalts durch den Bom¬<lb/>
ba&#x017F;t eines fal&#x017F;chen Pathos auszu&#x017F;preizen bemühet i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
das eine unbeab&#x017F;ichtigte Lächerlichkeit. Un&#x017F;er Lachen über<lb/>
das Häßliche bedeutet in die&#x017F;em Fall &#x017F;eine Verurtheilung.<lb/>
Wird aber das dem Inhalt nach Gewöhnliche in der Form<lb/>
der Erhabenheit, oder umgekehrt das dem &#x017F;ein&#x017F;ollenden Inhalt<lb/>
nach Erhabene in der Form der Gewöhnlichkeit vorgeführt,<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;teht beidemal eine komi&#x017F;che Wirkung. Das Er&#x017F;tere i&#x017F;t<lb/>
der Fall in der Trave&#x017F;tie, wie wenn die Frö&#x017F;che in der<lb/><hi rendition="#g">Batrachomyomachie</hi> die Sprache der Homeri&#x017F;chen Helden<lb/>
reden; das Zweite i&#x017F;t der Fall in der Parodie, wie wenn<lb/>
die Idee des Schick&#x017F;als als einer an &#x017F;ich erhabenen Macht<lb/>
auf einen futilen Gegegen&#x017F;tand gewendet wird. So per&#x017F;iflirte<lb/><hi rendition="#g">Natalis</hi> mit &#x017F;einem Strick&#x017F;trumpfdrama, &#x017F;o <hi rendition="#g">Platen</hi> mit<lb/>
&#x017F;einer Gabel die Verirrungen un&#x017F;erer fatali&#x017F;ti&#x017F;chen Schule;<lb/>
&#x017F;o per&#x017F;iflirte <hi rendition="#g">Bagge&#x017F;en</hi> den Schwul&#x017F;t, in welchen das<lb/>
gei&#x017F;tliche Epos bei uns verfallen war, mit &#x017F;einem Adam und<lb/>
Eva. Die er&#x017F;ten Men&#x017F;chen &#x017F;ind gewiß ein naiv erhabener<lb/>
Gegen&#x017F;tand. Theologie &#x017F;tudiren und Franzö&#x017F;i&#x017F;ch lernen &#x017F;ind<lb/>
gewiß &#x017F;ehr gewöhnliche Be&#x017F;chäftigungen der heutigen Welt.<lb/>
Bagge&#x017F;en läßt nun Adam bis zwölf Uhr Theologie &#x017F;tudiren.<lb/>
Eva &#x017F;paziert unterde&#x017F;&#x017F;en im Paradie&#x017F;esgarten umher, wo die<lb/>
Thiere ihr &#x017F;ehr artig den Hof machen und ihr &#x017F;chmeichelnd<lb/>
den niedlichen Fuß lecken. Vorzüglich fein benimmt &#x017F;ich die<lb/>
bunt&#x017F;chillernde Schlange. Sie macht &#x017F;ich für Eva höch&#x017F;t<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;ant dadurch, daß &#x017F;ie Franzö&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;prechen kann und<lb/>
viel von Paris zu erzählen weiß. Adam, mit welchem Eva<lb/>
gut bürgerlich um zwölf Uhr zu Mittag &#x017F;pei&#x017F;t, hat längere<lb/>
Zeit keine Ahnung von die&#x017F;er gefährlichen Bekannt&#x017F;chaft, bis<lb/>
er &#x017F;ie auf einer gemein&#x017F;chaftlichen Promenade mit &#x017F;einer Frau<lb/>
zufällig entdeckt u. &#x017F;. w. Die&#x017F;e ganze Behandlung macht<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0230] das Gewöhnliche die Nullität ſeines Inhalts durch den Bom¬ baſt eines falſchen Pathos auszuſpreizen bemühet iſt, ſo iſt das eine unbeabſichtigte Lächerlichkeit. Unſer Lachen über das Häßliche bedeutet in dieſem Fall ſeine Verurtheilung. Wird aber das dem Inhalt nach Gewöhnliche in der Form der Erhabenheit, oder umgekehrt das dem ſeinſollenden Inhalt nach Erhabene in der Form der Gewöhnlichkeit vorgeführt, ſo entſteht beidemal eine komiſche Wirkung. Das Erſtere iſt der Fall in der Traveſtie, wie wenn die Fröſche in der Batrachomyomachie die Sprache der Homeriſchen Helden reden; das Zweite iſt der Fall in der Parodie, wie wenn die Idee des Schickſals als einer an ſich erhabenen Macht auf einen futilen Gegegenſtand gewendet wird. So perſiflirte Natalis mit ſeinem Strickſtrumpfdrama, ſo Platen mit ſeiner Gabel die Verirrungen unſerer fataliſtiſchen Schule; ſo perſiflirte Baggeſen den Schwulſt, in welchen das geiſtliche Epos bei uns verfallen war, mit ſeinem Adam und Eva. Die erſten Menſchen ſind gewiß ein naiv erhabener Gegenſtand. Theologie ſtudiren und Franzöſiſch lernen ſind gewiß ſehr gewöhnliche Beſchäftigungen der heutigen Welt. Baggeſen läßt nun Adam bis zwölf Uhr Theologie ſtudiren. Eva ſpaziert unterdeſſen im Paradieſesgarten umher, wo die Thiere ihr ſehr artig den Hof machen und ihr ſchmeichelnd den niedlichen Fuß lecken. Vorzüglich fein benimmt ſich die buntſchillernde Schlange. Sie macht ſich für Eva höchſt intereſſant dadurch, daß ſie Franzöſiſch ſprechen kann und viel von Paris zu erzählen weiß. Adam, mit welchem Eva gut bürgerlich um zwölf Uhr zu Mittag ſpeiſt, hat längere Zeit keine Ahnung von dieſer gefährlichen Bekanntſchaft, bis er ſie auf einer gemeinſchaftlichen Promenade mit ſeiner Frau zufällig entdeckt u. ſ. w. Dieſe ganze Behandlung macht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/230
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/230>, abgerufen am 01.05.2024.