Ducaten. Vor sich selbst, vor seiner Frau, seinem Sohn, will er sich damit rechtfertigen, daß er da nur gestohlen habe, wo er seinen Todfeind hätte morden können. Schiller hat aber schon genugsam gezeigt, daß der Mord, weil er mehr Kraft erfordert, ästhetisch höher steht, als der Diebstahl. Irner würde schuldiger, und doch weniger gemein gehandelt haben, hätte er Stralenheim ermordet. Seine Schwäche hat ihn nur stehlen lassen und die Sophisterei, daß das Geld im Grunde ja sein Eigenthum sei, hält vor seinem Gewissen nicht aus. Sein Sohn Ulrich vollbringt, ohne Wissen des Vaters, den Mord. Als Irner diese entsetzliche Entdeckung macht, muß er vom Sohn als Vertheidigung die Doctrin der Schwäche vernehmen, die er selbst ihn gelehrt habe:
Wer hat mir gesagt, die
Gelegenheit entschuldige manche Laster? Die Leidenschaft sei unsere Natur? Auf Des Glückes Güter folgten die des Himmels? Wer wies mir seine Menschlichkeit abhängig Nur von den Nerven? Wer nahm alle Macht mir, Mich zu vertheidgen, zu zeigen mich Im offnen Kampf, durch seine Schmach, die mich Vielleicht mit Bastardschaft gar stempelt, ihn mit Des Missethäters Brandmal? Er, der warm Zumal und schwach ist, der zu Thaten reizt, die Er thun will und nicht wagt. Ist es so seltsam, Daß ich vollbringe, was du denkst?
Wie die Schwäche und Schwächlichkeit, ohne es zu ahnen, vielmehr im Wahn, recht gut zu sein, in das Böse übergeht, hat G. Sand meisterhaft in der Fadette gezeigt. Fadette klärt Sylvain über sich auf, wie er schwach, senti¬ mental, tyrannisch gegen seine Umgebung, sophistisch und
13 *
Ducaten. Vor ſich ſelbſt, vor ſeiner Frau, ſeinem Sohn, will er ſich damit rechtfertigen, daß er da nur geſtohlen habe, wo er ſeinen Todfeind hätte morden können. Schiller hat aber ſchon genugſam gezeigt, daß der Mord, weil er mehr Kraft erfordert, äſthetiſch höher ſteht, als der Diebſtahl. Irner würde ſchuldiger, und doch weniger gemein gehandelt haben, hätte er Stralenheim ermordet. Seine Schwäche hat ihn nur ſtehlen laſſen und die Sophiſterei, daß das Geld im Grunde ja ſein Eigenthum ſei, hält vor ſeinem Gewiſſen nicht aus. Sein Sohn Ulrich vollbringt, ohne Wiſſen des Vaters, den Mord. Als Irner dieſe entſetzliche Entdeckung macht, muß er vom Sohn als Vertheidigung die Doctrin der Schwäche vernehmen, die er ſelbſt ihn gelehrt habe:
Wer hat mir geſagt, die
Gelegenheit entſchuldige manche Laſter? Die Leidenſchaft ſei unſere Natur? Auf Des Glückes Güter folgten die des Himmels? Wer wies mir ſeine Menſchlichkeit abhängig Nur von den Nerven? Wer nahm alle Macht mir, Mich zu vertheidgen, zu zeigen mich Im offnen Kampf, durch ſeine Schmach, die mich Vielleicht mit Baſtardſchaft gar ſtempelt, ihn mit Des Miſſethäters Brandmal? Er, der warm Zumal und ſchwach iſt, der zu Thaten reizt, die Er thun will und nicht wagt. Iſt es ſo ſeltſam, Daß ich vollbringe, was du denkſt?
Wie die Schwäche und Schwächlichkeit, ohne es zu ahnen, vielmehr im Wahn, recht gut zu ſein, in das Böſe übergeht, hat G. Sand meiſterhaft in der Fadette gezeigt. Fadette klärt Sylvain über ſich auf, wie er ſchwach, ſenti¬ mental, tyranniſch gegen ſeine Umgebung, ſophiſtiſch und
13 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0217"n="195"/>
Ducaten. Vor ſich ſelbſt, vor ſeiner Frau, ſeinem Sohn,<lb/>
will er ſich damit rechtfertigen, daß er da nur geſtohlen<lb/>
habe, wo er ſeinen Todfeind hätte morden können. <hirendition="#g">Schiller</hi><lb/>
hat aber ſchon genugſam gezeigt, daß der Mord, weil er<lb/>
mehr Kraft erfordert, äſthetiſch höher ſteht, als der Diebſtahl.<lb/>
Irner würde ſchuldiger, und doch weniger gemein gehandelt<lb/>
haben, hätte er Stralenheim ermordet. Seine Schwäche<lb/>
hat ihn nur ſtehlen laſſen und die Sophiſterei, daß das Geld<lb/>
im Grunde ja ſein Eigenthum ſei, hält vor ſeinem Gewiſſen<lb/>
nicht aus. Sein Sohn Ulrich vollbringt, ohne Wiſſen des<lb/>
Vaters, den Mord. Als Irner dieſe entſetzliche Entdeckung<lb/>
macht, muß er vom Sohn als Vertheidigung die Doctrin<lb/>
der Schwäche vernehmen, die er ſelbſt ihn gelehrt habe:</p><lb/><lgtype="poem"><lrendition="#et">Wer hat mir geſagt, die</l><lb/><l>Gelegenheit entſchuldige manche Laſter?</l><lb/><l>Die Leidenſchaft ſei unſere Natur? Auf</l><lb/><l>Des Glückes Güter folgten die des Himmels?</l><lb/><l>Wer wies mir ſeine Menſchlichkeit abhängig</l><lb/><l>Nur von den Nerven? Wer nahm alle Macht mir,</l><lb/><l>Mich zu vertheidgen, zu zeigen mich</l><lb/><l>Im offnen Kampf, durch ſeine Schmach, die mich</l><lb/><l>Vielleicht mit Baſtardſchaft gar ſtempelt, ihn mit</l><lb/><l>Des Miſſethäters Brandmal? Er, der warm</l><lb/><l>Zumal und ſchwach iſt, der zu Thaten reizt, die</l><lb/><l>Er thun will und nicht wagt. Iſt es ſo ſeltſam,</l><lb/><l>Daß ich vollbringe, was du denkſt?</l></lg><lb/><p>Wie die Schwäche und Schwächlichkeit, ohne es zu<lb/>
ahnen, vielmehr im Wahn, recht gut zu ſein, in das Böſe<lb/>
übergeht, hat G. <hirendition="#g">Sand</hi> meiſterhaft in der <hirendition="#g">Fadette</hi> gezeigt.<lb/>
Fadette klärt Sylvain über ſich auf, wie er ſchwach, ſenti¬<lb/>
mental, tyranniſch gegen ſeine Umgebung, ſophiſtiſch und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13 *<lb/></fw></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[195/0217]
Ducaten. Vor ſich ſelbſt, vor ſeiner Frau, ſeinem Sohn,
will er ſich damit rechtfertigen, daß er da nur geſtohlen
habe, wo er ſeinen Todfeind hätte morden können. Schiller
hat aber ſchon genugſam gezeigt, daß der Mord, weil er
mehr Kraft erfordert, äſthetiſch höher ſteht, als der Diebſtahl.
Irner würde ſchuldiger, und doch weniger gemein gehandelt
haben, hätte er Stralenheim ermordet. Seine Schwäche
hat ihn nur ſtehlen laſſen und die Sophiſterei, daß das Geld
im Grunde ja ſein Eigenthum ſei, hält vor ſeinem Gewiſſen
nicht aus. Sein Sohn Ulrich vollbringt, ohne Wiſſen des
Vaters, den Mord. Als Irner dieſe entſetzliche Entdeckung
macht, muß er vom Sohn als Vertheidigung die Doctrin
der Schwäche vernehmen, die er ſelbſt ihn gelehrt habe:
Wer hat mir geſagt, die
Gelegenheit entſchuldige manche Laſter?
Die Leidenſchaft ſei unſere Natur? Auf
Des Glückes Güter folgten die des Himmels?
Wer wies mir ſeine Menſchlichkeit abhängig
Nur von den Nerven? Wer nahm alle Macht mir,
Mich zu vertheidgen, zu zeigen mich
Im offnen Kampf, durch ſeine Schmach, die mich
Vielleicht mit Baſtardſchaft gar ſtempelt, ihn mit
Des Miſſethäters Brandmal? Er, der warm
Zumal und ſchwach iſt, der zu Thaten reizt, die
Er thun will und nicht wagt. Iſt es ſo ſeltſam,
Daß ich vollbringe, was du denkſt?
Wie die Schwäche und Schwächlichkeit, ohne es zu
ahnen, vielmehr im Wahn, recht gut zu ſein, in das Böſe
übergeht, hat G. Sand meiſterhaft in der Fadette gezeigt.
Fadette klärt Sylvain über ſich auf, wie er ſchwach, ſenti¬
mental, tyranniſch gegen ſeine Umgebung, ſophiſtiſch und
13 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/217>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.