Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

werth in ihrer Thätigkeit; werden sie aber durch dieselbe
verschönt?

Wir haben uns überzeugt, wie die Möglichkeit des
Häßlichen zunächst darin liegt, daß die allgemeine Maa߬
bestimmtheit der Einheit, des Unterschiedes, der Harmonie
verletzt wird; eine Negation, die als solche mit dem Gegen¬
satz von Natur und Geist, von Gutem und Bösem, noch
nichts zu thun hat. -- Wir haben uns ferner überzeugt,
wie das Häßliche dadurch entstehen kann, daß die besondere
Formbestimmtheit, welche dem Natürlichen und Geistigen
nothwendigerweise zukommt, negirt wird. Die Correctheit
einer Erscheinung besteht in der ungehemmten Uebereinstim¬
mung des Einzelnen mit der Gattung, in der Vollstän¬
digkeit und Richtigkeit, mit welchen die Erscheinung ihrem
Wesen entspricht. Wird diese Norm verletzt, so ergibt sich
die Incorrectheit, eine Häßlichkeit, die viele Einschränkungen
leidet, weil die bloße Richtigkeit sich der idealen Wahrheit
unterzuordnen hat. -- Der letzte Grund der Schönheit näm¬
lich ist erst die Freiheit; dies Wort hier nicht blos in dem
ausschließend ethischen, sondern in dem allgemeinen Sinn
der Spontaneität genommen, die ihre absolute Vollendung
freilich in der sittlichen Selbstbestimmung findet, die aber
auch im Spiel des Lebens, im dynamischen und organischen
Processe, ästhetisches Object wird. Einheit, Regelmäßigkeit,
Symmetrie, Ordnung, Naturwahrheit, psychologische und
historische Richtigkeit allein vermögen dem Begriff des
Schönen noch nicht vollkommen zu genügen. Dies erfordert
noch die Beseelung durch Selbstthätigkeit, durch ein ihm
selber entströmendes Leben. Diese Selbstthätigkeit kann in
ästhetischer Hinsicht, wie wir zugeben müssen, eine Wahrheit
und in realer ein bloßer Schein sein. Die Aesthetik darf

werth in ihrer Thätigkeit; werden ſie aber durch dieſelbe
verſchönt?

Wir haben uns überzeugt, wie die Möglichkeit des
Häßlichen zunächſt darin liegt, daß die allgemeine Maa߬
beſtimmtheit der Einheit, des Unterſchiedes, der Harmonie
verletzt wird; eine Negation, die als ſolche mit dem Gegen¬
ſatz von Natur und Geiſt, von Gutem und Böſem, noch
nichts zu thun hat. — Wir haben uns ferner überzeugt,
wie das Häßliche dadurch entſtehen kann, daß die beſondere
Formbeſtimmtheit, welche dem Natürlichen und Geiſtigen
nothwendigerweiſe zukommt, negirt wird. Die Correctheit
einer Erſcheinung beſteht in der ungehemmten Uebereinſtim¬
mung des Einzelnen mit der Gattung, in der Vollſtän¬
digkeit und Richtigkeit, mit welchen die Erſcheinung ihrem
Weſen entſpricht. Wird dieſe Norm verletzt, ſo ergibt ſich
die Incorrectheit, eine Häßlichkeit, die viele Einſchränkungen
leidet, weil die bloße Richtigkeit ſich der idealen Wahrheit
unterzuordnen hat. — Der letzte Grund der Schönheit näm¬
lich iſt erſt die Freiheit; dies Wort hier nicht blos in dem
ausſchließend ethiſchen, ſondern in dem allgemeinen Sinn
der Spontaneität genommen, die ihre abſolute Vollendung
freilich in der ſittlichen Selbſtbeſtimmung findet, die aber
auch im Spiel des Lebens, im dynamiſchen und organiſchen
Proceſſe, äſthetiſches Object wird. Einheit, Regelmäßigkeit,
Symmetrie, Ordnung, Naturwahrheit, pſychologiſche und
hiſtoriſche Richtigkeit allein vermögen dem Begriff des
Schönen noch nicht vollkommen zu genügen. Dies erfordert
noch die Beſeelung durch Selbſtthätigkeit, durch ein ihm
ſelber entſtrömendes Leben. Dieſe Selbſtthätigkeit kann in
äſthetiſcher Hinſicht, wie wir zugeben müſſen, eine Wahrheit
und in realer ein bloßer Schein ſein. Die Aeſthetik darf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="166"/>
werth in ihrer Thätigkeit; werden &#x017F;ie aber durch die&#x017F;elbe<lb/>
ver&#x017F;chönt?</p><lb/>
          <p>Wir haben uns überzeugt, wie die Möglichkeit des<lb/>
Häßlichen zunäch&#x017F;t darin liegt, daß die allgemeine Maa߬<lb/>
be&#x017F;timmtheit der Einheit, des Unter&#x017F;chiedes, der Harmonie<lb/>
verletzt wird; eine Negation, die als &#x017F;olche mit dem Gegen¬<lb/>
&#x017F;atz von Natur und Gei&#x017F;t, von Gutem und Bö&#x017F;em, noch<lb/>
nichts zu thun hat. &#x2014; Wir haben uns ferner überzeugt,<lb/>
wie das Häßliche dadurch ent&#x017F;tehen kann, daß die be&#x017F;ondere<lb/>
Formbe&#x017F;timmtheit, welche dem Natürlichen und Gei&#x017F;tigen<lb/>
nothwendigerwei&#x017F;e zukommt, negirt wird. Die Correctheit<lb/>
einer Er&#x017F;cheinung be&#x017F;teht in der ungehemmten Ueberein&#x017F;tim¬<lb/>
mung des Einzelnen mit der Gattung, in der Voll&#x017F;tän¬<lb/>
digkeit und Richtigkeit, mit welchen die Er&#x017F;cheinung ihrem<lb/>
We&#x017F;en ent&#x017F;pricht. Wird die&#x017F;e Norm verletzt, &#x017F;o ergibt &#x017F;ich<lb/>
die Incorrectheit, eine Häßlichkeit, die viele Ein&#x017F;chränkungen<lb/>
leidet, weil die bloße Richtigkeit &#x017F;ich der idealen Wahrheit<lb/>
unterzuordnen hat. &#x2014; Der letzte Grund der Schönheit näm¬<lb/>
lich i&#x017F;t er&#x017F;t die <hi rendition="#g">Freiheit</hi>; dies Wort hier nicht blos in dem<lb/>
aus&#x017F;chließend ethi&#x017F;chen, &#x017F;ondern in dem allgemeinen Sinn<lb/>
der Spontaneität genommen, die ihre ab&#x017F;olute Vollendung<lb/>
freilich in der &#x017F;ittlichen Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung findet, die aber<lb/>
auch im Spiel des Lebens, im dynami&#x017F;chen und organi&#x017F;chen<lb/>
Proce&#x017F;&#x017F;e, ä&#x017F;theti&#x017F;ches Object wird. Einheit, Regelmäßigkeit,<lb/>
Symmetrie, Ordnung, Naturwahrheit, p&#x017F;ychologi&#x017F;che und<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Richtigkeit allein vermögen dem Begriff des<lb/>
Schönen noch nicht vollkommen zu genügen. Dies erfordert<lb/>
noch die Be&#x017F;eelung durch Selb&#x017F;tthätigkeit, durch ein ihm<lb/>
&#x017F;elber ent&#x017F;trömendes Leben. Die&#x017F;e Selb&#x017F;tthätigkeit kann in<lb/>
ä&#x017F;theti&#x017F;cher Hin&#x017F;icht, wie wir zugeben mü&#x017F;&#x017F;en, eine Wahrheit<lb/>
und in realer ein bloßer Schein &#x017F;ein. Die Ae&#x017F;thetik darf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0188] werth in ihrer Thätigkeit; werden ſie aber durch dieſelbe verſchönt? Wir haben uns überzeugt, wie die Möglichkeit des Häßlichen zunächſt darin liegt, daß die allgemeine Maa߬ beſtimmtheit der Einheit, des Unterſchiedes, der Harmonie verletzt wird; eine Negation, die als ſolche mit dem Gegen¬ ſatz von Natur und Geiſt, von Gutem und Böſem, noch nichts zu thun hat. — Wir haben uns ferner überzeugt, wie das Häßliche dadurch entſtehen kann, daß die beſondere Formbeſtimmtheit, welche dem Natürlichen und Geiſtigen nothwendigerweiſe zukommt, negirt wird. Die Correctheit einer Erſcheinung beſteht in der ungehemmten Uebereinſtim¬ mung des Einzelnen mit der Gattung, in der Vollſtän¬ digkeit und Richtigkeit, mit welchen die Erſcheinung ihrem Weſen entſpricht. Wird dieſe Norm verletzt, ſo ergibt ſich die Incorrectheit, eine Häßlichkeit, die viele Einſchränkungen leidet, weil die bloße Richtigkeit ſich der idealen Wahrheit unterzuordnen hat. — Der letzte Grund der Schönheit näm¬ lich iſt erſt die Freiheit; dies Wort hier nicht blos in dem ausſchließend ethiſchen, ſondern in dem allgemeinen Sinn der Spontaneität genommen, die ihre abſolute Vollendung freilich in der ſittlichen Selbſtbeſtimmung findet, die aber auch im Spiel des Lebens, im dynamiſchen und organiſchen Proceſſe, äſthetiſches Object wird. Einheit, Regelmäßigkeit, Symmetrie, Ordnung, Naturwahrheit, pſychologiſche und hiſtoriſche Richtigkeit allein vermögen dem Begriff des Schönen noch nicht vollkommen zu genügen. Dies erfordert noch die Beſeelung durch Selbſtthätigkeit, durch ein ihm ſelber entſtrömendes Leben. Dieſe Selbſtthätigkeit kann in äſthetiſcher Hinſicht, wie wir zugeben müſſen, eine Wahrheit und in realer ein bloßer Schein ſein. Die Aeſthetik darf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/188
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/188>, abgerufen am 02.05.2024.