Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrem Werk hinzuthun, nur die Rangstufe des Ornamentes
behielte. Die Polychromie der Alten hat, wie es nach den
Berichten von Semper und Kugler (32) scheint, diese
Grenze sorgfältig beachtet. Die Architektur bereitet der
Sculptur und der Malerei eine Stätte; sollen nun aber die
Thaten dieser Künste von den Massen der Architektur nicht
erdrückt werden, so muß diese eine besondere Rücksicht nehmen
und, um der Statue das Postament, um dem Bilde die
Wandfläche zu bereiten, den baulichen Organismus zu
diesem Zweck modificiren. Musik und Poesie können sich
ebenfalls unterstützen, und die Poesie kann sogar gesungen
werden, aber auch hier kommt es darauf an, daß die Musik
als begleitende Instrumentalmusik das Wort nicht völlig
unhörbar mache und, wie in so manchen modernen Opern,
den Sänger zum Schreien und Brüllen zwinge, an welchem
nur noch die physische Gewalt anzustaunen, aber nichts
Schönes zu lieben ist.

Lessing hat bekanntlich in seinem Laokoon die
Grenzen der Malerei und Poesie zu bestimmen gesucht. Er
hat die Incorrectheiten angedeutet, welche dadurch entstehen,
daß die Malerei ihre Fundamentalbedingung, die Coexistenz,
und die Poesie die ihrige, die Succession, vergißt. Er hat
die Fehler, die aus solcher Vergessenheit resultiren, für die
Poesie als Schilderungssucht und für die Malerei als
die Allegoristerei bezeichnet: "indem man jene zu einem
redenden Gemälde hat machen wollen, ohne eigentlich zu
wissen, was sie malen könne und solle, und diese zu einem
stummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem
Maaße sie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne sich
von ihrer Bestimmung zu entfernen und zu einer willkür¬
lichen Schriftart zu werden." Bei dieser Untersuchung hat

ihrem Werk hinzuthun, nur die Rangſtufe des Ornamentes
behielte. Die Polychromie der Alten hat, wie es nach den
Berichten von Semper und Kugler (32) ſcheint, dieſe
Grenze ſorgfältig beachtet. Die Architektur bereitet der
Sculptur und der Malerei eine Stätte; ſollen nun aber die
Thaten dieſer Künſte von den Maſſen der Architektur nicht
erdrückt werden, ſo muß dieſe eine beſondere Rückſicht nehmen
und, um der Statue das Poſtament, um dem Bilde die
Wandfläche zu bereiten, den baulichen Organismus zu
dieſem Zweck modificiren. Muſik und Poeſie können ſich
ebenfalls unterſtützen, und die Poeſie kann ſogar geſungen
werden, aber auch hier kommt es darauf an, daß die Muſik
als begleitende Inſtrumentalmuſik das Wort nicht völlig
unhörbar mache und, wie in ſo manchen modernen Opern,
den Sänger zum Schreien und Brüllen zwinge, an welchem
nur noch die phyſiſche Gewalt anzuſtaunen, aber nichts
Schönes zu lieben iſt.

Leſſing hat bekanntlich in ſeinem Laokoon die
Grenzen der Malerei und Poeſie zu beſtimmen geſucht. Er
hat die Incorrectheiten angedeutet, welche dadurch entſtehen,
daß die Malerei ihre Fundamentalbedingung, die Coëxiſtenz,
und die Poeſie die ihrige, die Succeſſion, vergißt. Er hat
die Fehler, die aus ſolcher Vergeſſenheit reſultiren, für die
Poeſie als Schilderungsſucht und für die Malerei als
die Allegoriſterei bezeichnet: „indem man jene zu einem
redenden Gemälde hat machen wollen, ohne eigentlich zu
wiſſen, was ſie malen könne und ſolle, und dieſe zu einem
ſtummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem
Maaße ſie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne ſich
von ihrer Beſtimmung zu entfernen und zu einer willkür¬
lichen Schriftart zu werden.“ Bei dieſer Unterſuchung hat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0178" n="156"/>
ihrem Werk hinzuthun, nur die Rang&#x017F;tufe des Ornamentes<lb/>
behielte. Die Polychromie der Alten hat, wie es nach den<lb/>
Berichten von <hi rendition="#g">Semper</hi> und <hi rendition="#g">Kugler</hi> (32) &#x017F;cheint, die&#x017F;e<lb/>
Grenze &#x017F;orgfältig beachtet. Die Architektur bereitet der<lb/>
Sculptur und der Malerei eine Stätte; &#x017F;ollen nun aber die<lb/>
Thaten die&#x017F;er Kün&#x017F;te von den Ma&#x017F;&#x017F;en der Architektur nicht<lb/>
erdrückt werden, &#x017F;o muß die&#x017F;e eine be&#x017F;ondere Rück&#x017F;icht nehmen<lb/>
und, um der Statue das Po&#x017F;tament, um dem Bilde die<lb/>
Wandfläche zu bereiten, den baulichen Organismus zu<lb/>
die&#x017F;em Zweck modificiren. Mu&#x017F;ik und Poe&#x017F;ie können &#x017F;ich<lb/>
ebenfalls unter&#x017F;tützen, und die Poe&#x017F;ie kann &#x017F;ogar ge&#x017F;ungen<lb/>
werden, aber auch hier kommt es darauf an, daß die Mu&#x017F;ik<lb/>
als begleitende In&#x017F;trumentalmu&#x017F;ik das Wort nicht völlig<lb/>
unhörbar mache und, wie in &#x017F;o manchen modernen Opern,<lb/>
den Sänger zum Schreien und Brüllen zwinge, an welchem<lb/>
nur noch die phy&#x017F;i&#x017F;che Gewalt anzu&#x017F;taunen, aber nichts<lb/>
Schönes zu lieben i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Le&#x017F;&#x017F;ing</hi> hat bekanntlich in &#x017F;einem <hi rendition="#g">Laokoon</hi> die<lb/>
Grenzen der Malerei und Poe&#x017F;ie zu be&#x017F;timmen ge&#x017F;ucht. Er<lb/>
hat die Incorrectheiten angedeutet, welche dadurch ent&#x017F;tehen,<lb/>
daß die Malerei ihre Fundamentalbedingung, die Coëxi&#x017F;tenz,<lb/>
und die Poe&#x017F;ie die ihrige, die Succe&#x017F;&#x017F;ion, vergißt. Er hat<lb/>
die Fehler, die aus &#x017F;olcher Verge&#x017F;&#x017F;enheit re&#x017F;ultiren, für die<lb/>
Poe&#x017F;ie als <hi rendition="#g">Schilderungs&#x017F;ucht</hi> und für die Malerei als<lb/>
die <hi rendition="#g">Allegori&#x017F;terei</hi> bezeichnet: &#x201E;indem man jene zu einem<lb/>
redenden Gemälde hat machen wollen, ohne eigentlich zu<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie malen könne und &#x017F;olle, und die&#x017F;e zu einem<lb/>
&#x017F;tummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem<lb/>
Maaße &#x017F;ie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne &#x017F;ich<lb/>
von ihrer Be&#x017F;timmung zu entfernen und zu einer willkür¬<lb/>
lichen Schriftart zu werden.&#x201C; Bei die&#x017F;er Unter&#x017F;uchung hat<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0178] ihrem Werk hinzuthun, nur die Rangſtufe des Ornamentes behielte. Die Polychromie der Alten hat, wie es nach den Berichten von Semper und Kugler (32) ſcheint, dieſe Grenze ſorgfältig beachtet. Die Architektur bereitet der Sculptur und der Malerei eine Stätte; ſollen nun aber die Thaten dieſer Künſte von den Maſſen der Architektur nicht erdrückt werden, ſo muß dieſe eine beſondere Rückſicht nehmen und, um der Statue das Poſtament, um dem Bilde die Wandfläche zu bereiten, den baulichen Organismus zu dieſem Zweck modificiren. Muſik und Poeſie können ſich ebenfalls unterſtützen, und die Poeſie kann ſogar geſungen werden, aber auch hier kommt es darauf an, daß die Muſik als begleitende Inſtrumentalmuſik das Wort nicht völlig unhörbar mache und, wie in ſo manchen modernen Opern, den Sänger zum Schreien und Brüllen zwinge, an welchem nur noch die phyſiſche Gewalt anzuſtaunen, aber nichts Schönes zu lieben iſt. Leſſing hat bekanntlich in ſeinem Laokoon die Grenzen der Malerei und Poeſie zu beſtimmen geſucht. Er hat die Incorrectheiten angedeutet, welche dadurch entſtehen, daß die Malerei ihre Fundamentalbedingung, die Coëxiſtenz, und die Poeſie die ihrige, die Succeſſion, vergißt. Er hat die Fehler, die aus ſolcher Vergeſſenheit reſultiren, für die Poeſie als Schilderungsſucht und für die Malerei als die Allegoriſterei bezeichnet: „indem man jene zu einem redenden Gemälde hat machen wollen, ohne eigentlich zu wiſſen, was ſie malen könne und ſolle, und dieſe zu einem ſtummen Gedichte, ohne überlegt zu haben, in welchem Maaße ſie allgemeine Begriffe ausdrücken könne, ohne ſich von ihrer Beſtimmung zu entfernen und zu einer willkür¬ lichen Schriftart zu werden.“ Bei dieſer Unterſuchung hat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/178
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/178>, abgerufen am 24.11.2024.