Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen, als Königin der Jungfrauen bei einem Feste erscheinen
soll, ist gewiß komisch. Daß ein Vater, dessen Tochter, wie
er glaubt, mit ihrem Liebsten durchgegangen ist, die Stadt
durch einen Scheintod und einen Scheinsarg seiner Tochter
täuscht, ist gewiß komisch. Daß ein Deutscher Graf, nach wüst
durchnossenem Leben, eine hypochondrische Anwandlung zur
Tugend bekommt und seinem blasirten Leichnam noch die
Ehre anthun möchte, zu irgend etwas Nützlichem, wohl gar
Edlem, zu dienen, ist gewiß komisch. Daß ein schwangeres
Mädchen in einem Lande, worin es doch auch Gensdarmen
gibt, so ohne Weiteres zu Fuß umherirrt und todessehnsüch¬
tig im Waldesdunkel einem Banditen durch eine vorgehaltene
Börse die Lust, sie zu tödten, beibringt, statt daß man er¬
warten sollte, er werde sich der Börse auch ohne Mord ver¬
sichern und das Mädchen als eine schöne Beute zu seiner
Lust zwingen, ist gewiß komisch. Daß Bertram und Julia
eine Ehe schließen, die doch keine ist; er, um doch, bevor er
stirbt, sich noch zu etwas Gutem verbrauchen zu lassen; sie,
um doch ihre Ehre durch einen Gatten zu salviren, das ist
gewiß komisch. Daß endlich alle drei Liebhaber, jeder von
seinem Standpunct aus den andern anerkennend, ja vereh¬
rend, sich auf dem Schloß in Tyrol trefflich vertragen und
der Graf Antonio und Julia die angenehme Aussicht gibt,
nächstens zu ihrer Bequemlichkeit für immer zu verschwinden,
nun, das ist gewiß komisch. Komisch? Ja, im Aristophani¬
schen Sinn, so weit derselbe auch die ethische Nullität in sich
faßt, nicht aber in dem weitern auch Aristophanischen
Sinn der heitern Ausgelassenheit der absoluten Nullität,
die ohne Prätension ist. Vielmehr sind diese corrupten Ver¬
hältnisse im feierlichsten Ernst mit großwortigen Reden be¬
handelt, so daß statt seligen Lächelns nur die Trübseligkeit

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 8

laſſen, als Königin der Jungfrauen bei einem Feſte erſcheinen
ſoll, iſt gewiß komiſch. Daß ein Vater, deſſen Tochter, wie
er glaubt, mit ihrem Liebſten durchgegangen iſt, die Stadt
durch einen Scheintod und einen Scheinſarg ſeiner Tochter
täuſcht, iſt gewiß komiſch. Daß ein Deutſcher Graf, nach wüſt
durchnoſſenem Leben, eine hypochondriſche Anwandlung zur
Tugend bekommt und ſeinem blaſirten Leichnam noch die
Ehre anthun möchte, zu irgend etwas Nützlichem, wohl gar
Edlem, zu dienen, iſt gewiß komiſch. Daß ein ſchwangeres
Mädchen in einem Lande, worin es doch auch Gensdarmen
gibt, ſo ohne Weiteres zu Fuß umherirrt und todesſehnſüch¬
tig im Waldesdunkel einem Banditen durch eine vorgehaltene
Börſe die Luſt, ſie zu tödten, beibringt, ſtatt daß man er¬
warten ſollte, er werde ſich der Börſe auch ohne Mord ver¬
ſichern und das Mädchen als eine ſchöne Beute zu ſeiner
Luſt zwingen, iſt gewiß komiſch. Daß Bertram und Julia
eine Ehe ſchließen, die doch keine iſt; er, um doch, bevor er
ſtirbt, ſich noch zu etwas Gutem verbrauchen zu laſſen; ſie,
um doch ihre Ehre durch einen Gatten zu ſalviren, das iſt
gewiß komiſch. Daß endlich alle drei Liebhaber, jeder von
ſeinem Standpunct aus den andern anerkennend, ja vereh¬
rend, ſich auf dem Schloß in Tyrol trefflich vertragen und
der Graf Antonio und Julia die angenehme Ausſicht gibt,
nächſtens zu ihrer Bequemlichkeit für immer zu verſchwinden,
nun, das iſt gewiß komiſch. Komiſch? Ja, im Ariſtophani¬
ſchen Sinn, ſo weit derſelbe auch die ethiſche Nullität in ſich
faßt, nicht aber in dem weitern auch Ariſtophaniſchen
Sinn der heitern Ausgelaſſenheit der abſoluten Nullität,
die ohne Prätenſion iſt. Vielmehr ſind dieſe corrupten Ver¬
hältniſſe im feierlichſten Ernſt mit großwortigen Reden be¬
handelt, ſo daß ſtatt ſeligen Lächelns nur die Trübſeligkeit

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0135" n="113"/>
la&#x017F;&#x017F;en, als Königin der Jungfrauen bei einem Fe&#x017F;te er&#x017F;cheinen<lb/>
&#x017F;oll, i&#x017F;t gewiß komi&#x017F;ch. Daß ein Vater, de&#x017F;&#x017F;en Tochter, wie<lb/>
er glaubt, mit ihrem Lieb&#x017F;ten durchgegangen i&#x017F;t, die Stadt<lb/>
durch einen Scheintod und einen Schein&#x017F;arg &#x017F;einer Tochter<lb/>
täu&#x017F;cht, i&#x017F;t gewiß komi&#x017F;ch. Daß ein Deut&#x017F;cher Graf, nach wü&#x017F;t<lb/>
durchno&#x017F;&#x017F;enem Leben, eine hypochondri&#x017F;che Anwandlung zur<lb/>
Tugend bekommt und &#x017F;einem bla&#x017F;irten Leichnam noch die<lb/>
Ehre anthun möchte, zu irgend etwas Nützlichem, wohl gar<lb/>
Edlem, zu dienen, i&#x017F;t gewiß komi&#x017F;ch. Daß ein &#x017F;chwangeres<lb/>
Mädchen in einem Lande, worin es doch auch Gensdarmen<lb/>
gibt, &#x017F;o ohne Weiteres zu Fuß umherirrt und todes&#x017F;ehn&#x017F;üch¬<lb/>
tig im Waldesdunkel einem Banditen durch eine vorgehaltene<lb/>
Bör&#x017F;e die Lu&#x017F;t, &#x017F;ie zu tödten, beibringt, &#x017F;tatt daß man er¬<lb/>
warten &#x017F;ollte, er werde &#x017F;ich der Bör&#x017F;e auch ohne Mord ver¬<lb/>
&#x017F;ichern und das Mädchen als eine &#x017F;chöne Beute zu &#x017F;einer<lb/>
Lu&#x017F;t zwingen, i&#x017F;t gewiß komi&#x017F;ch. Daß Bertram und Julia<lb/>
eine Ehe &#x017F;chließen, die doch keine i&#x017F;t; er, um doch, bevor er<lb/>
&#x017F;tirbt, &#x017F;ich noch zu etwas Gutem verbrauchen zu la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie,<lb/>
um doch ihre Ehre durch einen Gatten zu &#x017F;alviren, das i&#x017F;t<lb/>
gewiß komi&#x017F;ch. Daß endlich alle drei Liebhaber, jeder von<lb/>
&#x017F;einem Standpunct aus den andern anerkennend, ja vereh¬<lb/>
rend, &#x017F;ich auf dem Schloß in Tyrol trefflich vertragen und<lb/>
der Graf Antonio und Julia die angenehme Aus&#x017F;icht gibt,<lb/>
näch&#x017F;tens zu ihrer Bequemlichkeit für immer zu ver&#x017F;chwinden,<lb/>
nun, das i&#x017F;t gewiß komi&#x017F;ch. Komi&#x017F;ch? Ja, im Ari&#x017F;tophani¬<lb/>
&#x017F;chen Sinn, &#x017F;o weit der&#x017F;elbe auch die ethi&#x017F;che Nullität in &#x017F;ich<lb/>
faßt, nicht aber in dem weitern auch Ari&#x017F;tophani&#x017F;chen<lb/>
Sinn der heitern Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit der ab&#x017F;oluten Nullität,<lb/>
die ohne Präten&#x017F;ion i&#x017F;t. Vielmehr &#x017F;ind die&#x017F;e corrupten Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e im feierlich&#x017F;ten Ern&#x017F;t mit großwortigen Reden be¬<lb/>
handelt, &#x017F;o daß &#x017F;tatt &#x017F;eligen Lächelns nur die Trüb&#x017F;eligkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ro&#x017F;enkranz</hi>, Ae&#x017F;thetik des Häßlichen. 8<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0135] laſſen, als Königin der Jungfrauen bei einem Feſte erſcheinen ſoll, iſt gewiß komiſch. Daß ein Vater, deſſen Tochter, wie er glaubt, mit ihrem Liebſten durchgegangen iſt, die Stadt durch einen Scheintod und einen Scheinſarg ſeiner Tochter täuſcht, iſt gewiß komiſch. Daß ein Deutſcher Graf, nach wüſt durchnoſſenem Leben, eine hypochondriſche Anwandlung zur Tugend bekommt und ſeinem blaſirten Leichnam noch die Ehre anthun möchte, zu irgend etwas Nützlichem, wohl gar Edlem, zu dienen, iſt gewiß komiſch. Daß ein ſchwangeres Mädchen in einem Lande, worin es doch auch Gensdarmen gibt, ſo ohne Weiteres zu Fuß umherirrt und todesſehnſüch¬ tig im Waldesdunkel einem Banditen durch eine vorgehaltene Börſe die Luſt, ſie zu tödten, beibringt, ſtatt daß man er¬ warten ſollte, er werde ſich der Börſe auch ohne Mord ver¬ ſichern und das Mädchen als eine ſchöne Beute zu ſeiner Luſt zwingen, iſt gewiß komiſch. Daß Bertram und Julia eine Ehe ſchließen, die doch keine iſt; er, um doch, bevor er ſtirbt, ſich noch zu etwas Gutem verbrauchen zu laſſen; ſie, um doch ihre Ehre durch einen Gatten zu ſalviren, das iſt gewiß komiſch. Daß endlich alle drei Liebhaber, jeder von ſeinem Standpunct aus den andern anerkennend, ja vereh¬ rend, ſich auf dem Schloß in Tyrol trefflich vertragen und der Graf Antonio und Julia die angenehme Ausſicht gibt, nächſtens zu ihrer Bequemlichkeit für immer zu verſchwinden, nun, das iſt gewiß komiſch. Komiſch? Ja, im Ariſtophani¬ ſchen Sinn, ſo weit derſelbe auch die ethiſche Nullität in ſich faßt, nicht aber in dem weitern auch Ariſtophaniſchen Sinn der heitern Ausgelaſſenheit der abſoluten Nullität, die ohne Prätenſion iſt. Vielmehr ſind dieſe corrupten Ver¬ hältniſſe im feierlichſten Ernſt mit großwortigen Reden be¬ handelt, ſo daß ſtatt ſeligen Lächelns nur die Trübſeligkeit Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/135
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/135>, abgerufen am 23.11.2024.