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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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holt das Wesen des Ganzen in jedem seiner Unterschiede und
verleihet diesen dennoch eine eigene Seele. Es scheuet sich
nicht, in die Vielheit der Unterschiede auseinanderzugehen,
denn es versteht dieselben doch unter die Synthese des Ganzen
wieder als Momente zusammenzufassen, die in ihrer Eigen¬
lebigkeit einander eben so, als des Ganzen bedürfen. Die
Disharmonie entspringt demnach aus der Harmonie als ihre
Selbstverkehrung denn ohne das Postulat der Harmonie an
eine Gestalt machen zu dürfen, wird man auch nicht von
Disharmonie reden können. Das Leere, Todte, Wider¬
spruchlose, Nuridentische gibt zu ihr noch keinen Stoff; erst
bei der Wechselbeziehung von Einheit und Vielheit, von
Wesen und Form, von Allgemeinheit und Besonderheit
tritt sie ein.

Wir werden die Harmonie vermissen, wenn wir da,
wo wir eine lebendige Einheit erwarteten, nur eine abstracte
antreffen; aber in diesem Fall ist noch keine positive Dis¬
harmonie vorhanden. Der Mangel einer freien Mannig¬
faltigkeit ist nicht schön, allein er ist auch keine Entzweiung
der Einheit. -- Geht die Einheit zu Unterschieden fort,
bleiben dieselben jedoch äußerlich gegen einander, verschmelzen
sie nicht unter einander, so vermissen wir die Beseelung der
Harmonie. In diesem Fall ist auch noch keine positive Dis¬
harmonie, schon aber eine Unharmonie vorhanden, weil
die Unterschiede als ungegliederte, als nebeneinanderstehende,
die Einheit in die Vielheit zerfallen lassen. Die Unterschiede
werden selber zu Einheiten, die nicht miteinander in Wechsel¬
wirkung stehen. Die Einheit erscheint deshalb statt har¬
monisch in der Trockenheit eines bloßen Aggregatzustandes.
Nirgends empfinden wir diese Mißform übler, als im Theater
beim Mangel des Zusammenspiels. Jede Person treibt dann

holt das Weſen des Ganzen in jedem ſeiner Unterſchiede und
verleihet dieſen dennoch eine eigene Seele. Es ſcheuet ſich
nicht, in die Vielheit der Unterſchiede auseinanderzugehen,
denn es verſteht dieſelben doch unter die Syntheſe des Ganzen
wieder als Momente zuſammenzufaſſen, die in ihrer Eigen¬
lebigkeit einander eben ſo, als des Ganzen bedürfen. Die
Disharmonie entſpringt demnach aus der Harmonie als ihre
Selbſtverkehrung denn ohne das Poſtulat der Harmonie an
eine Geſtalt machen zu dürfen, wird man auch nicht von
Disharmonie reden können. Das Leere, Todte, Wider¬
ſpruchloſe, Nuridentiſche gibt zu ihr noch keinen Stoff; erſt
bei der Wechſelbeziehung von Einheit und Vielheit, von
Weſen und Form, von Allgemeinheit und Beſonderheit
tritt ſie ein.

Wir werden die Harmonie vermiſſen, wenn wir da,
wo wir eine lebendige Einheit erwarteten, nur eine abſtracte
antreffen; aber in dieſem Fall iſt noch keine poſitive Dis¬
harmonie vorhanden. Der Mangel einer freien Mannig¬
faltigkeit iſt nicht ſchön, allein er iſt auch keine Entzweiung
der Einheit. — Geht die Einheit zu Unterſchieden fort,
bleiben dieſelben jedoch äußerlich gegen einander, verſchmelzen
ſie nicht unter einander, ſo vermiſſen wir die Beſeelung der
Harmonie. In dieſem Fall iſt auch noch keine poſitive Dis¬
harmonie, ſchon aber eine Unharmonie vorhanden, weil
die Unterſchiede als ungegliederte, als nebeneinanderſtehende,
die Einheit in die Vielheit zerfallen laſſen. Die Unterſchiede
werden ſelber zu Einheiten, die nicht miteinander in Wechſel¬
wirkung ſtehen. Die Einheit erſcheint deshalb ſtatt har¬
moniſch in der Trockenheit eines bloßen Aggregatzuſtandes.
Nirgends empfinden wir dieſe Mißform übler, als im Theater
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[103/0125] holt das Weſen des Ganzen in jedem ſeiner Unterſchiede und verleihet dieſen dennoch eine eigene Seele. Es ſcheuet ſich nicht, in die Vielheit der Unterſchiede auseinanderzugehen, denn es verſteht dieſelben doch unter die Syntheſe des Ganzen wieder als Momente zuſammenzufaſſen, die in ihrer Eigen¬ lebigkeit einander eben ſo, als des Ganzen bedürfen. Die Disharmonie entſpringt demnach aus der Harmonie als ihre Selbſtverkehrung denn ohne das Poſtulat der Harmonie an eine Geſtalt machen zu dürfen, wird man auch nicht von Disharmonie reden können. Das Leere, Todte, Wider¬ ſpruchloſe, Nuridentiſche gibt zu ihr noch keinen Stoff; erſt bei der Wechſelbeziehung von Einheit und Vielheit, von Weſen und Form, von Allgemeinheit und Beſonderheit tritt ſie ein. Wir werden die Harmonie vermiſſen, wenn wir da, wo wir eine lebendige Einheit erwarteten, nur eine abſtracte antreffen; aber in dieſem Fall iſt noch keine poſitive Dis¬ harmonie vorhanden. Der Mangel einer freien Mannig¬ faltigkeit iſt nicht ſchön, allein er iſt auch keine Entzweiung der Einheit. — Geht die Einheit zu Unterſchieden fort, bleiben dieſelben jedoch äußerlich gegen einander, verſchmelzen ſie nicht unter einander, ſo vermiſſen wir die Beſeelung der Harmonie. In dieſem Fall iſt auch noch keine poſitive Dis¬ harmonie, ſchon aber eine Unharmonie vorhanden, weil die Unterſchiede als ungegliederte, als nebeneinanderſtehende, die Einheit in die Vielheit zerfallen laſſen. Die Unterſchiede werden ſelber zu Einheiten, die nicht miteinander in Wechſel¬ wirkung ſtehen. Die Einheit erſcheint deshalb ſtatt har¬ moniſch in der Trockenheit eines bloßen Aggregatzuſtandes. Nirgends empfinden wir dieſe Mißform übler, als im Theater beim Mangel des Zuſammenſpiels. Jede Perſon treibt dann

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/125>, abgerufen am 23.11.2024.