und die sich durch die Gemeinschaft mit einander für profanirt erachten würden, finden sich durch ihn in überraschende Nähe gerückt. Die Modernen haben diesen quodlibetarischen Witz sehr weit und oft sehr glücklich ausgebildet; die große empirische Fülle eines heutigen Bewußtseins hat es möglich gemacht, zahllose Verbindungen zu erzeugen, die uns im zufälligen Zusammensein durch ihre Reflexion in einander ergötzen. Das Britische Inselvolk, das meerdurchfurchende London, Elisabeths Zeitalter, Shakespeare's Weltima¬ gination haben vorzüglich dies Spiel der Phantasie angeregt. Hogarth hat dasselbe in die Malerei eingeführt, ist aber schon, wie trefflich auch seine Charakteristik, besonders die physiognomische, sei, von einer gewissen Absichtlichkeit nicht frei zu sprechen, die eine übertriebene, aufdringliche Sorg¬ lichkeit verräth, keine der Beziehungen seines Calculs über¬ sehen zu lassen. In die poetische Literatur der spätern Zeit ist diese Manier besonders von den humoristischen Roman¬ schriftstellern eingeführt worden, die es sich mit ihr nicht nur oft sehr bequem gemacht, sondern sie auch durch Ge¬ schraubtheit bis zur Albernheit abgehetzt haben. Eine bloße Verworrenheit der Vorstellungen ist häßlich. Manche unserer forcirten Humoristen sind oft nichts besser, als die Kranken in Irrenhäusern, die an der Gedankenflucht leiden.
Die freie Mannigfaltigkeit ist schön, sofern sie eine gewisse Sinnigkeit der Gruppirungen in sich schließt. Denken wir uns die Tendenz zur Ordnung des Verschiedenen als eine abstracte sich wiederholende Einheit in dem Mannigfalti¬ gen, so erhalten wir den Begriff des Regelmäßigen d. h. der Erneuung des Verschiedenen nach einer festen Regel, die seine lockern Differenzen unter sich bindet. So die gleichen Zeittheile des Tactes, so der gleiche Abstand der Bäume einer
und die ſich durch die Gemeinſchaft mit einander für profanirt erachten würden, finden ſich durch ihn in überraſchende Nähe gerückt. Die Modernen haben dieſen quodlibetariſchen Witz ſehr weit und oft ſehr glücklich ausgebildet; die große empiriſche Fülle eines heutigen Bewußtſeins hat es möglich gemacht, zahlloſe Verbindungen zu erzeugen, die uns im zufälligen Zuſammenſein durch ihre Reflexion in einander ergötzen. Das Britiſche Inſelvolk, das meerdurchfurchende London, Eliſabeths Zeitalter, Shakeſpeare's Weltima¬ gination haben vorzüglich dies Spiel der Phantaſie angeregt. Hogarth hat daſſelbe in die Malerei eingeführt, iſt aber ſchon, wie trefflich auch ſeine Charakteriſtik, beſonders die phyſiognomiſche, ſei, von einer gewiſſen Abſichtlichkeit nicht frei zu ſprechen, die eine übertriebene, aufdringliche Sorg¬ lichkeit verräth, keine der Beziehungen ſeines Calculs über¬ ſehen zu laſſen. In die poetiſche Literatur der ſpätern Zeit iſt dieſe Manier beſonders von den humoriſtiſchen Roman¬ ſchriftſtellern eingeführt worden, die es ſich mit ihr nicht nur oft ſehr bequem gemacht, ſondern ſie auch durch Ge¬ ſchraubtheit bis zur Albernheit abgehetzt haben. Eine bloße Verworrenheit der Vorſtellungen iſt häßlich. Manche unſerer forcirten Humoriſten ſind oft nichts beſſer, als die Kranken in Irrenhäuſern, die an der Gedankenflucht leiden.
Die freie Mannigfaltigkeit iſt ſchön, ſofern ſie eine gewiſſe Sinnigkeit der Gruppirungen in ſich ſchließt. Denken wir uns die Tendenz zur Ordnung des Verſchiedenen als eine abſtracte ſich wiederholende Einheit in dem Mannigfalti¬ gen, ſo erhalten wir den Begriff des Regelmäßigen d. h. der Erneuung des Verſchiedenen nach einer feſten Regel, die ſeine lockern Differenzen unter ſich bindet. So die gleichen Zeittheile des Tactes, ſo der gleiche Abſtand der Bäume einer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0102"n="80"/>
und die ſich durch die Gemeinſchaft mit einander für profanirt<lb/>
erachten würden, finden ſich durch ihn in überraſchende<lb/>
Nähe gerückt. Die Modernen haben dieſen quodlibetariſchen<lb/>
Witz ſehr weit und oft ſehr glücklich ausgebildet; die große<lb/>
empiriſche Fülle eines heutigen Bewußtſeins hat es möglich<lb/>
gemacht, zahlloſe Verbindungen zu erzeugen, die uns im<lb/>
zufälligen Zuſammenſein durch ihre Reflexion in einander<lb/>
ergötzen. Das Britiſche Inſelvolk, das meerdurchfurchende<lb/>
London, Eliſabeths Zeitalter, <hirendition="#g">Shakeſpeare's</hi> Weltima¬<lb/>
gination haben vorzüglich dies Spiel der Phantaſie angeregt.<lb/><hirendition="#g">Hogarth</hi> hat daſſelbe in die Malerei eingeführt, iſt aber<lb/>ſchon, wie trefflich auch ſeine Charakteriſtik, beſonders die<lb/>
phyſiognomiſche, ſei, von einer gewiſſen Abſichtlichkeit nicht<lb/>
frei zu ſprechen, die eine übertriebene, aufdringliche Sorg¬<lb/>
lichkeit verräth, keine der Beziehungen ſeines Calculs über¬<lb/>ſehen zu laſſen. In die poetiſche Literatur der ſpätern Zeit<lb/>
iſt dieſe Manier beſonders von den humoriſtiſchen Roman¬<lb/>ſchriftſtellern eingeführt worden, die es ſich mit ihr nicht<lb/>
nur oft ſehr bequem gemacht, ſondern ſie auch durch Ge¬<lb/>ſchraubtheit bis zur Albernheit abgehetzt haben. Eine bloße<lb/>
Verworrenheit der Vorſtellungen iſt häßlich. Manche unſerer<lb/>
forcirten Humoriſten ſind oft nichts beſſer, als die Kranken<lb/>
in Irrenhäuſern, die an der Gedankenflucht leiden.</p><lb/><p>Die freie Mannigfaltigkeit iſt ſchön, ſofern ſie eine<lb/>
gewiſſe Sinnigkeit der Gruppirungen in ſich ſchließt. Denken<lb/>
wir uns die Tendenz zur Ordnung des Verſchiedenen als<lb/>
eine abſtracte ſich wiederholende Einheit in dem Mannigfalti¬<lb/>
gen, ſo erhalten wir den Begriff des <hirendition="#g">Regelmäßigen</hi> d. h.<lb/>
der Erneuung des Verſchiedenen nach einer feſten Regel, die<lb/>ſeine lockern Differenzen unter ſich bindet. So die gleichen<lb/>
Zeittheile des Tactes, ſo der gleiche Abſtand der Bäume einer<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[80/0102]
und die ſich durch die Gemeinſchaft mit einander für profanirt
erachten würden, finden ſich durch ihn in überraſchende
Nähe gerückt. Die Modernen haben dieſen quodlibetariſchen
Witz ſehr weit und oft ſehr glücklich ausgebildet; die große
empiriſche Fülle eines heutigen Bewußtſeins hat es möglich
gemacht, zahlloſe Verbindungen zu erzeugen, die uns im
zufälligen Zuſammenſein durch ihre Reflexion in einander
ergötzen. Das Britiſche Inſelvolk, das meerdurchfurchende
London, Eliſabeths Zeitalter, Shakeſpeare's Weltima¬
gination haben vorzüglich dies Spiel der Phantaſie angeregt.
Hogarth hat daſſelbe in die Malerei eingeführt, iſt aber
ſchon, wie trefflich auch ſeine Charakteriſtik, beſonders die
phyſiognomiſche, ſei, von einer gewiſſen Abſichtlichkeit nicht
frei zu ſprechen, die eine übertriebene, aufdringliche Sorg¬
lichkeit verräth, keine der Beziehungen ſeines Calculs über¬
ſehen zu laſſen. In die poetiſche Literatur der ſpätern Zeit
iſt dieſe Manier beſonders von den humoriſtiſchen Roman¬
ſchriftſtellern eingeführt worden, die es ſich mit ihr nicht
nur oft ſehr bequem gemacht, ſondern ſie auch durch Ge¬
ſchraubtheit bis zur Albernheit abgehetzt haben. Eine bloße
Verworrenheit der Vorſtellungen iſt häßlich. Manche unſerer
forcirten Humoriſten ſind oft nichts beſſer, als die Kranken
in Irrenhäuſern, die an der Gedankenflucht leiden.
Die freie Mannigfaltigkeit iſt ſchön, ſofern ſie eine
gewiſſe Sinnigkeit der Gruppirungen in ſich ſchließt. Denken
wir uns die Tendenz zur Ordnung des Verſchiedenen als
eine abſtracte ſich wiederholende Einheit in dem Mannigfalti¬
gen, ſo erhalten wir den Begriff des Regelmäßigen d. h.
der Erneuung des Verſchiedenen nach einer feſten Regel, die
ſeine lockern Differenzen unter ſich bindet. So die gleichen
Zeittheile des Tactes, ſo der gleiche Abſtand der Bäume einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/102>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.