Wir schritten weiter; bald merkte ich, daß mein Begleiter selbst den Weg nicht kenne. Wir gingen den Felsen zu, stiegen an den Mulden empor, wie ich mich erinnerte, daß der Schulmeister gegangen war, und endlich kamen wir auf das Grat.
Das Bild war unvergleichlich. Der Schulmeister hat es geschildert.
Wir gingen dem Grat entlang; ruhten dann ein wenig, um uns mit Brot und Fleisch zu laben und die Steigeisen an die Füße zu schnallen. Hierauf gingen wir langsam über das Gletscherfeld hinan gegen den Kegel.
Die Luft war außerdentlich rein und ruhig und fast kalt; ich empfand in mir eine Frische und ein Wohlbehagen zum Aufjauchzen. Je näher wir der Spitze kamen, desto behender förderten wir unsere Schritte; auch der Peter war lustig ge- worden.
Nun waren wir oben, standen auf der Spitze des Zahn. Mir war zu Muthe, als wäre ich schon früher mehrmals auf dieser Höhe gewesen. Um uns lag in einer unendlichen Runde -- wie der Schulmeister sagt -- die Krone der Alpen.
Selbst dort über den weiten Wäldern, im sonnendurchwobenen Mittag ragten die Kanten und Spitzen eines neuen Gebirgszuges noch deutlich und
Wir ſchritten weiter; bald merkte ich, daß mein Begleiter ſelbſt den Weg nicht kenne. Wir gingen den Felſen zu, ſtiegen an den Mulden empor, wie ich mich erinnerte, daß der Schulmeiſter gegangen war, und endlich kamen wir auf das Grat.
Das Bild war unvergleichlich. Der Schulmeiſter hat es geſchildert.
Wir gingen dem Grat entlang; ruhten dann ein wenig, um uns mit Brot und Fleiſch zu laben und die Steigeiſen an die Füße zu ſchnallen. Hierauf gingen wir langſam über das Gletſcherfeld hinan gegen den Kegel.
Die Luft war außerdentlich rein und ruhig und faſt kalt; ich empfand in mir eine Friſche und ein Wohlbehagen zum Aufjauchzen. Je näher wir der Spitze kamen, deſto behender förderten wir unſere Schritte; auch der Peter war luſtig ge- worden.
Nun waren wir oben, ſtanden auf der Spitze des Zahn. Mir war zu Muthe, als wäre ich ſchon früher mehrmals auf dieſer Höhe geweſen. Um uns lag in einer unendlichen Runde — wie der Schulmeiſter ſagt — die Krone der Alpen.
Selbſt dort über den weiten Wäldern, im ſonnendurchwobenen Mittag ragten die Kanten und Spitzen eines neuen Gebirgszuges noch deutlich und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0447"n="437"/><p>Wir ſchritten weiter; bald merkte ich, daß<lb/>
mein Begleiter ſelbſt den Weg nicht kenne. Wir<lb/>
gingen den Felſen zu, ſtiegen an den Mulden<lb/>
empor, wie ich mich erinnerte, daß der Schulmeiſter<lb/>
gegangen war, und endlich kamen wir auf das<lb/>
Grat.</p><lb/><p>Das Bild war unvergleichlich. Der Schulmeiſter<lb/>
hat es geſchildert.</p><lb/><p>Wir gingen dem Grat entlang; ruhten dann<lb/>
ein wenig, um uns mit Brot und Fleiſch zu<lb/>
laben und die Steigeiſen an die Füße zu ſchnallen.<lb/>
Hierauf gingen wir langſam über das Gletſcherfeld<lb/>
hinan gegen den Kegel.</p><lb/><p>Die Luft war außerdentlich rein und ruhig<lb/>
und faſt kalt; ich empfand in mir eine Friſche und<lb/>
ein Wohlbehagen zum Aufjauchzen. Je näher wir<lb/>
der Spitze kamen, deſto behender förderten wir<lb/>
unſere Schritte; auch der Peter war luſtig ge-<lb/>
worden.</p><lb/><p>Nun waren wir oben, ſtanden auf der Spitze<lb/>
des Zahn. Mir war zu Muthe, als wäre ich<lb/>ſchon früher mehrmals auf dieſer Höhe geweſen.<lb/>
Um uns lag in einer unendlichen Runde — wie<lb/>
der Schulmeiſter ſagt — die Krone der Alpen.</p><lb/><p>Selbſt dort über den weiten Wäldern, im<lb/>ſonnendurchwobenen Mittag ragten die Kanten und<lb/>
Spitzen eines neuen Gebirgszuges noch deutlich und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[437/0447]
Wir ſchritten weiter; bald merkte ich, daß
mein Begleiter ſelbſt den Weg nicht kenne. Wir
gingen den Felſen zu, ſtiegen an den Mulden
empor, wie ich mich erinnerte, daß der Schulmeiſter
gegangen war, und endlich kamen wir auf das
Grat.
Das Bild war unvergleichlich. Der Schulmeiſter
hat es geſchildert.
Wir gingen dem Grat entlang; ruhten dann
ein wenig, um uns mit Brot und Fleiſch zu
laben und die Steigeiſen an die Füße zu ſchnallen.
Hierauf gingen wir langſam über das Gletſcherfeld
hinan gegen den Kegel.
Die Luft war außerdentlich rein und ruhig
und faſt kalt; ich empfand in mir eine Friſche und
ein Wohlbehagen zum Aufjauchzen. Je näher wir
der Spitze kamen, deſto behender förderten wir
unſere Schritte; auch der Peter war luſtig ge-
worden.
Nun waren wir oben, ſtanden auf der Spitze
des Zahn. Mir war zu Muthe, als wäre ich
ſchon früher mehrmals auf dieſer Höhe geweſen.
Um uns lag in einer unendlichen Runde — wie
der Schulmeiſter ſagt — die Krone der Alpen.
Selbſt dort über den weiten Wäldern, im
ſonnendurchwobenen Mittag ragten die Kanten und
Spitzen eines neuen Gebirgszuges noch deutlich und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/447>, abgerufen am 22.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.