dieser Mann hat einen aus grauem Tuche. Sein Gesicht ist wie mit Aschen bestreut, aber unter der Asche merke ich Funken. Vor wenigen Tagen habe ich gesagt, er sei lebenssatt; heute meine ich schier, er sei lebenshungerig. Es ist recht seltsam. Gestern hat er den Berthold zu sich gerufen, daß er das Heilkraut bezahle.
Der Rothbart ist längst versetzt; so ist der Berthold Förster in den Winkelwäldern geworden und wohnt nun mit den Seinen im Winkelhüter- hause. In wenigen Tagen wird die kirchliche Trau- ung des Försters mit dem Weibe Aga still voll- zogen werden. So hat es der Herr angeordnet. Zu tausendmal freut es mich: Hermann hat eine kern- gesunde Seele; ein Kranker kann so rasch und sicher nicht handeln. Aber ein seltsamer Mensch ist er doch. Ehe er davonfährt, kommt er zu mir in das Schulhaus, zieht mich zu sich auf eine Bank nieder und sagt: "Schulmeister! sie hat ihr Magd- thum höher gehalten, als ihr Leben; hätte ich denn geglaubt, daß es ein solches Weib gibt auf Erden? Da unten in den Palästen wohnen die Schamlosen und Gefallsüchtigen. Mir haben sie arg mitgespielt. O, mir ist Alles da draußen zum Ekel geworden. Sie, Erdmann, haben voreinst die Welt von unter- herauf gesehen, kennen gelernt und sind davon satt geworden. Ich habe die Welt von oben hinab
dieſer Mann hat einen aus grauem Tuche. Sein Geſicht iſt wie mit Aſchen beſtreut, aber unter der Aſche merke ich Funken. Vor wenigen Tagen habe ich geſagt, er ſei lebensſatt; heute meine ich ſchier, er ſei lebenshungerig. Es iſt recht ſeltſam. Geſtern hat er den Berthold zu ſich gerufen, daß er das Heilkraut bezahle.
Der Rothbart iſt längſt verſetzt; ſo iſt der Berthold Förſter in den Winkelwäldern geworden und wohnt nun mit den Seinen im Winkelhüter- hauſe. In wenigen Tagen wird die kirchliche Trau- ung des Förſters mit dem Weibe Aga ſtill voll- zogen werden. So hat es der Herr angeordnet. Zu tauſendmal freut es mich: Hermann hat eine kern- geſunde Seele; ein Kranker kann ſo raſch und ſicher nicht handeln. Aber ein ſeltſamer Menſch iſt er doch. Ehe er davonfährt, kommt er zu mir in das Schulhaus, zieht mich zu ſich auf eine Bank nieder und ſagt: „Schulmeiſter! ſie hat ihr Magd- thum höher gehalten, als ihr Leben; hätte ich denn geglaubt, daß es ein ſolches Weib gibt auf Erden? Da unten in den Paläſten wohnen die Schamloſen und Gefallſüchtigen. Mir haben ſie arg mitgeſpielt. O, mir iſt Alles da draußen zum Ekel geworden. Sie, Erdmann, haben voreinſt die Welt von unter- herauf geſehen, kennen gelernt und ſind davon ſatt geworden. Ich habe die Welt von oben hinab
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dieſer Mann hat einen aus grauem Tuche. Sein
Geſicht iſt wie mit Aſchen beſtreut, aber unter der
Aſche merke ich Funken. Vor wenigen Tagen habe
ich geſagt, er ſei lebensſatt; heute meine ich ſchier,
er ſei lebenshungerig. Es iſt recht ſeltſam. Geſtern
hat er den Berthold zu ſich gerufen, daß er das
Heilkraut bezahle.
Der Rothbart iſt längſt verſetzt; ſo iſt der
Berthold Förſter in den Winkelwäldern geworden
und wohnt nun mit den Seinen im Winkelhüter-
hauſe. In wenigen Tagen wird die kirchliche Trau-
ung des Förſters mit dem Weibe Aga ſtill voll-
zogen werden. So hat es der Herr angeordnet. Zu
tauſendmal freut es mich: Hermann hat eine kern-
geſunde Seele; ein Kranker kann ſo raſch und
ſicher nicht handeln. Aber ein ſeltſamer Menſch iſt
er doch. Ehe er davonfährt, kommt er zu mir in
das Schulhaus, zieht mich zu ſich auf eine Bank
nieder und ſagt: „Schulmeiſter! ſie hat ihr Magd-
thum höher gehalten, als ihr Leben; hätte ich denn
geglaubt, daß es ein ſolches Weib gibt auf Erden?
Da unten in den Paläſten wohnen die Schamloſen
und Gefallſüchtigen. Mir haben ſie arg mitgeſpielt.
O, mir iſt Alles da draußen zum Ekel geworden.
Sie, Erdmann, haben voreinſt die Welt von unter-
herauf geſehen, kennen gelernt und ſind davon ſatt
geworden. Ich habe die Welt von oben hinab
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/417>, abgerufen am 24.11.2024.
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