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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Veit eilt in den Stall: "Klaus, komm', es
sind heut' so Dinger im Wasser!"

Klaus kommt und sieht und sagt halblaut:
"Das ist Blut!"

"So ist da oben eine Gemse in's Bächlein
gestürzt," versetzt Veit.

"Aber, daß der Rüppel nicht da ist!" sagt
der Klaus, und ein wenig später setzt er bei: "der
thät's leicht kennen, ob es Gemsenblut."

Der Veit ist todtenblaß; "Klaus," sagt er,
"steig' mit hinauf in die Schlucht!"

Sie sind dem Wässerlein entlang gegangen;
es rieselt wieder klar.

Tiefer und tiefer steigt die Sonne nieder an
den stillen Felsen; höher und höher und mit jedem
Schritte hastiger steigen die beiden Burschen empor
und zwängen sich durch enge, schattige Schluchten,
wie sie das Wasser in wildem Wettertoben gerissen,
oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur-
schen sagen kein Wort zu einander, sie winden sich
durch wildes, thaunasses Himbeergesträuche und
Knieholz; sie klettern an den schroffen Wänden
hin; sie hören ein Rauschen. Sie kommen der Stelle
nahe, wo das Wässerlein wie ein Goldband über
die sonnige Wand stürzt.

"Da ist ein Strohhalm," sagt der Klaus
jählings. Es sind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

Veit eilt in den Stall: „Klaus, komm’, es
ſind heut’ ſo Dinger im Waſſer!“

Klaus kommt und ſieht und ſagt halblaut:
„Das iſt Blut!“

„So iſt da oben eine Gemſe in’s Bächlein
geſtürzt,“ verſetzt Veit.

„Aber, daß der Rüppel nicht da iſt!“ ſagt
der Klaus, und ein wenig ſpäter ſetzt er bei: „der
thät’s leicht kennen, ob es Gemſenblut.“

Der Veit iſt todtenblaß; „Klaus,“ ſagt er,
„ſteig’ mit hinauf in die Schlucht!“

Sie ſind dem Wäſſerlein entlang gegangen;
es rieſelt wieder klar.

Tiefer und tiefer ſteigt die Sonne nieder an
den ſtillen Felſen; höher und höher und mit jedem
Schritte haſtiger ſteigen die beiden Burſchen empor
und zwängen ſich durch enge, ſchattige Schluchten,
wie ſie das Waſſer in wildem Wettertoben geriſſen,
oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur-
ſchen ſagen kein Wort zu einander, ſie winden ſich
durch wildes, thaunaſſes Himbeergeſträuche und
Knieholz; ſie klettern an den ſchroffen Wänden
hin; ſie hören ein Rauſchen. Sie kommen der Stelle
nahe, wo das Wäſſerlein wie ein Goldband über
die ſonnige Wand ſtürzt.

„Da iſt ein Strohhalm,“ ſagt der Klaus
jählings. Es ſind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

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[389/0399] Veit eilt in den Stall: „Klaus, komm’, es ſind heut’ ſo Dinger im Waſſer!“ Klaus kommt und ſieht und ſagt halblaut: „Das iſt Blut!“ „So iſt da oben eine Gemſe in’s Bächlein geſtürzt,“ verſetzt Veit. „Aber, daß der Rüppel nicht da iſt!“ ſagt der Klaus, und ein wenig ſpäter ſetzt er bei: „der thät’s leicht kennen, ob es Gemſenblut.“ Der Veit iſt todtenblaß; „Klaus,“ ſagt er, „ſteig’ mit hinauf in die Schlucht!“ Sie ſind dem Wäſſerlein entlang gegangen; es rieſelt wieder klar. Tiefer und tiefer ſteigt die Sonne nieder an den ſtillen Felſen; höher und höher und mit jedem Schritte haſtiger ſteigen die beiden Burſchen empor und zwängen ſich durch enge, ſchattige Schluchten, wie ſie das Waſſer in wildem Wettertoben geriſſen, oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur- ſchen ſagen kein Wort zu einander, ſie winden ſich durch wildes, thaunaſſes Himbeergeſträuche und Knieholz; ſie klettern an den ſchroffen Wänden hin; ſie hören ein Rauſchen. Sie kommen der Stelle nahe, wo das Wäſſerlein wie ein Goldband über die ſonnige Wand ſtürzt. „Da iſt ein Strohhalm,“ ſagt der Klaus jählings. Es ſind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/399>, abgerufen am 16.05.2024.