Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Veit eilt in den Stall: "Klaus, komm', es
sind heut' so Dinger im Wasser!"

Klaus kommt und sieht und sagt halblaut:
"Das ist Blut!"

"So ist da oben eine Gemse in's Bächlein
gestürzt," versetzt Veit.

"Aber, daß der Rüppel nicht da ist!" sagt
der Klaus, und ein wenig später setzt er bei: "der
thät's leicht kennen, ob es Gemsenblut."

Der Veit ist todtenblaß; "Klaus," sagt er,
"steig' mit hinauf in die Schlucht!"

Sie sind dem Wässerlein entlang gegangen;
es rieselt wieder klar.

Tiefer und tiefer steigt die Sonne nieder an
den stillen Felsen; höher und höher und mit jedem
Schritte hastiger steigen die beiden Burschen empor
und zwängen sich durch enge, schattige Schluchten,
wie sie das Wasser in wildem Wettertoben gerissen,
oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur-
schen sagen kein Wort zu einander, sie winden sich
durch wildes, thaunasses Himbeergesträuche und
Knieholz; sie klettern an den schroffen Wänden
hin; sie hören ein Rauschen. Sie kommen der Stelle
nahe, wo das Wässerlein wie ein Goldband über
die sonnige Wand stürzt.

"Da ist ein Strohhalm," sagt der Klaus
jählings. Es sind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

Veit eilt in den Stall: „Klaus, komm’, es
ſind heut’ ſo Dinger im Waſſer!“

Klaus kommt und ſieht und ſagt halblaut:
„Das iſt Blut!“

„So iſt da oben eine Gemſe in’s Bächlein
geſtürzt,“ verſetzt Veit.

„Aber, daß der Rüppel nicht da iſt!“ ſagt
der Klaus, und ein wenig ſpäter ſetzt er bei: „der
thät’s leicht kennen, ob es Gemſenblut.“

Der Veit iſt todtenblaß; „Klaus,“ ſagt er,
„ſteig’ mit hinauf in die Schlucht!“

Sie ſind dem Wäſſerlein entlang gegangen;
es rieſelt wieder klar.

Tiefer und tiefer ſteigt die Sonne nieder an
den ſtillen Felſen; höher und höher und mit jedem
Schritte haſtiger ſteigen die beiden Burſchen empor
und zwängen ſich durch enge, ſchattige Schluchten,
wie ſie das Waſſer in wildem Wettertoben geriſſen,
oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur-
ſchen ſagen kein Wort zu einander, ſie winden ſich
durch wildes, thaunaſſes Himbeergeſträuche und
Knieholz; ſie klettern an den ſchroffen Wänden
hin; ſie hören ein Rauſchen. Sie kommen der Stelle
nahe, wo das Wäſſerlein wie ein Goldband über
die ſonnige Wand ſtürzt.

„Da iſt ein Strohhalm,“ ſagt der Klaus
jählings. Es ſind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0399" n="389"/>
          <p>Veit eilt in den Stall: &#x201E;Klaus, komm&#x2019;, es<lb/>
&#x017F;ind heut&#x2019; &#x017F;o Dinger im Wa&#x017F;&#x017F;er!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Klaus kommt und &#x017F;ieht und &#x017F;agt halblaut:<lb/>
&#x201E;Das i&#x017F;t Blut!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So i&#x017F;t da oben eine Gem&#x017F;e in&#x2019;s Bächlein<lb/>
ge&#x017F;türzt,&#x201C; ver&#x017F;etzt Veit.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber, daß der Rüppel nicht da i&#x017F;t!&#x201C; &#x017F;agt<lb/>
der Klaus, und ein wenig &#x017F;päter &#x017F;etzt er bei: &#x201E;der<lb/>
thät&#x2019;s leicht kennen, ob es Gem&#x017F;enblut.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Veit i&#x017F;t todtenblaß; &#x201E;Klaus,&#x201C; &#x017F;agt er,<lb/>
&#x201E;&#x017F;teig&#x2019; mit hinauf in die Schlucht!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;ind dem Wä&#x017F;&#x017F;erlein entlang gegangen;<lb/>
es rie&#x017F;elt wieder klar.</p><lb/>
          <p>Tiefer und tiefer &#x017F;teigt die Sonne nieder an<lb/>
den &#x017F;tillen Fel&#x017F;en; höher und höher und mit jedem<lb/>
Schritte ha&#x017F;tiger &#x017F;teigen die beiden Bur&#x017F;chen empor<lb/>
und zwängen &#x017F;ich durch enge, &#x017F;chattige Schluchten,<lb/>
wie &#x017F;ie das Wa&#x017F;&#x017F;er in wildem Wettertoben geri&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;agen kein Wort zu einander, &#x017F;ie winden &#x017F;ich<lb/>
durch wildes, thauna&#x017F;&#x017F;es Himbeerge&#x017F;träuche und<lb/>
Knieholz; &#x017F;ie klettern an den &#x017F;chroffen Wänden<lb/>
hin; &#x017F;ie hören ein Rau&#x017F;chen. Sie kommen der Stelle<lb/>
nahe, wo das Wä&#x017F;&#x017F;erlein wie ein Goldband über<lb/>
die &#x017F;onnige Wand &#x017F;türzt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Da i&#x017F;t ein Strohhalm,&#x201C; &#x017F;agt der Klaus<lb/>
jählings. Es &#x017F;ind zwei aneinandergeknüpfte Halme.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0399] Veit eilt in den Stall: „Klaus, komm’, es ſind heut’ ſo Dinger im Waſſer!“ Klaus kommt und ſieht und ſagt halblaut: „Das iſt Blut!“ „So iſt da oben eine Gemſe in’s Bächlein geſtürzt,“ verſetzt Veit. „Aber, daß der Rüppel nicht da iſt!“ ſagt der Klaus, und ein wenig ſpäter ſetzt er bei: „der thät’s leicht kennen, ob es Gemſenblut.“ Der Veit iſt todtenblaß; „Klaus,“ ſagt er, „ſteig’ mit hinauf in die Schlucht!“ Sie ſind dem Wäſſerlein entlang gegangen; es rieſelt wieder klar. Tiefer und tiefer ſteigt die Sonne nieder an den ſtillen Felſen; höher und höher und mit jedem Schritte haſtiger ſteigen die beiden Burſchen empor und zwängen ſich durch enge, ſchattige Schluchten, wie ſie das Waſſer in wildem Wettertoben geriſſen, oder in ruhigem Zeitenlaufe gehöhlt hat. Die Bur- ſchen ſagen kein Wort zu einander, ſie winden ſich durch wildes, thaunaſſes Himbeergeſträuche und Knieholz; ſie klettern an den ſchroffen Wänden hin; ſie hören ein Rauſchen. Sie kommen der Stelle nahe, wo das Wäſſerlein wie ein Goldband über die ſonnige Wand ſtürzt. „Da iſt ein Strohhalm,“ ſagt der Klaus jählings. Es ſind zwei aneinandergeknüpfte Halme.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/399
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/399>, abgerufen am 22.11.2024.