Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

seine zehn Gebot vergessen. Der Adam, der vor-
witzig' Mann, und die Eva haben gehabt kein
Röcklein nit an -- die thät' das Feuer wol saggrisch
beißen. Das Paradeis ist ihnen schon lang ver-
heißen, und durch die Leidensnoth und den bittern
Tod thät's ihnen jetzt Christus erlauben. -- So
hat mir's der recht' Schächer erzählt, den linken
thät' ich's nit glauben."

"Nu, Rüppel," sagen die Leut, "wenn du
sonst nichts mehr weißt, so bist auch grad kein
heiliger Geist."

Unbekümmert um diesen Spott fährt der Alte
fort: "Am heutigen Morgen sind unsere lieben
Frauen zum Felsengrab gegangen schauen. Ist ein
Junggesell gesessen auf dem Stein; die Magdalena
gucket schon vorwitzig drein, kreiselt ihr güldenes
Lockenhaar fein und denkt: wie alt mag er sein?
-- Mit Verlaub, schöner Herr, was macht ihr da?
die Jungfrauen fragen. -- Mit Verlaub, schöne
Jungfrauen, sucht ihr den Herrn? thät' der Jung-
gesell sagen, aber der liebe Herr Jesus ist nit mehr
hie, der ist auferstanden schon in allerfrüh; den
mögt ihr spazierend im Garten erlangen, oder er
ist hinab in die Stadt zum Frühstück gegangen. --
Da haben die Frauen für die fröhliche Mähr ein
Trinkgeld wollen geben Gott zu Ehr; aber der
Junggesell ist gelaufen zum Himmel hinein; ich

ſeine zehn Gebot vergeſſen. Der Adam, der vor-
witzig’ Mann, und die Eva haben gehabt kein
Röcklein nit an — die thät’ das Feuer wol ſaggriſch
beißen. Das Paradeis iſt ihnen ſchon lang ver-
heißen, und durch die Leidensnoth und den bittern
Tod thät’s ihnen jetzt Chriſtus erlauben. — So
hat mir’s der recht’ Schächer erzählt, den linken
thät’ ich’s nit glauben.“

„Nu, Rüppel,“ ſagen die Leut, „wenn du
ſonſt nichts mehr weißt, ſo biſt auch grad kein
heiliger Geiſt.“

Unbekümmert um dieſen Spott fährt der Alte
fort: „Am heutigen Morgen ſind unſere lieben
Frauen zum Felſengrab gegangen ſchauen. Iſt ein
Junggeſell geſeſſen auf dem Stein; die Magdalena
gucket ſchon vorwitzig drein, kreiſelt ihr güldenes
Lockenhaar fein und denkt: wie alt mag er ſein?
— Mit Verlaub, ſchöner Herr, was macht ihr da?
die Jungfrauen fragen. — Mit Verlaub, ſchöne
Jungfrauen, ſucht ihr den Herrn? thät’ der Jung-
geſell ſagen, aber der liebe Herr Jeſus iſt nit mehr
hie, der iſt auferſtanden ſchon in allerfrüh; den
mögt ihr ſpazierend im Garten erlangen, oder er
iſt hinab in die Stadt zum Frühſtück gegangen. —
Da haben die Frauen für die fröhliche Mähr ein
Trinkgeld wollen geben Gott zu Ehr; aber der
Junggeſell iſt gelaufen zum Himmel hinein; ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0387" n="377"/>
&#x017F;eine zehn Gebot verge&#x017F;&#x017F;en. Der Adam, der vor-<lb/>
witzig&#x2019; Mann, und die Eva haben gehabt kein<lb/>
Röcklein nit an &#x2014; die thät&#x2019; das Feuer wol &#x017F;aggri&#x017F;ch<lb/>
beißen. Das Paradeis i&#x017F;t ihnen &#x017F;chon lang ver-<lb/>
heißen, und durch die Leidensnoth und den bittern<lb/>
Tod thät&#x2019;s ihnen jetzt Chri&#x017F;tus erlauben. &#x2014; So<lb/>
hat mir&#x2019;s der recht&#x2019; Schächer erzählt, den linken<lb/>
thät&#x2019; ich&#x2019;s nit glauben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nu, Rüppel,&#x201C; &#x017F;agen die Leut, &#x201E;wenn du<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nichts mehr weißt, &#x017F;o bi&#x017F;t auch grad kein<lb/>
heiliger Gei&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Unbekümmert um die&#x017F;en Spott fährt der Alte<lb/>
fort: &#x201E;Am heutigen Morgen &#x017F;ind un&#x017F;ere lieben<lb/>
Frauen zum Fel&#x017F;engrab gegangen &#x017F;chauen. I&#x017F;t ein<lb/>
Jungge&#x017F;ell ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en auf dem Stein; die Magdalena<lb/>
gucket &#x017F;chon vorwitzig drein, krei&#x017F;elt ihr güldenes<lb/>
Lockenhaar fein und denkt: wie alt mag er &#x017F;ein?<lb/>
&#x2014; Mit Verlaub, &#x017F;chöner Herr, was macht ihr da?<lb/>
die Jungfrauen fragen. &#x2014; Mit Verlaub, &#x017F;chöne<lb/>
Jungfrauen, &#x017F;ucht ihr den Herrn? thät&#x2019; der Jung-<lb/>
ge&#x017F;ell &#x017F;agen, aber der liebe Herr Je&#x017F;us i&#x017F;t nit mehr<lb/>
hie, der i&#x017F;t aufer&#x017F;tanden &#x017F;chon in allerfrüh; den<lb/>
mögt ihr &#x017F;pazierend im Garten erlangen, oder er<lb/>
i&#x017F;t hinab in die Stadt zum Früh&#x017F;tück gegangen. &#x2014;<lb/>
Da haben die Frauen für die fröhliche Mähr ein<lb/>
Trinkgeld wollen geben Gott zu Ehr; aber der<lb/>
Jungge&#x017F;ell i&#x017F;t gelaufen zum Himmel hinein; ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0387] ſeine zehn Gebot vergeſſen. Der Adam, der vor- witzig’ Mann, und die Eva haben gehabt kein Röcklein nit an — die thät’ das Feuer wol ſaggriſch beißen. Das Paradeis iſt ihnen ſchon lang ver- heißen, und durch die Leidensnoth und den bittern Tod thät’s ihnen jetzt Chriſtus erlauben. — So hat mir’s der recht’ Schächer erzählt, den linken thät’ ich’s nit glauben.“ „Nu, Rüppel,“ ſagen die Leut, „wenn du ſonſt nichts mehr weißt, ſo biſt auch grad kein heiliger Geiſt.“ Unbekümmert um dieſen Spott fährt der Alte fort: „Am heutigen Morgen ſind unſere lieben Frauen zum Felſengrab gegangen ſchauen. Iſt ein Junggeſell geſeſſen auf dem Stein; die Magdalena gucket ſchon vorwitzig drein, kreiſelt ihr güldenes Lockenhaar fein und denkt: wie alt mag er ſein? — Mit Verlaub, ſchöner Herr, was macht ihr da? die Jungfrauen fragen. — Mit Verlaub, ſchöne Jungfrauen, ſucht ihr den Herrn? thät’ der Jung- geſell ſagen, aber der liebe Herr Jeſus iſt nit mehr hie, der iſt auferſtanden ſchon in allerfrüh; den mögt ihr ſpazierend im Garten erlangen, oder er iſt hinab in die Stadt zum Frühſtück gegangen. — Da haben die Frauen für die fröhliche Mähr ein Trinkgeld wollen geben Gott zu Ehr; aber der Junggeſell iſt gelaufen zum Himmel hinein; ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/387
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/387>, abgerufen am 06.07.2024.