Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

zahlen versehen waren. Ich versuchte die Blätter
zu ordnen und warf zuweilen einen Blick auf deren
Inhalt. Es waren tagebuchartige Aufzeichnungen,
die sich auf Winkelsteg bezogen. Die Schriften
waren aber so voll von eigenartigen Ausdrücken
und regellos geformten Sätzen, daß eine Art
Uebersetzung nöthig schien, um sie der Verständlich-
keit zuzuführen.

Die Mühe däuchte mir nicht abschreckend,
denn ich hoffte hier Urkunden des so entlegenen
Alpendörfchens und vielleicht gar aus dem Leben
des verschwundenen Schulmeisters zu finden. Indem
ich emsig weiter ordnete, und mit dieser Arbeit
schon völlig zur Rüste kam, entdeckte ich plötzlich
ein dickes graues Blatt, auf welchem mit gro-
ßen rothen Buchstaben geschrieben stand: "Die
Schriften des Waldschulmeisters
."

So hatte ich nun gewissermaßen ein Buch
zusammengestellt; und das Blatt mit den rothen
Lettern legte ich auf Geradewohl oben an, als des
Buches Ueberschrift.

Mittlerweile hatte meine Wachtel die achte
Stunde verkündet, und auf dem Kirchthurme läu-
teten zwei helle Glöcklein zur Messe. Der Pfarrer,
ein schlanker Mann mit blassem Angesichte, schritt
von seinem Hause die kleine Steintreppe heran zur
Kirche. Einige Männer und Weiber zogen ihm

zahlen verſehen waren. Ich verſuchte die Blätter
zu ordnen und warf zuweilen einen Blick auf deren
Inhalt. Es waren tagebuchartige Aufzeichnungen,
die ſich auf Winkelſteg bezogen. Die Schriften
waren aber ſo voll von eigenartigen Ausdrücken
und regellos geformten Sätzen, daß eine Art
Ueberſetzung nöthig ſchien, um ſie der Verſtändlich-
keit zuzuführen.

Die Mühe däuchte mir nicht abſchreckend,
denn ich hoffte hier Urkunden des ſo entlegenen
Alpendörfchens und vielleicht gar aus dem Leben
des verſchwundenen Schulmeiſters zu finden. Indem
ich emſig weiter ordnete, und mit dieſer Arbeit
ſchon völlig zur Rüſte kam, entdeckte ich plötzlich
ein dickes graues Blatt, auf welchem mit gro-
ßen rothen Buchſtaben geſchrieben ſtand: „Die
Schriften des Waldſchulmeiſters
.“

So hatte ich nun gewiſſermaßen ein Buch
zuſammengeſtellt; und das Blatt mit den rothen
Lettern legte ich auf Geradewohl oben an, als des
Buches Ueberſchrift.

Mittlerweile hatte meine Wachtel die achte
Stunde verkündet, und auf dem Kirchthurme läu-
teten zwei helle Glöcklein zur Meſſe. Der Pfarrer,
ein ſchlanker Mann mit blaſſem Angeſichte, ſchritt
von ſeinem Hauſe die kleine Steintreppe heran zur
Kirche. Einige Männer und Weiber zogen ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="23"/>
zahlen ver&#x017F;ehen waren. Ich ver&#x017F;uchte die Blätter<lb/>
zu ordnen und warf zuweilen einen Blick auf deren<lb/>
Inhalt. Es waren tagebuchartige Aufzeichnungen,<lb/>
die &#x017F;ich auf Winkel&#x017F;teg bezogen. Die Schriften<lb/>
waren aber &#x017F;o voll von eigenartigen Ausdrücken<lb/>
und regellos geformten Sätzen, daß eine Art<lb/>
Ueber&#x017F;etzung nöthig &#x017F;chien, um &#x017F;ie der Ver&#x017F;tändlich-<lb/>
keit zuzuführen.</p><lb/>
        <p>Die Mühe däuchte mir nicht ab&#x017F;chreckend,<lb/>
denn ich hoffte hier Urkunden des &#x017F;o entlegenen<lb/>
Alpendörfchens und vielleicht gar aus dem Leben<lb/>
des ver&#x017F;chwundenen Schulmei&#x017F;ters zu finden. Indem<lb/>
ich em&#x017F;ig weiter ordnete, und mit die&#x017F;er Arbeit<lb/>
&#x017F;chon völlig zur Rü&#x017F;te kam, entdeckte ich plötzlich<lb/>
ein dickes graues Blatt, auf welchem mit gro-<lb/>
ßen rothen Buch&#x017F;taben ge&#x017F;chrieben &#x017F;tand: &#x201E;<hi rendition="#g">Die<lb/>
Schriften des Wald&#x017F;chulmei&#x017F;ters</hi>.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So hatte ich nun gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen ein Buch<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt; und das Blatt mit den rothen<lb/>
Lettern legte ich auf Geradewohl oben an, als des<lb/>
Buches Ueber&#x017F;chrift.</p><lb/>
        <p>Mittlerweile hatte meine Wachtel die achte<lb/>
Stunde verkündet, und auf dem Kirchthurme läu-<lb/>
teten zwei helle Glöcklein zur Me&#x017F;&#x017F;e. Der Pfarrer,<lb/>
ein &#x017F;chlanker Mann mit bla&#x017F;&#x017F;em Ange&#x017F;ichte, &#x017F;chritt<lb/>
von &#x017F;einem Hau&#x017F;e die kleine Steintreppe heran zur<lb/>
Kirche. Einige Männer und Weiber zogen ihm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0033] zahlen verſehen waren. Ich verſuchte die Blätter zu ordnen und warf zuweilen einen Blick auf deren Inhalt. Es waren tagebuchartige Aufzeichnungen, die ſich auf Winkelſteg bezogen. Die Schriften waren aber ſo voll von eigenartigen Ausdrücken und regellos geformten Sätzen, daß eine Art Ueberſetzung nöthig ſchien, um ſie der Verſtändlich- keit zuzuführen. Die Mühe däuchte mir nicht abſchreckend, denn ich hoffte hier Urkunden des ſo entlegenen Alpendörfchens und vielleicht gar aus dem Leben des verſchwundenen Schulmeiſters zu finden. Indem ich emſig weiter ordnete, und mit dieſer Arbeit ſchon völlig zur Rüſte kam, entdeckte ich plötzlich ein dickes graues Blatt, auf welchem mit gro- ßen rothen Buchſtaben geſchrieben ſtand: „Die Schriften des Waldſchulmeiſters.“ So hatte ich nun gewiſſermaßen ein Buch zuſammengeſtellt; und das Blatt mit den rothen Lettern legte ich auf Geradewohl oben an, als des Buches Ueberſchrift. Mittlerweile hatte meine Wachtel die achte Stunde verkündet, und auf dem Kirchthurme läu- teten zwei helle Glöcklein zur Meſſe. Der Pfarrer, ein ſchlanker Mann mit blaſſem Angeſichte, ſchritt von ſeinem Hauſe die kleine Steintreppe heran zur Kirche. Einige Männer und Weiber zogen ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/33
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/33>, abgerufen am 28.03.2024.